Muk-bang: Wenn Essen dein Job wäre
Muk-bang ist seit einigen Jahren eine der beliebtesten Unterhaltungsformen in Südkorea. Dabei streamen sogenannte Broadcast Jockeys live, wie sie Nahrung für mehrere Personen alleine vor der Kamera verputzen.
Die erste Frage, die man sich stellen sollte ist: Warum ist das überhaupt ein Schocker-Thema? Warum versucht niemand, ein psychologisches Profil der Beauty-YouTuber, ihrer Fans und damit selbstverständlich das Profil unserer hyper-technologisierten Gesellschaft zu bauen? Was genau ist seltsamer an Menschen, die vor der Kamera eine Show liefern, während sie sehr viel essen, dabei mit ihren Fans interagieren und am Ende des Tages ein paar tausend Kröten auf ihrem Konto haben weil ihre Fans live spenden, als an Menschen, die vor laufender Kamera zwei- bis dreimal die Woche eine filmset-reife Menge Makeup auf ihr Gesicht auftragen, dabei erzählen, dass ihre Fans ihre Familie sind und am Ende des Tages ein paar tausend Kröten mehr auf dem Konto haben, weil sie ihren Fans Produkte einer bestimmten Marke empfohlen haben? Der Unterschied erscheint marginal. Beides ist eine Form von Unterhaltung, die vielleicht harmlos ist, vielleicht einen Anteil Fetisch enthält, vielleicht etwas über unsere Gesellschaft aussagt, und am Ende des Tages einfach nur ein bisschen seltsam ist.
Muk-bang gibt es, je nach Quelle, seit fünf bis zehn Jahren und ist, auch je nach Quelle, eine Zusammensetzung aus den koreanischen Wörtern „Essen“ und „Zimmer“ oder „Übertragung“. Es funktioniert relativ simpel: Vor einer live-geschalteten Kamera sitzt, fast täglich und immer gut ausgeleuchtet, der_die BJ1. Um ihn_sie herum steht sehr viel Essen. Im Laufe von einer bis mehrerer Stunden wird das komplette Essen verzehrt, wobei die Präsentation des Essens und des Essvorgangs enorm wichtig sind. Es wird über den Geschmack, Konsistenz und so weiter gesprochen, es wird ge-hmmmmmt, und reichlich laut ins Mikrofon gekaut. Währenddessen agiert der_die BJ mit seinen_ihren Fans, via Live-Chat. Das geht vom Beantworten von Fragen zum Befolgen von Handlungsanweisungen, für die der_die BJ dann mit den so genannten Star-Balloons belohnt wird, einer System-spezifischen Online-Währung, die sich pro Ballon in etwa 10 Cent umrechnen lässt. Live wird Muk-bang über den koreanischen Sender-Slash-Astreaming-Dienst AfreecaTV (Kurz für Any Free Broad Cast TV) gesendet. Jeder, der bei Afreeca angemeldet ist, kann dort streamen, der großteil von Afreecas Programm machen jedoch Gaming-Formate aus. Auf Youtube finden sich dann oft die Live-Mitschnitte zum noch einmal ansehen wieder, manche BJS produzieren aber auch eigenes Material für Youtube.
Viele der BJS leben von Essen und der Begeisterung Ihrer Fans. Jeder der Broadcast Jockeys versucht dabei, seinen eigenen Style zu zeigen und sich so zur Marke zu machen. Von niedlichen Girlies bis vor sich hinmampfenden Mädels in Schlabbershirts vom lustigen Clown bis zum ausgebildeten Koch gibt es alles. Viele sind mit zunehmendem Erfolg, wie die meisten anderen YouTube-/Streaming-Stars auch, aus ihrem Zuhause in ein Studio gewechselt und versuchen ihren Fans mit besserer Technik und einem etwas anderen Format mehr zu bieten als nur Essen. Cook-bang ist deswegen auch ein Begriff, der im Zusammenhang mit Muk-bang herumschwirrt – es wird nicht nur gegessen, sondern vorher auch selbst gekocht.
Was so toll daran ist, anderen beim Essen zuzugucken? Sicher liegt es auch am Unterhaltungswert. Vielleicht auch ein bisschen am Fetisch. Die wenigen Reportagen über Muk-bang jedoch machen die koreansche Gesellschaft für den Trend verantwortlich: Durch den Druck, gut auszusehen und deswegen ständig auf Diät zu sein, böten die BJs einen Weg, Unmengen von Essen zu erleben. Nur dass man als Zuschauer kein Gramm zunimmt. Auch soll das Livestreamen des Essens und das Livechatten die Lücke füllen, die in der koreanischen Gesellschaft durch die zunehmende Technologisierung und daraus resultierende Vereinsamung entstanden ist, und quasi das einst wichtige gemeinsame Essen ersetzen.
Was auch immer es am Ende ist, das Muk-bang so interessant macht – wahrscheinlich muss man sich ein paar Stunden anschauen, um darauf zu stoßen. So wie bei Makeup-Tutorials oder Let’s Play-Videos auch.
Quellen:
- http://www.npr.org/sections/thesalt/2015/03/24/392430233/koreans-have-an-insatiable-appetite-for-watching-strangers-binge-eat
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http://www.eatyourkimchi.com/korean-mukbangs-and-food-porn-superstars/
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http://edition.cnn.com/2014/01/29/world/asia/korea-eating-room/
- Ja, auch Blow Job wird so abgekürzt. Amerikanische Internet-Akronyme scheinen in Südkorea nicht besonders bekannt zu sein. ↩
Bildquellen
- mukbang: Screenshot YouTube