Remix statt Rezension: Rettungsleine

Unser Autor hatte keine Lust auf eine Rezension – also hat er einen kurzen Remix von Maja Loewes Buch Die Augen des Iriden geschrieben.

Wir liegen auf dem Rücken und betrachten die Bilder.
Wo bist du, fragt Annika von Zeit zu Zeit, sie ist kaum zu hören.
Am Meer, sage ich, hier ist Licht.
Annika lacht, von irgendwo aus dem Himmel, als lache sie durch Stahl.
Ich sage nichts, ich sage immer nichts, wenn sie lacht; das ist die Droge. Was ich sage. Wie sie darüber denkt.
Weit weg von mir liegt meine Hand, das weiß ich, wenn ich mich konzentriere, die Augen schließe, versuche, den Wind, das Meer, die Sonne, diese ganzen simplen Dinge, auszublenden, kann ich sie fühlen. Meine Hand, die in Annikas hängt, wie eine Rettungsleine, die mir langsam entgleitet.

Probier das, sagt Annika, wir sitzen in unserer Küche, auf den Stühlen, die fast auseinander fallen, sie hat weite Pupillen, hibbelt, sitzt unruhig, spielt mit den Plastikblumen auf dem Tisch. Die andere Hand streckt sie mir entgegen, eine gelbe Pille darauf.
Ich frage nicht: Was ist das?, sie weiß es wahrscheinlich genauso wenig wie ich, und was es macht, sehe ich. Hibbelig. Annika schaut mich jetzt nicht mehr an, sie starrt auf die Plastikpflanze, streicht ihr über die Blätter, die ihm viel zu frühen Morgenlicht sanft glänzen.
Wo hast du das her?, frage ich.
Nimm, sagt sie.

Ich laufe am Strand entlang, barfuss, der Sand knirscht unter meinen Füßen, das überrascht mich immer wieder, genau wie das Rauschen und das Salz in der Luft; es ist da, als würde ich wahnsinnig. Ich fühle ihre Hand immer noch, das Echo ihres Lachens verliert sich in dem der Möwen, ich stelle mir vor, dass ihre Hand länger wird, sich dehnt, eine Rettungsleine, die langsam, aber sicher ausdünnt. Das sind nur Vorstellungen, im Bild funktioniert der Raum anders.

Selbstverständlich nehme ich die Pille, ich habe solche Dinge noch nie abgelehnt, Annika ist von ihrem Stuhl aufgestanden, dreht sich in der Küche, schaut sich um, auf der Suche nach etwas, das nur sie sehen kann, und ich stelle sie mir vor, in einem Keller, vermute ich, irgendwo unter der Stadt. Sie tanzt durch die Lichter, kaum mehr als ein Schatten, immer wieder anders bunt beleuchtet.

Endlichkeit ist anders, der Strand ist unendlich, vielleicht mit nicht wahrnehmbarer Rundung angelegt, vielleicht wickelt sich Annikas Arm immer weiter um mich, ausgedünnt, unsichtbar, wo Annika ist, weiß ich nicht. Ich lege mich in den dahingetupften Sand.
Kann man hier hängenbleiben?, frage ich, mit einem Mund oder dem anderen, der rotierende Himmel antwortet nicht.

Ich schaue Annika einer halben Stunde beim Tänzeln durch die Küche zu, beim Starren, dann starre ich selber, fürs Tänzeln bin ich nicht der Typ. Es gibt Morgenlicht, die Plastikblätter der Pflanze, es gibt Annika, die meine Hand nimmt, die echte, da noch, so, dass ich es sehen kann.
Komm, sagt sie, wir legen uns hin.

Ich erinnere mich nur vage an alles vor dem Strand, je länger ich hier liege, den Sand durch meine Finger rinnen lasse, desto mehr ist das alles, was es gibt. Ich erinnere mich an Musik, Annika hatte welche angemacht, ich höre sie nicht mehr, vielleicht läuft sie noch, weit weg, vielleicht nicht mehr. Ich erinnere mich an Annika, ich versuche, ihre Hand zu tasten, das ausgedünnte etwas, da ist kaum noch eine Rettungsleine.

 

Maja_Loewe_Die_Augen_des_Iriden_digital

Maja Loewe: Die Augen des Iriden

Papierverzierer, 2015

ISBN: 9783944544977

e-Book: 3,99 €

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