Mal schauen: Lindner & Steinbrenner
In unserer Reihe „Mal schauen“ reden zeitgenössische Künstler über die Kunst ihrer Kollegen – dieses Mal das Team Lindner & Steinbrenner mit einem Rundumschlag quer durch die Gegenwart.
Marina Abramović als Inspirationsquelle und Reibungsfläche, Damien Hirst und Jeff Koons als Hersteller von Hassobjekten, das Peng! Collective als Hingucker und Tehching Hsieh als Referenz: Till Steinbrenner lässt sich von Arbeitsproben anderer Künstler herausfordern. Er spricht dabei offen über seine Vorstellungen von großartiger und lausiger Kunst. Und erklärt nebenbei die des Teams Lindner & Steinbrenner, das gestern im Kunstverein Hannover den Kunstpreis der Sparkasse Hannover erhielt. Ein Rundumschlag als Auftakt der Interviewserie Mal schauen.
Wenn’s um Musik geht, heißt die Reihe Blind Date und war lange mein einziger Grund, den Musikexpress zu kaufen. Mir machte das immer großen Spaß, zu lesen, was Musiker so über ihre Kollegen sagen, wenn man ihnen was vorspielt, ohne große Worte darum zu machen. Für Mal schauen bei Zebrabutter geht es mir allerdings nicht so sehr um den Ratespaß, sondern mehr um das Meinungspotential. Oft löst der künstlerische Output von Kollegen deutlich leidenschaftlichere Reaktionen aus als gedrechselte Interviewfragen. Und weil der Musikexpress das Spiel so ähnlich ganz hervorragend mit Musikern spielt, spiele ich es mit Bildenden Künstlern. Als Kurator für zeitgenössische Kunst kenne ich ein viele persönlich. Und genug Arbeiten von anderen. Beim Zusammenstellen der zwölf Gesprächsanlässe achte ich darauf, dass die gezeigten Inputs irgendeinen thematischen oder formalen Bezug zu dem haben, was ich in der Kunst meiner Gäste für interessant halte. Ansonsten keine Einschränkungen bei Disziplin oder Erscheinungsjahr. Zweimal tauchen eigene Arbeiten der Künstler auf. Alle präsentierten Bilder, Videos oder Texte sind anonymisiert. Und ganz zum Schluss, als die wilde 13: lasse ich mir von meinem Gegenüber Kunst zeigen, über die es selbst noch gerne reden würde.
Lotte Lindner & Till Steinbrenner arbeiten seit über einem Jahrzehnt als Team. Sie gehen damit so konsequent um, dass jeder der beiden in jeder Situation für beide sprechen oder handeln kann. Lindner & Steinbrenner ist eine gemeinsame künstlerische Position. Eine Marke. Beide haben an der HBK Braunschweig studiert, sind sich begegnet in der Performance-Klasse von Marina Abramović, bei der sie später auch ihr Meisterschüler-Studium absolvierten. Recht bald entwickelten sie für ihre eigene künstlerische Arbeit einen Handlungsbegriff, der sich deutlich von den radikalen Performances ihrer ehemaligen Professorin distanzierte. Lindner & Steinbrenner ersinnen Eingriffe und Installationen, in denen sie nicht mehr selbst handeln müssen. Sie konstruieren Rahmensituationen, die ihre Rezipienten aktiv werden lassen: Aufforderungen zum Einlassen. Lotte Lindner & Till Steinbrenner arbeiteten mit einem Stipendium des Landes Niedersachsen ein Jahr lang in New York. Sie lehrten im Rahmen einer Gastprofessur zwei Semester lang an der Akademie der Bildenden Künste in München. Gestern erhielten Sie im Rahmen der 87. Herbstausstellung des Kunstvereins Hannover den Kunstpreis der Sparkasse Hannover, den am höchsten dotierten Kunstpreis des Landes Niedersachsen. Die Jurybegründung und eine Vita lassen sich hier nachlesen. Texte zu Lindner & Steinbrenner finden sich hier. (Darunter auch ein Text von mir.)
Ich treffe mich mit Till Steinbrenner bei Lindner & Steinbrenner zuhause. Eine ehemalige Tischlerei in einem Hinterhof in Hannovers Stadtteil List. Die beiden haben sie in Eigenarbeit zu einer Kombination aus Atelier, Werkstatt und Wohnung umgebaut. Wir sitzen in der Küche und trinken Rotwein.
1. Muntean und Rosenblum: Untitled (What has happened?) (2002)
[Liest murmelnd den Text unter dem Bild.] “What has happened to us has happened to everyone or only to us; if to everyone, then it’s no novelty, and if only to us, then it won’t be understood.” [Zögert kurz.] Also, das sagt mir gar nichts. Es erinnert mich an unsere Dokumentationsaquarelle, die ja auch so einen etwas naiven Stil haben. Aber… wer ist das?!
Markus Muntean und Adi Rosenblum. Die arbeiten eigentlich immer in diesem Stil, immer ähnlich gemalt, mit ähnlichen Sätzen kombiniert. Immer Pubertierende oder Jugendliche als Protagonisten. Für mich steckt darin eine große Melancholie. Die beiden gehören zu meinen Lieblingskünstlern.
Handwerklich ist das wirklich lausig. Da stimmt kein einziger Schatten. Die sind auf eine merkwürdige Art alle ganz einsam. Und das liegt daran, dass die aus verschiedenen Fotos kopiert sind. Und dann reingebaut, aber eben nicht wirklich reingebaut. Deswegen bleiben die einfach schon physisch einsam, weil sie offensichtlich nicht im gleichen Raum stehen.
Das Bildmotiv ist für dich also dominant?
Ja. Ich schaue mir an, was die da machen. Aber für mich überlagert die handwerkliche Unzulänglichkeit die Geschichte, die da erzählt werden soll.
Und kannst du mit der Geschichte was anfangen? Mit dem skizzierten Gedanken?
Nee. Vielleicht wenn ich noch fünf von diesen Bildern sehen würde.
Für mich geht es hier um Übertragbarkeiten und Konstruktion von Erfahrungen, den Anspruch an das selbst Erlebte. Und dabei geht es für mich dann auch um künstlerisches Handeln.
Ich verstehe, was du meinst. Aber deine Geschichte springt mir nicht ins Auge. Was mir ins Auge springt, ist, dass die sich alle sehr angestrengt inszenieren. Und offenbar erfolglos. Jeder nimmt für sich eine Pose ein, die er nicht einnehmen würde, wenn er nicht gerade beobachtet würde. [Überlegt.] Nö. Weiter. Next.
2. Marina Abramović: Detail aus Balkan Baroque (1997)
[Lacht.] Ha, Marinavić! Die Mutti. Was soll ich sagen? Ich kann das nicht ganz einsortieren, weil ich nicht auf dieser Biennale war. Zu dem Zeitpunkt, als sie diese Arbeit gemacht hat, hatte ich einen sehr begrenzten Zugang zu Kunst. Im Nachhinein betrachtet, finde ich die Arbeit ganz großartig, mit allen Elementen von Pathos und Kitsch, die da natürlich mit drinhängen. Das ist ja ein Setting, nicht nur mit diesem Knochenhaufen, sondern auch mit einem Film, in dem sie in einem Arztkittel erzählt, wie man in Jugoslawien Ratten tötet. Und zwei großen Kupferwannen mit einer Flüssigkeit, durch die das Kupfer esoterisch aufgeladen wird. Dieses esoterische Element ist ja in den 80er Jahren in ihre Arbeit geschwemmt.
Aber ich glaube, das ist eine tolle Arbeit, und sie hat zu Recht den Goldenen Löwen dafür gewonnen. Großartig. Mutig. Zutiefst ekelhaft. Ich habe die Kisten, in denen diese Knochen noch immer verwahrt werden, mehrere Male bewegen und auch leider öffnen müssen. Das ist nicht schön. Sie hat die zwar lange geschrubbt, aber nicht sauber gekriegt. Das ist eine total pathetische… geile Arbeit. Was ich selten sage bei pathetischen Arbeiten.
Für mich ist das ja ein Paradebeispiel für das, was ich ganz gerne mal etwas abschätzig „Blut-, Schweiß- und Tränen-Performance“ nenne. Fühlt Ihr Euch dadurch geprägt?
Durch dieses Performance-Ding war ich eigentlich nie geprägt. Das hat mich nicht prägen können. Dafür war ich zu stark vorgeprägt und Lotte auch. Wir haben das mit der Performance eigentlich trotz dieses Pathos gemacht und nicht deswegen. Trotz dieser supersimplen Symbolik, dieser banalen Tatsache, dass jemand, der sich körperlich preisgibt, immer eine bestimmte Kraft erzeugt und das alles zugleich immer zu kollabieren droht. All das ist uns sehr früh bewusst geworden. Deshalb machen wir auch keine Live-Performances mehr. Und wenn wir uns dem dann doch mal wieder annähern, wie zuletzt bei der Eröffnung der Herbstausstellung des Kunstvereins Hannover, wo wir unser selbst erdachtes Geld verkauft haben, dann wissen wir, dass wir da sehr begrenzte Möglichkeiten haben und das bestimmte Gefahren birgt.
Aber irgendwann habt ihr euch ja mal aus einer bestimmten Motivation heraus zum einen die Performance-Klasse ausgesucht und zum anderen die Meisterin.
Für mich waren das zwei Motivationen. Ich glaube, für Lotte zählt eine mehr und eine weniger. Ganz klare Motivation: Kein Zeug mehr. Get rid oft he stuff! Wenn man als Bildhauer anfängt und sich ganz klassisch durch die Steine, Metalle und Hölzer würgt und wühlt und das am Ende unter Umständen sogar recht gut kann, dann bleibt doch immer die Begrenztheit des Materiellen. Man muss immer eine Idee in das Material reinkneten, um die dann anschließend vom Betrachter wieder rausfrickeln zu lassen. In Wirklichkeit ist das ein entsetzlich dämlicher Umweg. Das hat uns unheimlich genervt. Und das war dann unheimlich sexy an der Idee von Performance überhaupt erstmal. Und dann war Marina für mich ganz naiv die einzige Performance-Künstlerin, die ich überhaupt kannte.
Marina ist eine gute Verkörperung des Satzes „Immer besser, immer schöner scheitern“. Es ist toll, dass sie den Mut hat, so tief in die Scheiße zu fassen, dass sie zwischendurch auch mal elendiglich beschissene Arbeiten macht, bei denen einen wirklich das Fremdschämen übermannt. Und dann aber eben auch immer wieder eine, bei der man denkt: „Oh. Geil. Super. Schön dass das mal jemand macht.“ Da geht es dann nicht um verwegene Ideen, sondern um so naheliegende, dass die endlich jemand machen musste. Aber sie macht es dann. Das ist schon toll. Auch diese Nummer im MOMA, The artist is present, das ist ja im Grunde auch ein Kalauer, eben der Einladungskartensatz umgesetzt und fertig. Banaler kann es gar nicht sein. Und doch ist es eine echte Leistung, das an diesem Ort so zu machen. Die Mutti genießt also immer noch meine Verehrung und umfangreiche Kritik gleichermaßen. Ich glaube, besser kann man sich einem Meister nicht stellen.
3. Lindner & Steinbrenner: Detail aus 1 – 1.000 (2009)
[Lacht.] Selling money. Diese Arbeit ist tatsächlich sehr wichtig für uns beide. Wir hatten uns nie um den Gedanken gekümmert, dass das alles auch Geld bringen muss. Wir haben das billigend und gerne in Kauf genommen, wenn es sich ereignet hat, das hat es aber ausreichend selten getan, vielleicht weil wir nie darauf abgezielt haben. Dann kamen wir 2009 mit dem Stipendium nach New York, und das war ein wirklich tiefgreifender Kulturschock. Wir saßen da in einem Atelierhaus mit 35 Künstlern in 35 Ateliers. Und alle, ausnahmslos, hatten als Hauptziel, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Und nicht nur die Amerikaner, die aber vor allen Dingen. Man schaute deren Sachen an und verstand erst gar nicht warum die das machen. Und dann kam man drauf: Stimmt, das geht ja alles nur um Geld hier, die ganze Zeit. Der Gedanke, dass man das alles machen kann, um Geld zu verdienen, war so zutiefst erschütternd für uns, das haben wir gar nicht ausgehalten.
Und dann kam bei einem der Studio Visits Miguel Amado, ein sehr engagierter Kurator aus Portugal mit Stipendium in New York. Und der machte eine Ausstellung, die hieß Financial District. Die war tatsächlich thematisch kuratiert, was in New York auch eher ein seltener Fall ist. Denn auch kuratiert wird da eher nach „Was geht gut?“ und nach „Was ist attraktiv?“ Bei Miguels Projekt ging es um das Thema Geld. Und da wir uns gut verstanden haben, hat er uns Carte Blanche gegeben. Und aus dem Kulturschock heraus, mit dieser Einladung und der Tatsache, dass wir 2009 ja in den unmittelbarer Nachbeben der Financial Crisis waren, haben wir versucht, in dieser Arbeit mal ein paar Sachen selbst nachzuvollziehen. Verkauf und Wertsteigerung, Kauf als Wette, die Idee von Auflage, Preisentwicklung. Dann haben wir überlegt, was gerade noch so Original sein kann. Ein Offsetdruck ist keines mehr, eine Radierung ist eines. Ist ein Siebdruck noch ein Original? Das liegt für mich so dazwischen, seit Warhol ist er eigentlich eines, zumal signiert. Aber in einer 1000er-Auflage vielleicht auch wieder nicht… Auf diesen Fragen haben wir ein bewusst wackeliges Ding errichtet, diesen Geldschein. Und dann haben wir uns da hingestellt und mit den Leuten gequatscht.
Gibt es einen Bezug zum vorherigen Beispiel?
Zu Marina? Insofern, dass das alles bewusst unpathetisch vorgetragen wird, bewusst als Verkaufshandlung. Normalerweise inzwischen auch eine Verkaufshandlung, die nicht wir selbst vollziehen, sondern jemand, den wir dafür anstellen, um das Ganze zu versachlichen. Wir dachten, es könnte gut sein, das in Hannover selbst zu machen, weil wir als Preisträger dieses Sparkassenpreises ja sowieso performen, egal wo wir sind. Und da dachten wir, dann können wir auch gleich wirklich performen.
4. Georg Winter: Handlungswanweisung zu UKIYO Camera Systems – mobile phone ‚harajuku‘ (2007)
[Lacht beim Lesen.] Ist das Georg Winter?
Ja. Der hat ja im Rahmen von UKIYO Camera Systems mit schwarz lackierten Kamera-Dummies aus Vollholz begonnen. Das Material ist hier entsprechend gestaltet.
Ah, das ist nicht klappbar? Einfach so ein Holzding? Hm. Lass mich überlegen. Ich glaube, Georg Winter hätte sich mir von selbst nicht erschlossen. Aber dadurch, dass du so ein hartnäckiger Fan bist, komme ich nicht umhin, mich darauf näher einzulassen. Das ist ja so eine ganz merkwürdige, altbacken-analoge Art, sich der aktuellen Gegenwart zu nähern, die mir permanent das Gefühl vermittelt, jemand würde mit einem riesengroßen Messingschlüssel ein Smartphone aufschließen wollen. Diese Reibung ist schon durchaus reizvoll. Ich verstehe die intellektuelle Begeisterung dafür. Mir fehlt die sinnliche Finesse in der Erscheinung. Wenn das meine Arbeit wäre, würde ich mir ein Model suchen, das so gar nicht nerdy wirkt, sondern wirklich cool. Und ich würde das Objekt nicht als Vollholzattrappe bauen, sondern aus Kohlefaser, so dass es wirklich cool wirkt. Und würde das Ganze dann auch noch cool performen lassen. Irgendwo in der Öffentlichkeit, nicht auf einer Bühne, sondern nebenbei.
Ist dir die visuelle Abstraktion zu groß?
Mir ist das zu hölzern. Im wahrsten Sinne. Dieser Kunstgriff enttarnt sich ja sofort als solcher. Und mir wäre lieber, er täte das nicht. Mir wäre lieber, jemand der wirklich zurechnungsfähig aussieht, würde das einfach machen. Dann wäre ich zumindest einen Moment lang verunsichert, ob der das jetzt ernst meint und ob ich das auch machen muss, wenn ich so cool sein will wie der. Oder was hier eigentlich grade passiert. Ich würde den Grad der Verunsicherung höher ansiedeln und es weniger leicht machen, das als Kunst zu enttarnen.
Ist das die Strategie in eurer eigenen Kunst?
Kommt darauf an. Ja, machmal.
Es geht ja bei Georg Winter und bei Euch um Situationen, in denen andere handeln sollen.
Wenn man natürlich in einer Kunstinstitution ausstellt, ist schon die Eingangstür Enttarnung. Was ich im Kunstverein sehe, muss ja Kunst sein, also entsprechend auch harmlos. Damit zu arbeiten, ist dann nochmal was anderes. Und wenn man was draußen macht, muss man schon gut einsickern in die wirklichen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten dort. Dann muss ein Handy eben auch aussehen wie ein Handy.
Ich denke, bei Georg Winter findet die Handlung immer eher im Kopf des Betrachters statt und muss gar nicht ausgeführt werden. Das ist bei euch anders, oder? Bei euch muss gehandelt werden.
Ja. Meistens. Doch. Wir sind ja eigentlich beide Bildhauer und auch Bildhauer geblieben. Und ein Bildhauer denkt mit der Hand und nicht mit dem Kopf. Das überträgt man dann auch gerne auf seine Rezipienten, dass ein Gedanke sich erst wirklich bildet, wenn er körperlich vollzogen wird. Ich vertraue nicht auf Gedanken, die im Kopf bleiben.
5. Heath Bunting: Postkarte (Rückseite und Vorderseite) zum Projekt Vunerability (1996)
Ganz schön textlastig hier… [Liest den gezeigten Katalogtext:] „Heath Bunting produced a very early work on the subject of radio waves for the unfrieden. sabotage von wirklichkeiten exhibition mounted by Inke Arns and Ute Vorkoeper in Hamburg in 1996. He glued to self-designed postcards the electromagnetic labels used as theft protection by various retailers in Hamburg. As a result, alarms were set off by the postmen delivering these cards to shops, for instance, or by customers who had been handed them outside by Heath Bunting. In playful and technically simple fashion the artist thematizes the vulnerability of security technologies and at the same time the degree to which both controllers and controlled are at the mercy of deliberate or accidental defects. In retrospect the work undergoes a change of significance: while in 1996 the project alarmingly transformed mediated protection into »vulnerable presence«, today it can be seen in the context of the debate surrounding RFID (Radio Frequency Identification) technology.”
Cool. Super. Geile Arbeit. Schöne, saubere, kleine, gut gedachte, gut konzipierte, sich eben nicht als Kunst outendende, funktionierende Arbeit. Es ist ja, wie eben schon gesagt, immer schwierig, dass Kunst sich im Kunstkontext selbst outet, wenn man nicht wiederum mit dem Kontext agiert. Ich finde das geil, wenn Arbeiten einfach wirklich in der Realität funktionieren. Wenn eine Arbeit so klein, raffiniert und sauber den Radar unterfliegt, dass sie einfach nur funktioniert. Und unter Umständen kommt gar keiner drauf, dass es Kunst ist. Und es nervt einfach nur. Super. Toll. Ich bin neidisch, das hätte ich mir gern ausgedacht. Eigentlich ist das eine ganz großartige Großskulptur. So denke ich mir eine Großskulptur, die in der Lage ist, einen kompletten Stadtraum mit seinen Begrenzungen sichtbar zu machen. Oder vielleicht ein ganzes Land. So geht Skulptur.
Lindner & Steinbrenner: L’ATELIER C’EST MOI (2008)
6. Dries Verhoeven: Wanna play? (Love in the times of Grindr) plus Bild (2014)
Kommt mir bekannt vor…
Ist extrem durch die Medien gegangen.
Nervt mich. Ich finde, dass meine sexuelle Orientierung, egal wie die aussieht, mit meiner Kunst nichts zu tun hat. Genau wie mein Abwaschverhalten. Oder die Art, wie ich Auto fahre. Mich langweilt schwule Kunst so, dass ich’s nicht aushalten kann.
Ich denke, das Schwulsein ist nicht der Schwerpunkt der Arbeit. Der Künstler ist eben schwul.
Eine bestimmte Form von offensiver Promiskuität ist aber einfach in der Schwulenszene viel diskutabler als sonst. Auch wenn keiner in diesem Container Sex hatte – es geht um Anbahnung. Hätte das jemand gemacht, der nicht schwul ist, wäre nicht der Ausnahmefall thematisiert worden. Und dann hätte mich das unter Umständen ein bisschen mehr interessiert. Ansonsten ist mir das Privatleben meiner Mitmenschen scheißegal. Und ich will damit nicht genervt werden.
Die Arbeit heißt Wanna play? Love in the times of Grindr. Das ist quasi eine Untersuchung von Beziehungsstrukturen oder Perspektiven auf das Thema Beziehung im digitalen Zeitalter.
Nee, finde ich doof. Ich finde Arbeiten, bei denen der Künstler selbst in den Hintergrund tritt, immer spannender – und das sagt ein Performer. Und wenn der sich so in die Mitte stellt und letztlich seine eigenen Obsessionen auslebt, denn anders kann er in dieser Arbeit nicht agieren… [Gähnt demonstrativ.] Das erfüllt zwei Kriterien, die mich echt nerven: Erstens schwule Kunst. Sollen meinetwegen alle schwul sein, find ich ok. Aber müssen die mich in ihrer Kunst damit nerven? Es interessiert mich ja auch genauso wenig, wenn Männer Kunst darüber machen, dass sie gerne Sex mit Frauen haben. Das interessiert mich nicht. Mir egal. Die sollen ihren Spaß haben, das ist nur nicht mein Thema! Und dann zweitens dieses bewusste Spiel damit, sich der juristischen Schwierigkeit auszusetzen, dieses ganze Prekäre, das da organisiert wird. Das ist mir zu sensationslastig, zu vordergründig. Weg damit. Weiter.
7. Peng! Collecitive: Video zur Kampagne Werde Fluchthelfer.in (2015)
Geiler Anfang. [Schaut das Video zu Ende.] Geil. Super. Was ist das? Wer ist das?
Mit der Aktion ist ein Rechtshilfefonds für private Fluchthelfer verbunden. Und eine Plakataktion. Und eine gefakete Verleihung eines Europäischen Verdienstkreuzes.
Die Ästhetik des Videos ist super, weil es quasi Volkswagen-Werbung ist. Wie ich vorhin schon bei Georg Winter sagte: Die Ästhetik muss sich der Aufgabe anpassen. Ich kann nicht mit Hilfe eines Holzklotzes über moderne Kommunikation reden. Die hier reden über einen Vorgang, der heute stattfindet, wollen den ins Bewusstsein bringen. Die stehen damit in Konkurrenz zu Volkswagen-Werbung. Und verhalten sich auch so. Machen es noch ein bisschen geiler, mit noch mehr Pathos, mit der richtigen Musik, mit 4K HD, das ganze Programm, Hubschrauber, Drohne. Das ist wirklich super! Ich hab mir selbst schon mal gedacht: Warum fahre ich nicht einfach mit meinem Siebensitzer nach Gottweißwohin und sage: „Hier, sechs Plätze sind frei, steigt ein.“
Ein Freund von mir teilte das auf facebook mit dem Kommentar: „Das bessere Zentrum für Politische Schönheit„.
Ja, genau. Nicht das bessere, sondern das gute. Das „bessere“ würde ja bedeuten, das andere wäre auch gut. Aber das hier eröffnet einfach eine reale Möglichkeit. Und selbst wenn ich die nicht wahrnehme, frage ich mich: „Warum zum Teufel fahre ich Arschloch nicht einfach mit meiner Luxuskutsche aus meinem Luxusleben raus, mal so für drei Tage?“. Man muss sich nur 1.000 Leute denken, die das einfach machen. Der Hammer. Sehr sympathische Kunst. Wunderbar. So muss man das machen. Ich glaube, ein Künstler muss, um seine Arbeit gut machen zu können, verstehen, wo er sich damit befindet. Nicht nur an welchem Ort, sondern auch, in welchem Kontext. Das bedarf einer ganz großen Sensibilität. Ich schiebe ja immer ein trojanisches Pferd irgendwo rein. Und ich muss es schaffen, dass das nicht erkannt wird, bevor ich durch das Tor bin. Ist doch viel geiler, wenn die Menschen wirklich darauf reinfallen. Wenn nicht der ohnehin darauf vorbereitete Kunstrezipient sich sowas anschaut und denkt: „Ist ja ein toller Gedanke.“ Es gibt ja hier auch eine intellektuelle Dimension. Aber eben nicht nur. Du kannst dir das alles auch theoretisch entschlüsseln, das macht es nicht weniger gut. Aber es funktioniert eben auch. Das ist eben zweimal gut, nicht nur einmal. Bitte lass doch alle Arbeiten zweimal gut sein!
8. Damien Hirst: Print von For the Love of God (2007)
[Lacht.] Ha, der bekloppte Idiot! Dumme Menschen machen dumme Dinge. Darüber muss man ja nicht reden.
Aber das Thema der Arbeit ist euch doch gar nicht so fremd. Was ist der Unterschied zwischen dieser Arbeit und 1 – 1.000?
Wir wissen, dass wir mit unserer Arbeit im Laufe von 100 intensiven Gesprächsstunden ungefähr 5.000 € einnehmen. Und dass es dabei darum geht, etwas zu kommunizieren. Und nicht, sich öffentlich einen runterzuholen. Das Ding ist doch so doof, berechenbar, primitiv, geradeaus. Ein Totenkopf mit Diamanten drauf?! Er konnte halt keinen Porno mehr machen, weil das Koons schon gemacht hat. Was soll man dazu noch sagen? Das ist doch das Ende vom Blech auf allen Seiten. Der war immer schon doof und wird auch immer doof bleiben. Und wird wie alle Doofen auch reich und doof sterben.
Also keine Kunstmarktparodie, sondern Kunstmarkt?
Ja, natürlich! Nichts sonst! Der Mann ist einfach nicht intelligent genug für eine Parodie.
9. Lindner & Steinbrenner: Art Criticism (2009)
[Lacht lange.] Das ist ja deine Arbeit. Dazu kann ich ja nichts sagen. Erzähl doch mal!
Ich habe die ja nur ausgeführt. Ich hatte diese Handlungsanweisung von euch, die mir sehr präzise sagte, was ich tun soll. Die Leinwand hing entsprechend schon, wir hatten sie schön gerade in Sichthöhe aufgehängt. Und drei Minuten vor der Ausstellungseröffnung habe ich dann mit dem gewünschten Permanent Marker diesen Satz auf die Leinwand geschrieben. So als würde ich – das war die Anweisung – eine Notiz an jemanden oder mich selbst schreiben. Und nun? Das ist ja nicht nur meins. Habt ihr damit denn gar nichts zu tun?
Doch, klar. Das ist ganz spannend. Das ist eben eine reine Handlungsanweisung. Ohne Zubehör. Nur die Idee. Wir fassen nichts an und übergeben nur die Idee. Es geht nur um diese Gedankenübergabe, die präzise sein muss. Ich denke mir das aus und sage: „Du. geh hin und mach mal.“
Hier steht allerdings: „Die Gedanken der Künstler sind nicht relevant.“
Diese Arbeit gehört total in den Kunstkontext, das vorneweg. Die geht nur in einer Ausstellung. Aber sie war ja auch genau für diesen Ausstellungskontext gemacht. Für eine Ausstellung mit dem Thema „Wie viel Theorie braucht die Kunst?“ Interessant finde ich die Frage, ob es legitim wäre, die Arbeit nochmal anzuweisen, oder ob das dann verfälscht ist.
Ist denn die Ausführung die Arbeit? Oder nicht eher die Handlungsanweisung selbst?
Eigentlich könnte man auch die Anweisung ausstellen. Wir haben die auch im Katalog und im Internet komplett zitiert. Andererseits könnte man das Ergebnis auch ohne Handlungsanweisung zeigen, wie damals in deiner Ausstellung. Da haben wir uns allerdings darauf verlassen, dass du da bist und gerne davon erzählst. Mir ist an der Arbeit wirklich wichtig, dass es nicht nur darum geht, zu fragen, was sich der Künstler dabei gedacht hat. Gerade in der Kunstvermittlung ist das Schwachsinn. Ich bin damit meine ganze Schulzeit über gequält worden. Als wenn die Lehrer das gewusst hätten… Das ist ein sehr wichtiger Gedanke in unserer Kunst: Dass eine Arbeit nur so gut ist, wie das, was beim Rezipienten davon ankommt. Nicht mehr und nicht weniger.
Diese Arbeit macht natürlich ein Paradoxon auf. Indem ich als Künstler sage, die Gedanken der Künstler seien nicht relevant, mache ich sie ja in genau diesem einen Moment relevant. Einfach eine kleine paradoxe Figur. Die dann Anlass bietet, über sich hinaus zu weisen. Wir haben aber bewusst eine große Leinwand dafür gefordert. Der Gedanke würde ja auch auf ein kleines Post-it passen, irgendwo in drei Metern Höhe links oben. Also mehrere Umkehrungen in einer Arbeit. Weil es ja um Theorie geht. Auch um Wahrnehmungstheorie. Wir fanden das ganz schön, dass sich das immer neu verschränkt und nicht auflösbar ist. Die Arbeit ist falsch. Und das ist das Richtige an ihr.
10. Jeff Koons: Celebration Tulips in Hannover (2004 bis 2012)
Das kann man mit diesem anderen Idioten in eine Pfanne tun und ganz schnell wegbraten. Und man muss es dann auch nicht essen.
Ich habe diese Arbeit geliebt, als sie noch in Hannover war.
Ja?! Puh. Also, als sie noch da war, bot sie zumindest noch mehr Gelegenheit zur Kontroverse als diese Aktion, sie zu verkaufen und damit Gutes zu tun.
Was ist falsch daran, dass die Nord/LB sie versteigert hat, um eine Kulturstiftung zu gründen?
Erst kaufen sie den Schwachsinn. Dann trennen sie sich davon. Das ist alles so ein hanebüchenes Getue. Als wenn die irgendwas gut meinen könnten. Die haben doch genug Geld. Die müssen doch nicht so tun, als müssten sie was verkaufen, um der Kunst was Gutes zu tun. Wenn sie das wirklich wollen, sollen sie das einfach machen. Und nicht die Portokasse von links nach rechts schieben. Das ist doch Unsinn. Die sollen lieber dazu stehen, dass sie diesen Quatsch gekauft haben. Ihn da lassen und die Möglichkeit eröffnen, dass das irgendwann rückblickend auch noch mal gut gefunden werden könnte. Obwohl ich mir das nicht vorstellen kann. Koons ist genauso blöd wie Hirst. Dieser unglaublich große handwerkliche, materielle und finanzielle Aufwand stand in keinem Verhältnis zur Wirkung.
Ich habe Koons vor vermutlich 20 Jahren bei einer Vernissage in der Staatsgalerie Stuttgart dabei beobachtet, wie er Krawatten und Oberschenkel signiert hat. Das war ein wenig desillusionierend. Kam mir aber sehr konsequent vor.
Konsequenter zumindest als Jonathan Meese. Dem Lotte mal, weil sie nichts zum Signieren hatte, es aber kurios fand, sich da anzustellen und diesen Prozess mitzumachen, ihren Reisepass hinhielt. Den hatte sie grade zur Hand, und es waren noch ein paar Seiten frei. Und er hat sich unheimlich geziert. Dieses staatliche Dokument und man könne doch nicht und wollen Sie das wirklich und so. Der große Anarchist… So. Jetzt aber weg mit Koons und stattdessen Kunst bitte.
11. Jochen Gerz: Das Geschenk (2000)
Diesen Aspekt des Tauschs finde ich durchaus attraktiv. Diese Fotowand hingegen… Kann man machen. Die Präsentation turnt mich nicht an. Das ist ok. Das ist eine von diesen vielen Arbeiten… Die findet man nicht unrecht. Und wenn jetzt jemand darauf abfliegt, verstehe ich das durchaus auch. Aber ich tue das nicht. Wohin führt diese Masse an der Wand? Ich weiß, dass es viele Menschen gibt. Der Tausch hingegen ist ganz schön. Mit einem anonymen Menschen zu tauschen, und die einzige Gemeinsamkeit ist die Teilnahme an dieser kuriosen Aktion. Das wäre aber schöner, wenn die Duplikate nicht im Museum hängen würden. Vielleicht nur exemplarisch eines von all diesen Fotos, die bei den Leuten zuhause hängen. Und dazu einen kleinen Text oder so. Wenn ich dazu einen Studenten beraten würde, würde ich sagen: „Mach nicht diese große Wand. Große Wand können alle. Kommuniziere das lieber inhaltlich.“ Mir scheint diese Arbeit zu sehr auf die Ästhetik der vielen Fotos an der Wand zu schielen. Und zu wenig den Sachverhalt dieses intimen Tausches zu verhandeln. Und der Künstler hat diese Präsentation ja erst möglich gemacht. Er hätte sich ja verweigern können.
Habt ihr euch schon mal einer Institution verweigert?
Ja. Oft. Das ist ja eine Form von Korruption. Er hat offenbar ja gesagt, weil die das wollten und er sich davon irgendetwas verspricht. Oder weil er’s toll findet. Aber dann hat er einen schlechten Geschmack. Das Gute an der Arbeit, diese Tauschidee, könntest du ja auch wieder auf einem Post-it verhandeln.
Wir nähern uns offenbar immer mehr einer Theorie der Kunst auf Post-its an.
Ich finde auch, dass das ein gutes Format ist. Es gibt wenige Gedanken, die groß genug sind, um nicht auf ein Post-it zu passen.
12. Julian Hetzel: Still. The economy of waiting (2014)
Das klingt nicht schlecht. Aber: Lieber wäre mir da wo der Penner sitzt so was wie bei Santiago Sierra, wo der dann acht Wochen lang was für einen Hungerlohn festhält. Das käme auf den Punkt. Dann wäre das nicht so ein arty Gesamtarrangement, sondern einfach eine spröde Tatsache. Es gibt ein Setting eines Londoner Künstlers, in dem du eine Nummer ziehst und unter Umständen auch sehr sehr lange wartest. Dann wirst du in einen Raum gelassen, in dem du bleiben kannst, solange du willst. Darin ist er, der sich einen Schnitt in den Bauch zugefügt hat. Den teilt er mit dir, solange du willst. Das ist ein Moment allerhöchster Intimität, die in das Bedürfnis umkippt, wegzulaufen. Aber weil das so intim ist, laufen die Leute dann doch nicht weg. Das ist ganz bizarr. Das Ausgesetztsein ist zugespitzt auf einen nicht auszuhaltenden Moment, in dem es keine Auflösung gibt. Du weißt nicht, ob du weglaufen oder bleiben sollst. Ob das ein Geschenk ist oder ob der ein Arschloch ist, weil er dich damit quält. Ein Zuviel an Intimität. Aber der Typ hält eine Spannung, in der es eben auch eine liebevolle Geste sein könnte. Und gleichzeitig bist du nicht bereit, das zu glauben. Das ist irre.
Aber ich habe immer ein wenig Schwierigkeiten, wenn es wie hier so eine gespielte Realität gibt. Wenn Menschen so tun als ob. Wenn der Rahmen so fix ist. Wenn etwas so tut, als wenn es spröde Wirklichkeit wäre, aber letztlich doch einer Dramaturgie folgt. Manchmal funktioniert so was. Ich habe in London eine Arbeit von Tino Sehgal gesehen, die war total gescriptet. Man wurde von immer älter werdenden Menschen durch ein Museum geführt, das leer war. Auch durch Treppenhäuser und Büros. Man merkte aber gar nicht, wie festgelegt das alles war. Am Ende wurde dir klar, dass die dich die ganze Zeit über haben glauben lassen, du hättest die aktive Rolle. Dabei hat jeder die gleiche Erfahrung gemacht. Und alle sagten immer die gleichen Sätze. Hier hingegen tut die Installation so, als ob ich wirklich warten müsste, spielt mit dieser aus der Wirklichkeit bekannten Situation des Wartens. Aber es bleibt theatral, mit Bühnenbildern und so. Ich habe unglaublich große Berührungsängste mit Theater. Vor allem, wenn es sich nicht bewusst ist, Theater zu sein.
Arbeitet ihr nicht auch manchmal so inszeniert? Wie war das denn in eurem roten Raum bei We don’t trust you?
Das war eine unserer pathetischsten Arbeiten bislang. Aber der rote Raum gibt nicht vor, irgendwas zu sein, was er nicht ist. Der ist, was er ist. Wohingegen dieser Warteraum mit der Aufsicht bei Hetzel in einer unaufgelösten Ambivalenz bleibt. Ist das nun ein Warteraum und ich komme wirklich nicht dran? Oder tut das so, als ob ich nicht drankommen würde? Performt da jemand nach eigenem Gutdünken im Rahmen eines Scriptes?
Geht es nicht in allen Fällen um ein Einlassen? Muss ich mich nicht bei Julian Hetzel genauso auf die Situation einlassen wie bei eurer Arbeit, um wirklich etwas erleben zu können?
Ja. Aber da muss man definieren, was man unter Situation versteht. Ist eine Situation etwas, das jemand vortäuscht? Gecastet ist für mich immer gefaket. Also sind das gefakete Penner. Auch die Wartesituation ist ein Fake. Ich glaube, wir inszenieren nicht. Kann sein, dass uns das manchmal passiert. Aber dann würde ich mir das als Fehler ankreiden lassen. Im Idealfall ist alles, was da ist, das was da ist. Nicht mehr und nicht weniger. Die Verkaufshandlung bei 1 – 1.000 ist eine Verkaufshandlung und nichts sonst. Der rote Raum bei We don’t trust you ist ein roter Raum und nichts sonst. Nichts tut so, als sei es etwas, das es nicht ist. Niemand spielt etwas vor. Inszenierung ist Fake. Mit Glück kannst du in einem Fake-Raum eine reale Erfahrung machen. Es ist wahnsinnig schwierig, in einem Theaterraum den Fake zu umgehen. Der Sinn eines Theaters ist es, Realität zu faken.
13. Tehching Hsieh: One year performance 1980 – 1981 (1980 – 1981)
Jetzt du. Welche Kunst würdest du mir zum Abschluss gerne zeigen?
Tehching Hsieh. Das ist für mich in vielerlei Hinsicht wirklich… boa. Der ist super! Den hat Marina uns mal gezeigt. Sie hat uns einen, ich glaube, dreiminütigen Film gezeigt, der alle seine Arbeiten beinhaltet. Und hat anschließend wirklich aufrichtig gesagt, dass sie sich fragt, was sie bitte zum Teufel jetzt noch machen soll. Und wir haben sie alle verstanden. Der hat One Year Performances gemacht, der Name sagt es, die dauern alle ein Jahr. Das hier ist die für mich eindrucksvollste, weil sie es am besten auf den Punkt bringt. Aber alle anderen sind genau so großartig. Es gibt einen von ihm entworfenen Flyer, auf dem die Bedingungen stehen. Und diese Bedingungen sind: Ich, Tehching Hsieh, verpflichte mich, ein Jahr lang einmal pro Stunde, bei Tag und bei Nacht, die Stechuhr im Raum soundso in der Soundsostraße zu betätigen. Ich verpflichte mich ferner, mich nicht länger als für das Betätigen notwendig in diesem Raum aufzuhalten.
Und der hat einfach ein Jahr lang einmal pro Stunde diese Scheiß-Stechuhr betätigt. Und es gibt nichts weiter als eine Fotokamera, die ihn genau in dieser Haltung an der Stechuhr automatisch fotografiert. Und eben die Stechuhrkarten. Also 24 mal 365 Fotos und 365 Stempelkarten. Das ist zwar einerseits auch inszeniert. Aber plötzlich verbindet sich die Inszenierung eben wirklich mit der Realität. Die Inszenierung führt zu einer echten, realen Erfahrung bei jemandem. Der tut nicht so, als wenn der nicht schläft. Der schläft wirklich nicht. Alles daran ist Wirklichkeit. Das ist Performance.
Entspricht das Selbstzerstörerische in dieser Arbeit nicht eigentlich dem, was ich vorhin mit „Blut-, Schweiß- und Tränen-Performance“ bezeichnet habe?
Nee. Weil es total frei von Pathos ist. Erstens gibt es überhaupt keine Zuschauer. Der hat das einfach durchexerziert. Und dann hat er diese 24 mal 365 Fotos als Film geschnitten, der dauert bei 24 Bildern pro Sekunde 365 Sekunden. Und du siehst nur ihn, wie ihm die Haare langsam wachsen, dann wieder abgeschnitten sind, wie er sich ein bisschen verändert, aber eben immer an diesem Automaten steht. Und in der Ausstellung siehst du alle Stempelkarten und alle Fotos. Mit einem Vermerk auf den Stempelkarten, die nicht gestempelt waren, warum nicht. Also „eingeschlafen“ oder so, das kam vor. Das Versagen war Teil des Spiels.
Da war also erstmal eine Präzision im Setting, die ich total geil finde. Der hat sich diesen kleinen schäbigen Zettel drucken lassen, und alles, was man wissen muss, steht da drauf. Der Zettel an sich ist schon geil. Dann eine Präzision in der Ausführung. Der hat das wirklich gemacht. Diese Idee von „scheißegal was es kostet, es muss gemacht werden“, das ist für mich Kunst. Ob das Geld oder Mühe kostet, der zieht das durch. Und es gibt keinen einzigen Zuschauer, die ganze Zeit nicht. Es gibt nur am Ende diesen winzigen Film. Er hat auch nie davon erzählt. Du musst dir das einfach alles vorstellen. Es gibt einen sehr schönen Katalog. Nur einen, weil der natürlich bis heute von seiner Kunst nicht leben kann und auch nie davon leben wird. Weil er sich auch weigert, irgendwelche Stempelkarten zu verkaufen oder so einen Mist zu machen.
Ich weiß gar nicht, was der macht. Der hat irgendwie so ein paar Leute, die bei ihm auf irgendeine Art Unterricht nehmen. Er lebt in einer kleinen Wohnung in Brooklyn. Und der zieht das einfach durch. Er ist übrigens als Flüchtling gekommen, ist als blinder Passagier von einem Boot gesprungen und nach New York geschwommen. Der hat das ganze Programm geliefert. Eine Freundin von uns hat ihn kennengelernt, als wir in New York waren, hat auch eine Weile bei ihm gewohnt. Und sie hat von ihm erzählt. Deshalb weiß ich ganz gut, wie wirklich bescheiden und wie wirklich unprätentiös der mit dieser Arbeit umgeht. Ich glaube, was du „Blut-, Schweiß- und Tränen-Performance“ nennst, funktioniert darüber, dass man das mitagiert, dass man dieses empathische Moment hat, dass es einem auch weh tut. Das ist hier alles ausgeklammert. Dieses ganze Mitfühlensollen ist nicht da. Der Künstler hat einfach nur die Randmöglichkeiten menschlicher Existenz für sich ausgelotet.
Wenn du das so großartig findest: Warum macht ihr so was nicht in eurer Kunst?
Weil ich ein Waschlappen bin. Ganz einfach. Und obendrein hat er das ja gemacht. Ich wüsste nicht, wie ich das fortsetzen sollte. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, hätte er sie ersonnen. Dazu kommt, dass mich die Selbsterfahrung weniger reizt. Ich finde das unheimlich beeindruckend, wie präzise und unpathetisch er die durchexerziert. Aber mich reizt das nicht. Meine Selbsterfahrungsgeschichten finden auf einer anderen Ebene statt. Und die geht keinen was an. Ich wüsste keine bessere Möglichkeit, Selbsterfahrung künstlerisch zu verarbeiten, als er in seinen Arbeiten.
Ich habe im Gegenteil das Gefühl, ihr baut Situationen, in denen ihr dann daneben steht, wenn andere Erfahrungen machen.
Genau. Das ist genau, was wir machen. Wir versuchen, Realität zu schaffen. Man kann sogar in einem Museumsraum Realität schaffen. In diesen ganz schmalen, verbleibenden Möglichkeiten, die man da hat. Das Fenster ist ja winzig. Aber es ist eine reale Erfahrung, wenn ich irgendwo nicht mehr durch komme, weil der andere mir entgegen kommt. Das ist ja nicht mehr die Realität des Künstlers, die dann scheißegal ist. Genauso wie es scheißegal ist, ob der schwul ist oder nicht. Das interessiert mich einfach nicht. Sondern es ist die Realität, die ich als Betrachter erfahre.
Bildquellen
- KVH_Lindner-Steinbrenner_atelier: Pressebild KVH
- KVH_Lindner-Steinbrenner_portrait: Pressebild KVH
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