Apparate zu Filtern – Teil 2: Fonzie, Filter und Foucault
Mit der ersten Kodak-Kamera wurde Fotografieren so einfach wie Hingucken und Beschreiben, Polaroid machte aus der Fotografie ein sofortiges Ausdrucksmittel und Instagram löste alle technischen, zeitlichen und räumlichen Schwellen auf.
Dies ist der zweite Teil des Textes. Den ersten findet ihr hier: Apparate zu Filtern – Teil 1: Von Kodak über Polaroid zu Instagram.
„Das ist keine richtige Fotografie!“ (und „Das ist ja keine Kunst!“) in Bezug auf Instagram zu sagen ist nun eine Bestimmung dieser Beschränkungen, definiert an der anderen Technik und ihrer sehr viel niederschwelligen Handhabbarkeit. Allerdings – und das macht nun den durch die Digitalisierung und die Computerisierung erzeugten Unterschied zu all den Jahrhunderten vorher aus – ist diese Bestimmung eine retrospektive und kategorische, die durch verblüffend akkurate Emulation bekannter Formen durch eine völlig andere Technik provoziert wird. Techniknostalgie, die Sehnsucht nach den Apparaten, zwischen und mit denen man aufgewachsen ist, macht nun in Zeiten von Anwendungsprogrammen alle Apparate historisch und alles zu Kunst, bei dem Menschen mit Materialitäten hantieren, um Formen zu erzeugen, selbst wenn die Gerätschaften und die Praktiken völlig gegenwärtig und state of the art sind. Das Universalistische des Computers, seine immergleiche Erscheinung als Desktopcomputer, Laptop, Tablet oder Smartphone ist eine phänomenologische Überforderung, wenn verschiedenste Formen von ihm erzeugt werden, die man verschiedensten Apparaten zugeordnet hatte. Wenn Apparate zu Filtern werden, können die Artefakte nur noch als Kommentare verstanden werden, nicht mehr als Ideen.
Das Broadcastphänomen Retro lässt sich nicht emulieren
Was ist nun aber umgekehrt die Motivation der Instagram-Macher und -Benutzer, eine veraltete Ästhetik zu goutieren, sowohl die Hardwaregestaltung der Polaroidkameras wie auch die Effekte ihrer technischen Beschränkung? Und nicht nur diese, mit einer Button-Betätigung erzeugt man nicht nur die Vordergrund-Überbelichtung und den weißen Rand von Sofortbildkameraabzügen, es entsteht auch die Rotstichigkeit von 1970er Jahre Agfa-Film, die Blaustichigkeit von 1980er Jahre Kodak-Film, die Sepia-Tonung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, das harte Film-Noir-Schwarzweiß der 1940er Jahre, die Stockfleckigkeit von schlecht gelagerten Abzügen aus dem neunzehnten Jahrhundert, die Grobkörnigkeit von Anton Corbijn-Fotos und viele andere Effekte mehr. All das, wo sie doch ganz zeitgenössische Ästhetik haben könnten, oder in irgendeiner Weise futuristische, oder auch eine völlig unauffällige, pragmatische, irgendetwas, was Zeichen dieser Zeit sein könnte und nicht das vergangener technischer Beschränkungen; die avancierte Technik würde es ja erlauben.
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Es ist sehr naheliegend, dieses als ein Retro-Phänomen kennzuzeichnen. Als Wiederkehr einer vergangenen Ästhetik im Zeichen der Mode. So wie 8bit-Computerspiel-Pixeligkeit, oder Studio 54-Schlaghosenhaftigkeit, oder Fifties-Nerdbebrilltheit, oder Grunge-Flanellhemdsärmligkeit. Dagegen spricht allerdings vieles, allem voran wieder die Immaterialität des Prozesses. Weder sind Instagram-Filter modisch in dem Sinn, dass eine Ästhetik aufgegriffen wird, sich epidemisch verbreitet, um dann von einer weiteren Ästhetik abgelöst zu werden, und so fort; die Filter bestehen alle gleichzeitig, eklektizistisch, ohne jede Exklusivität oder eigenen Kontext. Noch sind sie retro in dem Sinn, dass hier ironisch oder ernst eine vergangene Ästhetik imitiert wird, in vollem Bewusstsein ihrer Vergangenheit und genau mit diesem Bewusstsein spielend als Erkennungszeichen einer bestimmten eingeweihten Gruppe, die mit den Stilen und Formen der Historie vertraut ist. Die Instagram-Filter mögen diejenigen Apparate, deren Effekte sie imitieren, historisieren, sie selbst sind jedoch außerhalb jeglicher Geschichte. Wer sie benutzt, tut dieses nicht als Kommentar zur vergehenden Gegenwart und zur vergegenwärtigten Vergangenheit, in dem launischen Spiel mit der eigenen Vergänglichkeit und der Genugtuung über das bereits geschehene Vergehen von anderen, sondern aktualisiert sie bei jedem Aufruf und bei jeder Anwendung.
Retro ist ein Modephänomen, das erst entstehen konnte, als es vollständig mit Broadcastmedien sozialisierte Generationen gab. Genauer gesagt erst seit der Generation der Baby Boomer, der zwischen 1946 und 1963 geborenen Menschen, für die Konsumismus, Rock’n Roll und Fernsehen das Habitat waren, in denen sie aufwuchsen. Die erste Retrowelle fand dann auch erst in den 1970er Jahren statt – sehr prominent beispielsweise in der Fernsehserie „Happy Days“ mit der Retro-Ikone Fonzie –, als die Baby Boomer ihre im Kino, am Autoradio und vor dem Fernseher verbrachte Kindheit nachfeierten und sich als Schicksalsgemeinschaft verstehen konnten. Die 50er, 60er, 70er, 80er, 90er Jahre fanden hauptsächlich im Radio und Fernsehen statt, außerdem im Kino und dann in der Videothek, in der Stereoanlage und dem Walkman, immer und überall in der Diskothek, wie immer Disko sie auch gewesen sein mag. Aber nichts von alldem findet sich in der Emulation von Effekten der Apparate der Vergangenheit, keine Sozialisation, keine Mode, nichts. Denn man kann die Programme nicht tragen, sie sich nicht als Zeichen anheften, nicht die Vertrautheit des Eingeborenen mit bestimmten Praktiken demonstrieren. Wenn jeder ohne Aufwand den Filter auf das Foto oder den Sound oder den Film legen kann, dann sagt er nicht mehr „Man muss dabei gewesen sein, um es zu verstehen“ oder „Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen“ oder „Heute ist alles so hässlich, langweilig, uncharmant“.
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Die meisten Benutzer der Instagram-Filter sind nicht dabei gewesen, wollten nicht dabei gewesen sein, sind mit ihrer Gegenwart ziemlich zufrieden. Sie haben keine Ahnung davon, was Agfa-Film war, wie man Sofortbildkameras bediente, wie Anton Corbijn fotografierte oder was eine Dunkelkammer ist. Sie benutzen die Instagram-Filter, weil man sie benutzen kann. Das Historische ihrer Ästhetik ist dann ein Merkmal von vielen, aber sie ist nicht absolut. Der Eklektizismus, den die apparatebefreiten digitalen Emulationen ermöglichen, macht es schwer, sich Tradition oder Geschichtsbewusstsein in der Zukunft vorzustellen; denn diese hängen, so ideengeschichtlich oder philosophisch man auch denken und argumentieren möchte, maßgeblich an Materialitäten, mit denen man operiert hat und mit denen man jetzt immer noch oder wieder hantiert. Aber das Programm nach dem Update ist absolut, es hinterlässt keine alte Fassung, die man loswerden oder aufheben oder weiterbenutzen möchte.Hinzu kommt, dass sich Broadcaststrukturen in Netzwerkkommunikation auflösen und so etwas wie eine Generationensozialisation durch mediales Geschehen in Zukunft schwer denkbar sein wird. Bestimmte Kommunikation fand nur innerhalb meiner Peer-Group statt, so dass ich mit anderen Kontakten nicht diese Vergangenheit teile, zudem befinde ich mich in verschiedenen Peer-Groups, die sich nur teilweise oder gar nicht überlappen, so dass ich selbst verschiedene Vergangenheiten habe, mit denen ich umgehen müsste. Einfacher und erfolgversprechender ist es, sich der Pragmatik der Gegenwart hinzugeben. Wenn Apparate zu Filtern geworden sind, ist jeden Tag alles, was zu einem Ergebnis führt, genau dann genau richtig. Nostalgiker werden aussterben und neue werden sich nicht bilden können, weil es nicht diese materiellen Umgebungen dafür gibt; Retroisten werden unverstandener und exotischer werden, weil sie nicht mehr mit einem Publikum rechnen können, das ihre Geschmacksentscheidung nachvollziehen kann.
Michel Foucault und Gilles Deleuze haben von Dispositiven, also von Anordnungen von Menschen zu Strukturen, unter anderem eben auch zu Medientechnik, gesagt, dass sie immer ideologisch sind; Marshall McLuhan hatte es vorher in sein Bonmot gepresst, dass das Medium die Botschaft sei, die sich vermittele. Das war alles auf klassische Apparate bezogen. Die immateriellen, eklektizistischen, niedrigschwelligen Emulationen ästhetischer Praxis sind zumindest was das Historische angeht nicht mehr ideologisch, oder zumindest nur noch in diesem eine Sinne.
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Bildquellen
- Instagram_Filters_2011: CC-BY-SA 3.0 Jzollman Jessica Zollman
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