Moabit hilft: Willkommen in Deutschland

Ein Besuch bei Moabit hilft auf dem Gelände des LAGeSo in Berlin. Eine Begegnung mit einem Flüchtling und einem Helfer und die Frage danach, worauf es ankommt, um sich als Neuankömmling in Deutschland zurechtzufinden.

Wer danach fragt, wie sich ein Flüchtling in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden versucht, mag unter Umständen amüsante Momente des culture clash im Sinn haben, Anekdoten aus dem Alltag über Klischees und das Staunen über die Gewohnheiten und Unterschiede des jeweils anderen. Mody kann nicht von derart kurzweiligen Begegnungen der Kulturen berichten. Der 26-jährige kann in fließendem Englisch lediglich davon erzählen, warum er ohne seine Familie den Irak verließ, was er auf seinem Weg nach Europa erlebte und wie es ist, seit einem halben Jahr in Deutschland zu leben.
Er kommt aus einer großen Familie, die man nicht nur nach irakischen Verhältnissen zur bürgerlichen Mittelschicht zählen würde. Mody erzählt unter anderem, wie er sich jedes Mal, wenn er das Haus verließ, mit einer innigen Umarmung von seiner Mutter verabschiedete, da er sich in Anbetracht des Krieges gegen den IS und der Gefahr vor Bomben in der Stadt nicht sicher sein konnte, sie noch einmal wiederzusehen. Er studierte und hoffte, mit seiner georgischen Freundin zusammenleben zu können. Die Umstände in seiner Heimat gestatteten derartige Zukunftspläne jedoch nicht.

Flucht vor dem Krieg, Flucht vor der Bürokratie

Mit dem Bus fuhr er in die Türkei. Von dort setzte er in einem Boot mit mehr als fünfzig weiteren Passagieren nach Griechenland über. Die Überfahrt verzögerte sich unnötig, weil der Bootsführer sich verfuhr. Mody musste ihn mittels GPS auf seinem Smartphone den Weg weisen. Über die Balkanroute landete Mody schließlich in einem Aufnahmelager in München. Hier beginnt man als Flüchtling, sich zu integrieren: eine Nummer ziehen und warten; das Lager nicht verlassen dürfen; irgendeinen Fraß vorgesetzt bekommen, den man zu essen hat. Das Geld für die Mahlzeiten hätte man ihm lieber auszahlen sollen, meint Mody. Davon hätte er sich alleine besser versorgen können. Nach über dreißig Tagen verpasste er den Aufruf seiner Nummer. Er verließ München auf eigene Faust. Nachdem er zuvor vor dem Terror flüchtete, flüchtete Mody nun vor der deutschen Bürokratie. Er empfand sich bevormundet und hatte das Gefühl, als Mensch nicht ernstgenommen zu werden.

Er machte sich auf den Weg nach Berlin. Hier fand er zu Moabit hilft. Auf dem Gelände des LAGeSo bietet Moabit hilft den Flüchtlingen materielle, soziale und alltagspraktische Hilfestellung. Doch Gebrauchsgüter und Amtsgänge stellen nur die offensichtlichsten und unmittelbarsten Bedürfnisse dar. Die eigentliche Schwierigkeit, sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden, ist eine andere.
Christiane, eine der Hauptverantwortlichen von Moabit hilft, spricht davon, dass den Flüchtlingen verwehrt wird, anzukommen. Es fallen Begriffe wie Entmündigung und es ist die Rede davon, wie die Würde in einer Turnhalle ohne Privatsphäre verloren geht. Integration wird oft als alleinige Pflicht der Neuankömmlinge missverstanden. Niemand möchte Verantwortung übernehmen. Stattdessen wird auf die Leitkultur verwiesen, die lediglich eine konservative Ausrede ist, am Status quo festzuhalten. Es ist die alte Leier von Vorurteilen und Ressentiments. Nach wie vor herrscht die Angst vor Veränderungen durch das Neue und das Fremde vor.
Moabit hilft versucht, die Essenz von gelungener Integration vorzuleben, indem sie den Menschen eine Familie sind. Zwar mag der Eingangsbereich des Hauses D voller Leute sein, die um Hygieneartikel und Kleidung anstehen; die Bürotür mag ständig auf und zu gehen, weil ständig irgendjemand etwas braucht, etwas vorbeibringen will, eine Frage hat oder einfach nur kurz Hallo sagen möchte. Aber jeder bekommt die Aufmerksamkeit, die er verdient. Es mag hektisch sein, aber niemals stressig. Niemand muss das hier tun, aber alle wollen es tun. Sie wollen füreinander da sein. Sie wollen Kontakte knüpfen, Freundschaften schließen und – das betont Christiane immer wieder – bei der Traumabewältigung helfen. In Haus D wollen sie ein Beispiel dafür sein, wie Integration vonstatten gehen sollte. Nicht indem man die Flüchtlinge kaserniert und somit gettoisiert bis sie unsere Sprache gelernt und unsere Kultur verinnerlicht haben. Sondern indem man Sprache und Kultur erlebt und mit- und voneinander lernt. Indem man zusammenfindet.

Mody kam zurecht, indem er per Facebook hilfsbereite Menschen fand. Dank eines Posts wohnt er zurzeit bei einer Frau und ihren beiden Kindern. Um sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden, war er darauf angewiesen, dass man ihn nicht als Flüchtling oder als Nummer, sondern als Menschen wahrnahm. Mody wird sich gewiss ‚integrieren‘. Das hat er aber nicht der Politik oder den Behörden, sondern dem privaten Engagement seiner Mitmenschen zu verdanken.

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