The sun always shines on tv

The Sun always Shines on TV: Edmund kommt vor dem Schall – Moderne Physik und PR

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 16 (4. Februar 2001)

In diesem Jahrhundert hat es zwei große Umwälzungen im Denken gegeben, Relativitäts- und Quantentheorie. Zwar sind beide von ihrem philosophischen Gehalt her nicht unmöglich zu verstehen, die Mathematik, die zu ihrer Absicherung benötigt wird, ist jedoch so komplex, daß man sich mit Hinweis darauf davor drücken kann, sich mit ihren Konsequenzen auseinander zu setzen. In gewisser Weise sind beide Theorien deutsche Leitkultur, weil sowohl Einstein als auch Planck nicht nur deutsch, sondern vor allem kultiviert waren. So richtig anfreunden mag man sich aber nicht damit. Denn wenn die Relativitätstheorie zum Beispiel nachweist, daß es keine absoluten Größen gibt, noch nicht einmal die Zeit, und daß sich alles immer neu aus den Verhältnissen verschiedener Körper zueinander ergibt, dann käme man ins Schleudern, wollte man vor diesem Hintergrund gegen die multikulturelle Gesellschaft argumentieren. Die deutsche Kultur gäbe es dann gar nicht, sondern sie stellt sich immer nur im Zusammenspiel mit all diesen Ausländern hier her. Undenkbar. Wo die doch unsere Kultur bedrohen sollen und nicht aufbauen. Auf der anderen Seite behauptet die Quantenmechanik, daß unsere Welt sich überhaupt nur aus einer Summe von Wahrscheinlichkeiten zusammensetzt, die sich erst im Moment der Beobachtung für eine Möglichkeit entscheidet. Machte man sich diese Definition zu eigen, dann wäre das Wasser auf die Mühlen derer, die gegen die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen argumentieren. So könnten sie sagen, daß durch die Kamera überhaupt erst die Kriminalität entsteht, die dann dokumentiert wird. Vorher gibt es eine unbestimmte Menge von Verhaltensweisen, die überhaupt keine eindeutige Ausrichtung haben. Also: das ist alles versponnene Mathematik, die man mal ausnahmsweise zur Beobachtung von Sonnenfinsternissen oder zur Konstruktion von Wasserstoffbomben verwenden darf, die aber sonst große Spinnerei sind.

Wenn Thomas Goppel diese Woche zu Friedrich Merzens Kanzlerkandidatentheorie sagt, daß es das erste Mal in der Weltgeschichte sei, „daß das Echo vor dem Ruf kommt“, dann erkennen wir das als Ignoranz gegenüber der modernen Physik. Denn so fein säuberlich zeitlich geordnet, wie man es aus rhetorischen Gründen gerne hätte, muß es nicht sein. Bertrand Russell würde es uns so erklären: Nehmen wir an, daß in unruhigen Zeiten zwei Männer, die zu unterschiedlichen Fraktionsflügeln gehören, die Karawane CDU (im Kohlschen Sinn) durcheinander bringen wollen. Am vorderen Ende der Karawane reitet der Korrespondent der Welt mit, am hinteren der von der Bild-Zeitung. Nun gibt es von dem einen Mann einen Ruf an den Bild-Reporter, daß Friedrich Merz doch Kanzlerkandidat sein soll, der andere hört das, fragt Friedrich Merz, der zwischen ihnen steht, und ruft dessen Antwort sofort rüber zum Welt-Korrespondenten. Für Friedrich Merz ist es völlig klar, daß zuerst der Ruf in der Bild und dann das Echo in der Welt war. Für Thomas Goppel, der sich als Gast der CDU auf einem Kamel genau in der Mitte der Karawane befindet, stellt sich der Sachverhalt völlig anders dar. Denn die Kamele der CDU, das wissen wir ja, trippeln mit atemberaubender Geschwindigkeit in Richtung Zukunft, so schnell, daß sie sich schon knapp unter der Schallgrenze befinden. Thomas Goppel bewegt sich deshalb vom Schall des Rufs weg und hin zum Schall des Echos. Dadurch kann es passieren, daß er zuerst die Bild-Zeitung liest und dann erst in der Welt nachschauen kann, so daß für ihn das Echo vor dem Ruf kommt.

Thomas Goppel selbst ist allerdings schon ein Gegenbeweis für seine Behauptung, das Echo käme bei Friedrich Merz zum ersten Mal vor dem Ruf. Wenn man ihn das erste Mal im Fernsehen sieht, dann stutzt man, weil man sich an irgendwen erinnert fühlt. Dieses Déja vu hält längere Zeit an und man müht sich ab, es aufzulösen. Diese raubvogelartige Kopfhaltung. Diese beinahe nachsichtig gesenkten Augenlider. Dieser fast resignative, dann aber im Ärger aufgelöste Tonfall. Diese eckige Brille mit dem hellen Metallrand. Erst wenn ein Insert erscheint, das uns darauf hinweist, daß wir es hier mit dem CSU-Generalsekretär zu tun haben, lichtet sich der Nebel. CSU bedeutet Bayern und in Bayern regiert der Stoiber. Na klar. Thomas Goppel ist Edmund Stoiber. Oder will es zumindest sein. Oder soll es sogar sein. Bevor der Ministerpräsident und Parteivorsitzende sich selbst ins Gefechtsgetümmel schmeißt, muß erst einmal sein Body-Double ran. Definiert man Stoiber als das Original, nach dem sich Thomas Goppel modelt, dann kommt auch in diesem Fall das Echo vor dem Ruf.

[Unvollständig]

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens