Eine Brauanlage

500 Jahre Deutsches Reinheitsgebot: Ganz schön bitter? Oder Grund zur Hopfung?

Das Deutsche Reinheitsgebot wird 500 Jahre alt. Zum Jubiläum hat Thomas Kaestle mit Alexander Herold von der Mikrobrauerei Mashsee aus Hannover über die Braukunst gesprochen.

Am 23. April 2016 feiert der Deutsche Brauer-Bund nicht nur wie jedes Jahr seit 1994 den „Tag des deutschen Bieres“, sondern in diesem Jahr ein ganz besonderes Jubiläum: 500 Jahre ist es angeblich her, dass erstmals in Deutschland ein „Reinheitsgebot“ formuliert wurde, eine Festlegung darauf, in deutschem Bier habe nichts anderes zu sein als Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. So wird es zumindest vom Brauer-Bund verkauft. Man ist stolz auf das besonders gute deutsche Bier und seinen guten internationalen Ruf. Also alles bestens in der Biernation Deutschland? Oder ist die behauptete heile Welt nicht doch etwas zu sehr auf Hochglanz poliert? Was ist dran an 500 Jahren angeblich ungebrochener Tradition auf höchstem Niveau? Und warum feiert die Craft-Beer-Brauerei Stone Brewing am 23. April 2016 an ihrem neuen Standort in Berlin eine Anti-Reinheitsgebots-Party mit 25 Bieren aus Mikrobrauereien, die allesamt nicht nach dem „Reinheitsgebot“ gebraut sind?

Wir haben bei Biersommelier Alexander Herold nachgefragt, der gemeinsam mit dem Diplom-Bierbrauer Kolja Gigla seit zwei Jahren in Hannover unter dem Label mashsee Craft Beer herstellt und vertreibt. Beide haben sich damit den Traum verwirklicht, endlich die Biere umsetzen zu können, die sie auch selbst gerne trinken würden. Der Erfolg gibt ihnen recht: Die Firma steht kurz vor dem Umzug in größere Räume, die Biere von mashsee werden bundesweit nachgefragt und das hauseigene Trainingslager wurde zum zweiten Mal in Folge von den Kunden auf der einflussreichen Website www.ratebeer.com zum besten Bier Niedersachsens gewählt. Wir haben also mit Alexander Herold auch darüber gesprochen, wie sich Craft Beer von Industriebier abgrenzt, warum Bier machmal reiner sein kann, wenn es nicht nach dem „Reinheitsgebot“ gebraut ist, warum die Menge bayrischer Brauereien nicht zwangsläufig mit Vielfalt zu tun hat und wie seine Vorstellung eines „Natürlichkeitsgebots“ aussieht.

[Thomas Kaestle:] 23. April 2016. Der Deutsche Brauer-Bund feiert ein fettes Jubiläum: 500 Jahre Reinheitsgebot. Ist das für Euch als Mikrobrauer denn auch ein Grund zu feiern?

[Alexander Herold:] Eigentlich müssten wir am 29. Juli 2016 das 23jährige Bestehen des Vorläufigen Biergesetzes von 1993 feiern. Danach wird nämlich wirklich heute gebraut. Und nicht nach einem ominösen „Reinheitsgebot“, dessen Name erstmals 1918 erwähnt wurde. Vorher gab es diesen Begriff gar nicht. Und auch im aktuell gültigen Gesetz wird er gar nicht verwendet.

Rezept statt Qualitätsstandard

War das zuvor nicht auch eher eine regionale Geschichte?

Es gab diverse Erwähnungen von regionalen Erlassen durch die Jahrhunderte. Die Hintergründe hatten aber mit dem Thema Reinheit oder Qualität wenig zu tun. Letztlich war auch die Motivation des Erlasses von 1516 zunächst, Nahrungsmittelsicherheit herzustellen. Die Bäcker sollten weiterhin ihren Weizen bekommen und die Brauer ausschließlich die Gerste.

Deshalb steht da „Gerste“ im „Reinheitsgebot“ und nicht „Getreide“?

Ursprünglich waren drei Zutaten benannt. Von Hefe wusste man ja noch nichts. Also Gerste, Wasser und Hopfen. Aber Gerste verwendet ja heute auch keine Industriebrauerei mehr. Das ist ja immer Malz, also vermälzte Gerste. Damals wurde Rohgerste verwendet.

Und die Hefe?

Keiner wusste 1516 von der Existenz oder den Effekten von Hefe. Das Ergebnis des Brauprozesses war ein Zufallsprodukt. Die Hefepartikel aus der Umwelt setzten in großen offenen Bottichen eine Spontangärung in Gang. So wird ja auch heute noch hier und da gebraut. In Belgien zum Beispiel werden immer noch Biere hergestellt, die spontan vergoren sind, ohne aktiv eine Hefekultur hinzuzufügen. Aber das dauert natürlich lange.

Ist das ohne gemälzte Gerste ein anderer Brauprozess?

Wenn man das Ganze mit Wasser erhitzt, löst sich ja auch aus Rohgerste die Stärke. Aber ohnehin sollte niemand davon ausgehen, dass heute noch wie vor 500 Jahren gebraut wird. Die Technologie ist natürlich viel weiter. Angefangen beim Wasser. Das wird in der Regel aufbereitet, pH-Werte werden eingestellt und so weiter. Das steht alles in diesem Gesetzestext von 1993, der eigentlich festlegt, wie wir alle brauen dürfen, um es hinterher Bier nennen zu können.

Das „Reinheitsgebot“ ist also ein zeitgenössisches Gesetz?

Darin steht zum Beispiel auch, dass der Kunststoff PVPP, also Polyvinylpolypyrrolidon, zum Filtrieren verwendet werden darf. Nur davon weiß der Konsument nichts. Weil ihm immer vorgegaukelt wird, das „Reinheitsgebot“ von 1516 erlaube nur diese vier genannten Zutaten im Bier. Und das sei ein Qualitätssigel. Das ist mitnichten so. Letztlich sagt das Gesetz auch nichts über die Qualitäten von verwendeter Gerste oder Hopfen. Alter Hopfen riecht zum Beispiel relativ schnell käsig. Das schmeckt man unter Umständen auch im Bier.

Es geht also schon immer um die Festlegung auf ein Rezept und nicht auf Qualitätsstandards? Als würde ich sagen, jede Pizza muss mit Hefeteig, Tomatensauce und Käse gemacht werden. Diese Zutaten können aber dennoch der letzte Ramsch sein.

Genau. Es geht um vier Zutaten. Plus den ganzen technischen Aufwand, der zusätzlich betrieben werden darf, aber nicht muss. Wir Mikrobrauer filtrieren unsere Biere zum Beispiel nicht. Das heißt, bei uns gelangen auch keine Kunststoffpartikel ins Bier. Im Gesetzestext steht, die zum Filtrieren verwendeten Kunststoffe müssen dem Bier wieder entzogen werden – bis auf das technisch Unvermeidbare. Was ist denn jetzt technisch unvermeidbar? Mich als Endverbraucher würde das interessieren. Aber da ist dann halt ein Stempel drauf: „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516.“ Mehr nicht.

Marketing und Einschränkung

Also ein Marketingtrick. Oder sogar eine Marketinglüge?

Der Begriff „Reinheitsgebot“, der nicht einmal im Gesetz steht, wird vom Brauer-Bund sehr effektiv ausgeschlachtet.

Aber profitiert denn dann nicht jeder deutsche Brauer von diesem Marketing?

13054538_10206282407598955_1577142109_oDie Entwicklung hin zum Craft Beer wird ja gerne als Panscherei abgetan. Die meisten Biere sind aber auch bei uns innerhalb des Reinheitsgebotes gebraut. Wir hatten bei mashsee mal zwei Sorten mit zusätzlichen natürlichen Zutaten. Ein Bier war mit gerösteten und gemahlenen Kakaobohnen gebraut. Das Xoco IPA. Und das andere war ein traditionelles belgisches Weißbier, also ein Wit, mit Koriander- und Kardamomsamen, Süßholzwurzel, Orangen- und Zitronenabrieb. Sogar in Bioqualität. Unser Very White Pornstar Das darf ich dann aber nicht mit der Bezeichnung „Bier“ in den Handel bringen, weil es eben nicht dem Gesetz entspricht. Außerdem muss ich mir beim Amt eine kostenpflichtige Sondergenehmigung holen.

Das „Reinheitsgebot“ also als Einschränkung?

Auch eine wettbewerbsrechtliche. Jeder ausländische Brauer darf mit allem brauen, was in seinem Land noch einem Bier entspricht. Und dann darf er das in Deutschland auch als Bier verkaufen. Wenn ein Belgier also hier bei uns sein in Belgien gebrautes Witbier verkaufen will, darf er es auch so nennen. Wir mussten uns auf das Wort „Wit“ beschränken. Mit dem Zusatz „besonderes Bier“. Das klingt allerdings immerhin hochwertiger, absurderweise. Wir haben ja auch in Deutschland alte Bierstile. Die Goslarsche Gose wurde mit Koriander und Salz gebraut. Und obwohl einige Jahre nach 1516 unter anderem Koriander wieder im Bier zugelassen war, muss sich die Brauerei, die das heute braut, eine Ausnahmegenehmigung holen.

Es gibt also nicht einmal eine Kontinuität eines „Reinheitsgebotes“?

Vermutlich ist nur nachweisbar, dass dieser eine Erlass, der heute „Reinheitsgebot“ genannt wird, am 23. April 1516 veröffentlicht wurde. Das druckt man sich dann heute auf eine schicke Urkunde und feiert Jubiläum. Der Rest ist konstruiert.

Makro und Mikro

Warum erkennt die Bierlobby das denn nicht als Chance, das heutige Gesetz um weitere Optionen zu erweitern?

Das sollte man meinen. Die Verwendung weiterer natürlicher Zutaten täte dem Bier ja nur gut.

Lernen von den Mikrobrauereien?

Wir Mikrobrauer erlegen uns außerdem bei der Qualität viel engere Regeln auf, eine Art Natürlichkeitsgebot, das eben bestimmte Tricks ausschließt. Es gibt bei uns tatsächlich so eine Art Ehrenkodex, nicht mit chemischen Hilfsmitteln oder Filtrationen zu arbeiten.

Es gibt einen solchen Ehrenkodex doch auch bei Mikrobrauereien außerhalb Deutschlands, obwohl die nicht mit „Reinheitsgeboten“ zu kämpfen haben? Der Craft-Beer-Pionier Sierra Nevada behauptet ja, trotz der Erfolgsgeschichte noch mit den ursprünglichen Ansprüchen zu brauen.

Natürlich kann man bei denen nicht mehr von handwerklicher Brauerei reden, bei einer Jahresproduktion, die etwa so groß ist wie die der Beck’s-Brauerei. Die arbeiten also nach inzwischen 30 Jahren in ganz anderen Dimensionen. Aber die Einstellung gegenüber dem Produkt ist geblieben.

Was unterscheidet Sierra Nevada in der Produktion denn von Beck’s – bei gleichem Output?

Hinter Beck’s steht zunächst der größte Brauereikonzern der Welt, Anheuser-Busch InBev. Da zählt nur eines: maximaler Profit bei möglichst geringen Produktionskosten. Ken Grossman, der Gründer von Sierra Nevada, ist ja hingegen auch heute noch Teil der Firmenleitung. Der hat einfach Lust auf Biervielfalt. Die vergeben Stipendien für Nachwuchsbrauer, verfügen über kleinere Anlagen, um immer neue Rezepturen ausprobieren zu können.

Neuerdings versucht Beck’s ja auch, mit einigen neuen Sorten auf den Craft-Beer-Zug aufzuspringen.

Das zeigt ja nur, dass wir Mikrobrauer etwas richtig machen. Anheuser-Busch InBev ist ja auch in den USA auf Einkaufstour und sucht nach kleinen Craft-Beer-Brauereien. Die wollen sich weltweit breit aufstellen, von allen profitieren, aber eben immer noch vor allem viel Geld verdienen.

Werden sich die eingekauften kleinen Marken als Teil des Konzerns verändern?

Mit Sicherheit. Du hast ja in einem solchen Riesenkonzern nicht mehr die Unabhängigkeit wie als kleines Unternehmen. Da regiert immer das Marketing. Und ab einer bestimmten Konzerngröße kann das Produkt nicht mehr so viele Ecken und Kanten haben wie bei uns. Spektakuläres geht da eben nicht. Sondern eher die Massenprodukte, wie speziell die auch immer vermarktet werden.

Dagegen stehen die unabhängigen Brauereien mit mehr Spielraum.

Unsere Kunden kommen ja, weil sie etwas anderes wollen, als das, was sie schon kennen. Biere, die nicht so langweilig, schlank und nur herb sind. Dann kommen wir mit vollmundigen, fruchtigen, hopfenaromatischen Bieren um die Ecke. Das ist übrigens auch alles im Rahmen des „Reinheitsgebots“ möglich. Da lässt sich nur mit den vier Grundzutaten viel machen. Stichwort Kalthopfung: Da wird der Hopfen abschließend nochmal dem kalten Sud zugesetzt, um dabei seine ätherischen Öle ins Bier zu bringen und so den Geschmack maßgeblich zu beeinflussen. Das ist natürlich viel aufwendiger als bei Industriebieren und würde sich für die Konzerne nicht rechnen.

Ihr expandiert ja auch gerade. Wenn man plötzlich mehr Output hat und mehr Umsatz anstrebt: Muss man dann nicht auch als Craft-Beer-Brauer Zugeständnisse machen?

Wir denken jedenfalls nicht so. Bei uns steht die Qualität des Produktes im Vordergrund. Dann ist es egal, ob ich 100 Liter oder 10.000 Liter produziere.

Geschmack und Norm

Ist das denn technisch noch machbar? Kann ich in einer Riesenbrauerei wie der von Sierra Nevada tatsächlich auf die gleiche Weise Bier herstellen wie auf einer kleinen 150-Liter-Experimantal-Anlage?

Die kleine Anlage hat sogar Nachteile. Aber generell schmeckt das Bier aus jeder Anlage anders. Die bringen jeweils durch ihren individuellen Aufbau einen eigenen, charakteristischen Geschmack ins Bier. Zum Beispiel hat Anheuser-Busch intern mal einen Test gemacht, welches Beck’s-Pils aus den unterschiedlichen Produktionsstandorten das beste ist. Da hat damals tatsächlich das Bier aus der Gilde-Brauerei hier um die Ecke am besten abgeschnitten. Das wurde ausschließlich für den Export nach Italien produziert. Damals gehörte Gilde noch zu Anheuser-Busch, aber die Anlage war viel größer, als es die Marke Gilde benötigte. Entsprechend wurde da eben unter anderem Beck’s für Auslandsmärkte produziert. Und das beste Beck’s kam dann eben aus Hannover, nicht aus Bremen.

Jede Anlage hat ihren eigenen Geschmack?

13084207_10206282407558954_216081185_nDas ist auch bei uns so. Außerdem sind Gerstenmalz und Hopfen ja auch Naturprodukte. Beim Wein geht es viel um Jahrgänge und Ernten. Beim Hopfen ist das nichts anderes. Und wenn wir nun mal bis zu zehn Mal mehr Hopfen verwenden als die Industriebrauer, dann gibt es naturgemäß Schwankungen in den einzelnen Suden. Wir finden das gut so. Wir wollen kein technisch genormtes, immer gleich schmeckendes Produkt haben. Und wir passen unsere Rezepturen auch immer wieder an. Beim Trainingslager haben wir nach und nach die Hopfendosis in der Kalthopfung erhöht. Um das Produkt auch klar von solchen mit weniger Hopfen zu distanzieren. Wie unserem neuen Beverly Pils.

Das ist ja schon ein übler Kalauer. Freunde von mir würden in Kombination mit dem quietschigen Etikett gleich „Hipsterkram“ rufen und behaupten, da ginge es nur um Image und Lifestyle, nicht um Geschmack oder Qualität.

Wir wollen natürlich weg von diesem klassischen Goldrand-Image der deutschen Bierindustrie. Auch die Konzerne machen ja inzwischen ein anderes Marketing. Was sich bei denen leider auch auf die Flaschenfarbe auswirkt. Braunes Glas ist denen nicht stylish genug für die junge Zielgruppe. Nur dass eben das Produkt in einer grünen oder weißen Flasche noch viel mehr unter dem UV-Einfluss leidet als ohnehin in einer braunen schon.

Die Hipster-Hasser feiern ja oft einfach nur simple, ehrliche, bodenständige Produkte und halten alles andere für Schnickschnack.

Letztendlich reden wir über Genussmittel. Und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Ich kann da nur sagen: „Bevor du dir ’ne Meinung bildest, teste das Produkt. Mach dir mal ’ne Flasche auf, probier den Inhalt. Wenn’s dir dann nicht schmeckt: ok.“ Wir arbeiten schließlich mit den intensiven Bieren auch immer in einer Nische.

Wird das immer eine Nische bleiben? Geht es nicht darum, alle von eurer Philosophie zu überzeugen?

Dann wären wir ja ein Massenprodukt. Ein Teil unserer Zielgruppe sind Menschen, die in den letzten Jahren wenig oder gar kein Bier getrunken haben. Die schätzen, dass wir andere Biere machen, fruchtigere, aromatischere. Wir sehen uns also als sinnvolle Ergänzung zu den Mainstream-Bieren. Und wollen nicht auch noch selbst welche herstellen. Dem Preiskampf könnten und wollten wir auch gar nicht standhalten. Natürlich geht auch mit Spezialbieren mehr Menge als wir jetzt haben. Wir Mikrobrauer in Deutschland machen die Nische zur Zeit gemeinsam größer. Das tut dem Bier insgesamt gut, dass es als Produkt generell wieder mehr Aufmerksamkeit erhält. Das sieht auch die Bierlobby so. Wir machen Biere, weil wir Lust dazu haben. Und solche, die uns selbst schmecken. Frag mal die Braumeister in der Bremer Großbrauerei, ob die ihr Bier alle auch selbst trinken. Ich hingegen könnte in meinem Bier baden.

Technik und Aroma

Also doch ein wenig missionarischer Eifer?

Auf dem Rückenetikett unseres neuen Beverly Pils ist ein kleiner Seitenhieb auf das Thema „Reinheitsgebot“ versteckt: „Ein kalt gehopftes und unfiltriertes Pils? Gehört sich eigentlich nicht. Ist aber so außergewöhnlich lecker, dass es aus der tristen Masse hervorsticht – und es kommt dabei ganz ohne Schönheitskorrekturen aus.“ Die Ärzte in Beverly Hills setzen ja eher auf Plastik. So wie viele Industriebrauereien beim Thema Filtration.

Mit welchen Tricks arbeitet die Industrie eigentlich noch?

Der Umgang mit Hopfen ist ein ganz anderer. Die Industrie interessiert ja nur der Bitterstoff, den Hopfen liefert. Nicht wie bei uns die Aromastoffe in dessen ätherischen Ölen. Also arbeitet man aus Kostengründen mit Hopfenextrakten, in denen nur die Bitterstoffe gelöst sind. Dabei entsteht eine gelartige Substanz, die deutlich platzsparender ist als Hopfenpellets.

Also weniger Aroma?

Gar keines. Nur Bitterstoffe. Die nutzen wir ja auch. Wir machen unser Bier auch bitter, meistens sogar bitterer als jede Industriebrauerei. Denen fehlt aber das, was für uns so kostbar ist: die ätherischen Öle.

Beim Craft Beer wählt ihr aus über hundert internationalen Hopfensorten aus, um ein bestimmtes aromatisches Ergebnis zu erzielen. Braut die Industrie immer mit den gleichen Hofensorten?

Das kannst du gar nicht unterscheiden. Völlig egal, aus welcher Hopfensorte das Extrakt hergestellt wird. Bitter ist bitter.

Ist der völlig andere Einsatz von Hopfen das Hauptkriterium, das Craft Beer unterscheidet?

Schon auch das Malz. Bei unserem Trainingslager verwenden wir vier Malzsorten. Wir bringen mit Spezialmalzen im Gegensatz zu einem Industrie-Lager mehr Körper und Volumen rein, und damit auch mehr Vollmundigkeit.

Bürokratie und Schizophrenie

Aber es wird, so wie das Reinheitsgebot es vorschreibt, immer noch fast ausschließlich Gerstenmalz verwendet?

Mashsee BierDas Malz macht ja den Bierstil aus. Am meisten wird natürlich Pils getrunken. Weißbier ist allerdings eine Sache für sich. Das wird ja aus Weizen gebraut und war natürlich ursprünglich gegen das „Reinheitsgebot“. Aktuell hat die Erdinger-Brauerei da eine Auseinandersetzung, die dürfen auf ihre Etiketten nicht mehr schreiben: „Getreu dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516“. Weil ja damals genau das gesagt wurde: Kein Bier mehr aus Weizen, nur noch welches aus Gerste. Das ist das Schizophrene – gerade die Bayern propagieren ein angebliches „Reinheitsgebot“ und brauen selbst völlig daran vorbei.

Vom Weißbier abgesehen sind aber ja die heute populären Bierstile aus dem Reinheitsgebot mit seiner Einschränkung auf Gerste erst hervorgegangen. Würden wir sonst heute ganz andere Biere trinken?

Wer weiß. Natürlich wurde früher auch alles mögliche verbraut, was man so im Wald fand. Pilze und Kräuter. Da war auch eine halluzinogene Wirkung nicht ausgeschlossen. Heute sind wir uns einig: das gehört nicht ins Bier. Aber bei allem aus der Natur, das nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt oder sonstwie gefährlich ist, kann doch eigentlich der Kunde entscheiden, ob ihm das schmeckt. Ist doch viel besser als künstliche Aromastoffe. Unser Beverly Pils hat zum Beispiel durch den Citra-Hopfen eine harzige Zitrusnote. Die meisten Deutschen trinken gerne Radler, also in der Regel auch ein Pils, das mit einer fürchterlich zuckerhaltigen Limonade gespritzt ist. Da frage ich mich, was besser ist. Nun ist unser Bier im „Reinheitsgebot“ und das Zitrusaroma kommt aus dem Hopfen. Man könnte aber ja auch mit Zitronen- oder Orangenschalen arbeiten. Das wäre immer noch ein Naturprodukt, man könnte sich also die künstliche, zuckerhaltige Limonade sparen. Darf aber nur mit Sondergenehmigung und als „besonderes Bier“ gebraut werden. Zumindest in Niedersachsen. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es gleich gar keine Ausnahmen.

Das ist nicht einheitlich geregelt?

Das ist Ländersache. Du kannst in Bayern Biere außerhalb des „Reinheitsgebots“ zwar verkaufen, aber nicht herstellen. Unser Belgisches Wit ist ein gutes Beispiel. Das war ja eine Kooperation mit Hans Christian Müller von Hanscraft & Co. in Aschaffenburg. Da darf der sowas nach bayrischem Recht nicht brauen. Wir haben das also gemeinsam in Niedersachsen mit Ausnahmegenehmigung gemacht. Und dann sogar auf einer Messe in München vor den Augen des bayrischen Brauerbundes vorgestellt. Das war dann legal. Da entsteht also auch schon innerhalb der Bundesrepublik eine Wettbewerbsverzerrung.

Was ist, wenn ich in Bayern etwas außerhalb des „Reinheitsgebotes“ braue, es aber erst gar nicht Bier nenne?

Ein schönes Beispiel ist das Milk Stout von der Brauerei Camba Bavaria vom Chiemsee. Das ist ein international anerkannter Bierstil, bei dem mit Milchsäurebakterien gebraut wird. Damit haben die auch im Ausland Preise abgeräumt. Dann kam der Brauerbund und sagte: Kein Bier laut Gesetz. Auch kein Biermischgetränk oder irgendwas. Es muss aber auf dem Etikett erkennbar sein, um was es sich handelt, „Limonade“ oder „Leckeres Getränk“ wäre auch nicht gegangen. Die Hersteller mussten es also vom Markt nehmen. Als sie dann beim Zoll die bereits gezahlte Biersteuer zurückforderten, sagten die: Ihr habt ein Bier hergestellt, also ist das auch biersteuerpflichtig. Willkommen in Bayern. Es gibt kein Entrinnen.

Kolja Gigla & Alexander Herold

Menge und Vielfalt

Ausgerechnet Bayern macht ja Werbung mit der größten deutschen Biervielfalt. Jeder Gasthof braut da ja eigenes Bier.

Aber was brauen die denn? Helles, Pils, Hefeweizen und saisonal vielleicht noch einen Bock. Alle die gleichen Bierstile. Biervielfalt bedeutet ja nicht eine hohe Anzahl von Brauereibetrieben. Natürlich gibt es Geschmacksnuancen, die Hopfenmenge oder Malzzusammenstellung ist nicht immer gleich. Aber unter dem Strich muss man doch sagen: Der Durchschnittsdeutsche kennt maximal sieben oder acht Bierstile. Es gibt weltweit aber über hundert. Dabei halten wir uns dann für die Biertrinkernation Nummer eins.

Aber grundsätzlich hälst du eine gesetzliche Regelung für notwendig, um Niveau und Qualität von Bier in Deutschland festzulegen?

Sonst fangen gerade die Großkonzerne aus dem Ausland an, ganz wild zu panschen. Momentan sind die, wenn sie hier in Deutschland brauen, diesem Gesetz nun mal unterlegen. Wenn das Vorläufige Biergesetz von 1993 jetzt kippen würde, wäre das fatal. Das kann durchaus passieren, wenn eine ausländische Brauerei sich in Deutschland niederlässt. Stone Brewing aus San Diego in den USA baut zum Beispiel in Berlin, mit einer geschätzten Investitionssumme von 25 Millionen Euro. Die haben zum Beispiel das Xocovesa im Programm, das auch mit Kakao gebraut ist. Wenn die das eines Tages in Berlin brauen wollen und der Brauerbund verhindert das mit Hinweis aufs Gesetz, kann das schnell zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof werden. Und die hätten die finanziellen Mittel, einen solchen Kampf auch auszufechten. Die Gefahr ist aber: Sollte jemand das geltende Gesetz auf hoher Ebene anfechten, könnte es aus Wettbewerbsgründen komplett kippen. Und das wollen wir alle nicht. Denn dann ist der Weg frei, dass Gottweißwas ins Bier kommen kann. Es gibt US-amerikanische Brauereien, die statt Gerstenmalz mit Mais als Stärkelieferant arbeiten, weil das billiger ist. Das ist vielleicht noch Geschmackssache. Aber was die technischen Hilfsmittel und die verwendeten Chemikalien betrifft, könnte das viel gruseliger werden. Kein Mensch möchte also, dass das „Reinheitsgebot“ komplett verschwindet, sondern eben, dass es sinnvoll der heutigen Zeit angepasst wird.

Du würdest dir also zum Geburtstag des „Reinheitsgebots“ wünschen, dass es sich verändert?

Auch die Deklaration ist wichtig. Technische Hilfsmittel müssen benannt werden. Es darf mit dem Argument „Reinheitsgebot“ nicht suggeriert werden, es handle sich pauschal um ein qualitativ hochwertiges, reines Produkt. A propos Geburtstag: Unser belgisches Wit, das Very White Pornstar, hängt am 23. April auf einer Anti-Reinheitsgebots-Party bei Stone Brewing in Berlin an einem von 25 Zapfhähnen. Und die haben für die Veranstaltung explizit nur Mikrobrauereien angesprochen, die auch Biere außerhalb des „Reinheitsgebotes“ herstellen. Die haben das Thema genau auf dem Schirm.

(Kolja Gigla betritt den Raum. Die letzte Frage richtet sich an beide:) Was würdet ihr außerhalb des „Reinheitsgebotes“ gerne mal ausprobieren?

[Kolja Gigla:] Fenchel würde mich interessieren. Ich glaube, das harmoniert gut mit Bier.

[Alexander Herold:] Ich würde ja gerne mal was mit Vanille machen. Ich liebe Vanille.

Bildquellen

  • Mashsee Bier: © mashsee
  • Eine Brauanlage: Thomas Kaestle