Apparate zu Filtern – Teil 1: Von Kodak über Polaroid zu Instagram.
Mit der ersten Kodak-Kamera wurde Fotografieren so einfach wie Hingucken und Beschreiben, Polaroid machte aus der Fotografie ein sofortiges Ausdrucksmittel und Instagram löste alle technischen, zeitlichen und räumlichen Schwellen auf.
Sofortbild als Telos der fotografischen Technik
Seit 1889, als George Eastman mit dem Slogan „You press the button – We do the rest“ seine Kodak Nr. 1 Kamera propagierte, war Fotografieren so einfach wie Hingucken und Beschreiben. Zumindest war das die Werbeideologie, die sich bis ins späte 20. Jahrhundert in den Köpfen der Menschen eingebrannt hatte. Tatsächlich war Fotografie aber lange Zeit und trotz Eastman-Kodaks Entwicklungsdienst, bei dem man die preisgünstige Kamera mit dem noch preisgünstigeren Rollenfilm einfach einschickte, um dann die fertigen Abzüge und die Kamera mit bereits eingelegtem, frischen Film zurückzubekommen, eine sehr hochschwellige, spezialistische Tätigkeit. Nicht nur, dass es mehrere Wochen dauerte, bis man endlich sehen konnte, was man gemacht hatte, man sah auch, wie schlecht die Motivwahl war, wie unzureichend ausgeleuchtet es war, wie stümperhaft sich die Modelle verhielten – kurz, wie viel Aufwand man betreiben müsste, damit Fotos entstehen würden, die dem Zweck dienen könnten, deretwegen man privat fotografierte: nämlich das eigene Leben und die eigenen Interessen auszudrücken. Der umständliche technische Prozess, in den man eintreten musste und dem man unterworfen war, egal wie kundenfreundlich gestaltet er sich gab, war nicht dazu angetan, distanzierte Fotografie immer davon, dass sie alltäglich war. Fotos waren immer etwas Besonderes, besonders dann, wenn sie als etwas völlig Gewöhnliches vermarktet wurden.
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Hinzu kam, dass auf Fotografie von Beginn ihrer Existenz an, eine paradoxe Ideologie lastete. Nämlich, dass sie naturalistisch sei. William Henry Fox Talbot hatte es schon 1844 im Titel einer der ersten Foto-Studien der Welt formuliert, dass Fotografie nämlich „Der Stift der Natur“ sei, dass Fotos vom Licht allein gezeichnet würden und der Knipser keinerlei Einfluss darauf hätte. Fotos zeigen das, was ist, war die Ansage, und diese Überzeugung steckt immer noch in allen Diskussionen über Bildmanipulation. Gleichzeitig, und deshalb ist diese Ideologie so paradox, machten Menschen dauernd die Erfahrung, dass es eben nicht so aussah, wie sie es gesehen hatte, dass die Gesichter verzerrt und fahl waren, die Mimik unbekannt und die Posen unnatürlich. Und die einzige Erklärung, die sich dann bot, war, dass sie mit der Technik nicht umgehen konnten, denn an der Technik konnte es ja nicht liegen, die ließ sich ja immer nur vom Licht beschreiben.
Fotografie war ein Versprechen, eine allgemein verwendbare Sprache zu sein, das sich nicht einlöste. Dafür musste man sich mit viel zu viel Grammatik beschäftigen, also den Regeln und den Strukturen für die Erzeugung von richtigen Äußerungen. Das verhinderte immer, das man zu den interessanteren und individuelleren Sprachaspekten wie Semantik und Pragmatik vorstoßen konnte, wo es um die Bedeutung der Einzelteile und die Angemessenheit von Äußerungen für bestimmte Kontexte geht. Es gab immer künstlerische Fotografen, die das konnten, weil sie die Grammatik virtuos beherrschten, aber das war eine kleine Gruppe von Menschen und mit Alltagkommunikation hatte das nichts zu tun.
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Dass Fotografie niederschwellig und als sofortiges Ausdrucksmittel daherkommen konnte und Leute sich sofort damit unterhalten konnten, passierte zum ersten Mal, als 1973 die Firma Polaroid ihre SX-70 Sofortbildkamera herausbrachte. Aus ihr schoben sich nach dem Knipsen Postkartenartige Papierstücke, auf denen sich ein quadratischer Fotoausschnitt befand, der sich vor den Augen der um die Kamera versammelten Menschen innerhalb von vier Minuten selbst entwickelten. Und mit diesen Artefakten begann dann tatsächlich so etwas wie der Gebrauch von Fotografie als Sprache und nicht bloß als Monumentalisierung des Vergangenen. Auf Partys zeigte man sich, wie man sich gerade zusammmen befand, man unterschrieb auf den Papierstreifen des Sofortbildes, machte Kommentare, wischte auf den sich entwickelnden Bildern herum, um sie in dem Moment lustig werden zu lassen. Mit Naturalismus hatte das nichts mehr zu tun, stattdessen walteten Impressionismus, Expressionismus und alle sonstigen -ismen der ästhetischen Moderne. So nannte man dann auch das, was da passierte, nicht Foto, sondern es war etwas Eigenständiges, es war Polaroid, egal, ob es nun von dieser Firma kam oder von schnell aufsprießenden Nachahmern. So wie kleine Zellstofftücher Tempos sind und nicht Taschentücher, oder kleine Heißluftgebläse Föne und nicht Haartrocknungsgeräte.
Hätte es nicht die digitale Revolution gegeben, die den ganzen Filmstreifen-Chemie-Papierkomplex des Fotografischen als absurden Atavismus entlarvt hat, Sofortbild hätte sich wohl immer weiter entwickelt zu einer immer ausgefeilteren und immer geschmeidigeren Möglichkeit des sozialen fotografischen Austauschs. Aber das war nicht mehr möglich und nötig, Prozessoren lieferten sowohl die kleineren, handlicheren, automatischeren Apparate, vor allem aber befreiten sie Fotografieren von den erheblichen Kosten für Papierabzüge, was zur Hauptmotivation von Endnutzern wurde, zur Digitalkamera zu wechseln.
Nostalgie als Kunstontologie
Dass sich seit 2010 der Social Media-Fotodienst Instagram im Design an dem nikotinbraunen Plastik und den Regenbögen der 1970er Polaroid-Firma orientiert, zeigt nun, in welcher kulturtechnischen Tradition sich dieses Programm befindet. Instagram ist Sofortbild ohne jegliche technische Schwelle, kein anderes Gerät ist nötig als das, was man ohnehin schon für alles Mögliche in Händen hält, kein Programm muss installiert werden, sondern nur so eine Art Knopf gekauft werden, fotografiert wird sofort, das Bild sieht man sofort, man kann sofort einen lustigen Filter drauf legen, um es zu einem persönlichen Ausdruck werden zu lassen, man kann es mit einem weiteren Knopfdruck allen zeigen, die nicht um einen herumstehen. Es ist die Perfektionierung von Fotografie als alltäglicher Ausdruck. Es ist überhaupt nichts Besonderes, und damit löst sich ein kulturtechnisches Versprechen nach über anderthalb Jahrhunderten endlich ein. Nachdem wir reden konnten, wie uns der Schnabel gewachsen ist, ohne dafür Poet sein zu müssen, können wir nun fotografieren, wie uns die Augen im Gesicht sitzen, ohne dass wir Henri Carter-Bresson, Alfred Stieglitz, John Szarkowski oder ein sonstiger Fotokünstler sein müssen. Wir sehen sofort die technische Fassung dessen, was wir sehen wollen, wir können sofort seine Anmutung ändern, um es stärker unseren expressiven Vorstellungen anzunähern, und wir können es sofort in ein Sozialgefüge geben, um es für einen kommunikativen Akt zu benutzen.
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Obwohl dieser Prozess nur die endgültige Realisierung dessen ist, was das Fotografieren seit spätestens 1889 versprochen hatte, und obwohl er sich an einem 40 Jahre alten Design orientiert, mithin also selbst als retroistisch oder gar nostalgisch verstanden werden könnte, wird er von einigen Menschen als degeneriert empfunden, als Abbau von kulturellen Errungenschaften der Vergangenheit. Rollenfilm einlegen, Belichtungszeit bestimmen, Blenden einstellen zu können, das richtige Objektiv mit der optimalen Brennweite parat zu haben, im schummrigen Rotlicht der eigenen Dunkelkammer zu wissen, wie lange das Papier belichtet und dann in Plastikwannen gebadet werden muss, die Freude darüber, dass von 36 Aufnahmen unglaubliche 15 wirklich gut geworden sind, die sich durch die Produktionszeitpunkte und abfotografierten Filme ergebende Reihenfolge der Aufnahmen in Fotoalben, überhaupt die dicken Kunstlederbände, die dekorativ im Wohnzimmerschrank standen – alles das wird als eine ästhetische Praxis von hohem Wert verstanden, die nun durch die Trivialisierung von winzigen Digitalkameras in Handys mit automatischem Filter- und Verbreitungsprogramm verschwindet. Die Simulation dieser Praxis durch ein Programm in einem unspezifischen Apparat lässt Menschen nostalgisch werden, und es zeigt, was das Spezifische an dieser Form der Kulturkritik ist. Nostalgie ist die Sehnsucht nach bestimmten Umgebungen, in denen man sozialisiert worden ist und die nicht mehr in dieser Form existieren. Umgebungen konstituieren sich aus all den Materialitäten, die untereinander verbunden in bestimmter Beziehung zu einer Person oder einer anderen Bezugsgröße stehen. Nostalgie ist deshalb genauer gesagt die Sehnsucht, dass sich bestimmte Materialitäten in bestimmten Formen und in bestimmter Funktion wieder in dieser Beziehung zu einem selbst befinden sollen – wahrscheinlich deshalb, weil man auf sich in der Vergangenheit reflektieren kann und glaubt, sich zu diesem Zeitpunkt verstanden zu haben, was sich vom Gegenwartsgefühl für sich selbst nicht sagen lässt. Und diese Nostalgie schwingt sich in ihrer Rationalisierung so weit hoch, dass sie die vergangene Hochschwelligkeit von Technik als zu bewahrende Kunst versteht.
An dieser Reaktion auf und auch an Instagram selbst – und im Zuge dessen auch an vielen anderen ästhetischen Praktiken, die nun durch ein Programm für einen Mikroprozessor emuliert werden – lässt sich nun ablesen, was wohl immer schon einer der Hauptaspekte war, warum etwas als eine Kunstform begriffen und weiterentwickelt worden ist. Das, was Kunst genannt wird, ist nun erkennbar als die Pflege von historischen technischen Beschränkungen für die Erzeugung bestimmter Formen. Bestimmte Formen, zum Beispiel das fotografische Abbild von Etwas, waren erst möglich, als eine bestimmte Technik erfunden und entwickelt worden war, im Falle der Fotografie eben die Linsen-und-Blenden-Kamera mit photochemischer Platte oder Film. Diese bestimmte Technik hatte bestimmte Funktionsmöglichkeiten, mit denen man lernte, umzugehen. Dass diese Funktionsmöglichkeiten beschränkt waren, eben auf die Erzeugung der bestimmten Formen, wurde nicht wahrgenommen, weil es keine andere Technik gab, diese Formen zu erzeugen, mit der sie hätte verglichen werden können. Im Gegenteil wurde es nicht als Beschränkung, sondern als Erweiterung der Fähigkeiten verstanden. Innerhalb der Grenzen des System wurde dann operiert; Kreativität, Kunstfertigkeit oder gar Virtuosität ergaben sich dann als Verständnis davon, dass entsprechende Ausprägungen der bestimmten Formen der bestimmten Technik nicht dem gewöhnlichen Muster entsprachen, das sich aus den Funktionsmöglichkeiten ergeben würde, sondern etwas darstellten, was vorher nicht denkbar war, was nach seinem Erscheinen allerdings verstanden und bewundert wurde als neuer Umgang mit den bekannten Möglichkeiten und Grenzen. Malerei entwickelte sich als Kunst, als Pinsel, Ölfarbe oder sonstige Pigmentcreme und Leinwand als grundsätzlicher Standard festgelegt waren, Musik wurde irgendwann vorrangig für ein bestimmtes Set an Instrumenten geschrieben, Theater wurde in bestimmten Settings gespielt, Literatur in bestimmten Formaten für bestimmte Vertriebswege produziert; und Fotografie war eben das Bedienen einer Spiegelreflexkamera mit photochemischem Film. Alle Abweichungen von diesem Muster wurden stets als Ausloten oder Hinterfragen dieser Grenzen verstanden, mithin also als ebenso künstlerisch, durch das starke Bewusstsein der Grenzen sogar noch stärker als der Regelfall. „Ist das noch Malerei?“ oder „Ist das noch Musik?“ waren Fragen nach eben diesen Grenzen der bestimmten technischen Beschränkungen für die Erzeugung dieser bestimmten Formen.
Hier geht es zum zweiten Teil.
Bildquellen
- Instagram_Filters_2011: CC-BY-SA 3.0 Jzollman Jessica Zollman
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