Narcos: Koks, Krieg und historische Genauigkeit

Mit Narcos erzählt Netflix die Geschichte des Drogenbarons Pablo Escobar der den Kokainmarkt der 80er beherrschte. Wir haben uns die Serie angeschaut und warten schon auf Staffel 2.

Pablo Escobar war nicht irgendein Drogenbaron. Pablo Escobar war DER Drogenbaron. Escobar war alles, was man sich unter dem Begriff vorstellen kann und mehr. Escobar ist der vermutlich siebt-reichste Mensch der Welt gewesen – dank Kokain. Er war der König des internationalen Koks-Handels: 80% des weltweiten Kokainmarktes gehörten ihm, und ein Großteil des Stoffes ging in die USA. So waren die 80er der USA geprägt vom Koks (und Schulterpolstern) und verantwortlich dafür waren die Geschäfte des jungen Pablo Escobar und sein Traum, Millionär und Präsident Kolumbiens zu werden. Er wurde nicht zuletzt dank unzähliger puderweißer US-amerikanischer Nasen sogar Milliardär – und immerhin fast Präsident.

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Eine Boeing voll Koks und ein Urwald voll Geld

Escobars Kokainexporte waren auf ihrem Höhepunkt so groß, dass er eine Boeing 727 mit zehn Tonnen Kokain in die USA fliegen ließ um damit den Bedarf zu decken.
Irgendwann wusste er jedoch nicht mehr wohin mit seinem Geld und ließ Millionen im kolumbianischen Dschungel vergraben. Escobar verdiente einfach mehr Geld, als er jemals ausgeben konnte. Und ausgeben konnte er sehr gut. Nicht nur ließ er Schulen, Sportplätze und Krankenhäuser in ganz Kolumbien bauen. Er lebte auch munter in Saus und Braus. Bis heute kann man Escobars Privatzoo in Medellín bewundern: Exotische Tiere aus aller Welt schmuggelte er ins Land. Für die Drogenschmuggelei kaufte er Transportflugzeuge und ließ eigens U-Boote bauen.

Silber oder Blei

Escobar war aber nicht nur Lebemann, Wohltäter und Drogenbaron. Er war auch Terrorist. Während er zu Anfang seiner Karriere als erfolgreicher Schmuggler mit seiner vergleichsweise simplen Politik des „Plata o Plomo“ – Silber oder Blei (also Schmiergeld oder Pistolenkugeln) – seine Ziele erreichte, wurde er im Lauf der Jahre immer gnadenloser. Aus dem Blei wurde eine Armee von Killern, die jeden umbrachten, der ein Widerwort zu geben wagte. Der Terror eskalierte schließlich in einer Bombenexplosion an Bord eines Flugzeugs, bei der 107 Menschen starben. Escobar gelang es im Laufe seiner Karriere, Kolumbien an den Rand des eines Bürgerkrieges zu bringen und die kolumbianische Regierung an die Grenzen ihrer Macht.

Narcos: Die Wahrheit ist spektakulär genug

Mit Narcos erzählt Netflix nun die Geschichte von Pablo Escobar (unfassbar schmierig und gruselig gespielt von Wagner Moura) und seinen Gegenspielern, den amerikanischen Drogenfahndern der DEA. Die Serie beginnt mit Escobars ersten großen Schmuggeleien und zeigt, wie er schließlich zu Escobar, dem Terroristen wurde. Schön ist, dass uns die Autoren der Serie unnötige dramatische Ausschmückungen ersparen, denn die wahre Geschichte von Escobars Medellín-Kartells ist spektakulär und Stoff genug für eine Serie. Zusätzlich wird aus der Perspektive von Steve Murphy (Boyd Holbrook) erzählt, einem amerikanischen Drogenfahnder, der nach Kolumbien kommt und dort – wie alle – in die Spirale aus Gewalt und Drogen gezogen wird. Murphy wird irgendwann zum ruchlosen Spieler in einem Spiel, in dem er dennoch eher wie ein Zuschauer wirkt, denn die DEA-Agenten können die politischen Geschehnisse höchstens indirekt beeinflussen, indem sie Beweise gegen Escobar leaken. Auch hier haben sich die Autoren eng an die historischen Fakten gehalten, statt die Geschichte bunt auszumalen.

Tatsächlich hatten die Amerikaner wenig Einfluss auf Kolumbien, auch wenn Reagan und Bush sicher gerne mehr gehabt hätten. Aber niemand kam dem Drogenbaron bei: Während Escobar vom Dorfpolizisten bis zum Staatspräsidenten jeden ermorden ließ, der Widerworte gab, hütete er sich, den USA Gelegenheit zum Eingreifen zu geben.

Interessant ist die Serie genau wegen ihres Anspruches an die Wirklichkeit. Selbstverständlich ist alles dramatisiert, für die Fiktion zurechtgebogen. Trotzdem basiert sie auf einem Stück Geschichte, das außerhalb von Südamerika in diesen Details wohl nur wenigen bekannt sein dürfte. Man sollte zwar nicht alles für bare Münze nehmen – wer aber nebenbei oder danach mal nachgoogelt, wird feststellen, dass gerade die unglaublichen, großen Geschichten (der Anschlag auf das Flugzeug, beispielsweise, oder die unglaubliche Menge an Geld, die er verdiente, die komplizierten politischen Verwicklungen, die fast in einen Bürgerkrieg mündeten) sehr eng oder exakt an der Realität sind. Damit hat Netflix ein neues Serien-Subgenre mit einem Schlag vielleicht nicht erfunden, aber doch popularisiert: Die Dokufiction-Serie, die ihre Grundlage nicht nur als Ausgangspunkt für Fiktion nimmt, sondern Fiktion und Realität so lange ineinander schachtelt, bis man nicht mehr genau weiß, was was ist, die Grundlage also ernst nimmt und das Fiktionsgebäude darum so zart und akkurat wie möglich baut.

Narcos: Kein House of Cards, kein Goodfellas,kein Pate, trotzdem gut

In dieser Subgenre-Neuerfindung liegt der eigentliche Verdienst der Serie. Denn Narcos ist nicht das neue House of Cards, dafür ist das Thema zu spezifisch historisch. Es ist auch offensichtlich, dass die Serie – in der größtenteils Spanisch gesprochen wird – auf ein lateinamerikanisches Publikum abzielt. Zum Bingewatching mit Second Screen taugt die Serie außerdem wegen der Untertitelung nicht so recht – macht aber nichts, denn die politischen Verwerfungen die uns Narcos zeigt sind komplex und verlangen ohnehin Aufmerksamkeit. Bewundernswert ist, dass Narcos nicht urteilt und nicht überhöht. Wir sehen keinen sexy Drogenbaron und auch keine übermäßig rechtschaffenden Drogenfahnder. Die Serie hält sich bestmöglich neutral. Narcos ist nicht wie Goodfellas, das seine Charaktere in den Olymp schickt und dann abstürzen lässt, und kein Pate der uns mit seinem Märchen von Ehre einlullen und das Verbrechen romantisieren will. Stattdessen bleibt die Serie ihren Figuren gegenüber ambivalent. Wir sehen Escobar den Befehl zum Mord und für den Bau eines Kinderheims in einem Atemzug geben, die DEA soll sich an Recht und Gesetz halten und leakt dennoch illegal besorgte Beweise um wenigstens ein paar Fakten zu schaffen. Narcos ist, eben weil es sich so eng an der Realität orientiert, dreckig, ohne Helden, ohne Bösewichte. Jeder hat Dreck am Stecken, jeder hat seine lichten Momente.
Die einzige Enttäuschung ist, dass Narcos endet, wenn die Geschichte gerade richtig spannend wird, nämlich als die eigentliche Hetzjagd auf Escobar beginnt, der schnell dahin verschwindet, woher sein Koks einst kam: In den kolumbianischen Dschungel.
Ein Glück: Fünf Tage nach Freigabe der ersten Staffel hat Netflix sogleich die zweite geordert.

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