Weh!Weh!Weh! – Die Nationalmannschaft im Internet-Check – The Sun always shines on TV
Vor 15 Jahren geriet Mathias Mertens Fernsehkolumne zur Netzkolumne, zur Fußball-Netzkolumne.
Wir hatten jetzt ein bißchen Zeit, das Ganze zu verdauen. Die höchste Heimniederlage seit Menschengedenken, ungefähr. Zumindest seitdem es Fußball gibt. Die Linksfahrer, die wir vor ein paar Monaten noch mit 1:0 im fernen Wembley so überrollten, daß sie vor Scham gleich das ganze Stadion abrissen, erschlichen sich nun ein 1:5 im Münchner Olympiastadion. Danach stand für Beckenbauer, Ude, Stoiber und Co. fest: Jetzt reißen wir auch unser Stadion ab. Punkt. Schluß. In diesen Tagen der Nachdenklichkeit muß aber die Frage erlaubt sein, ob man die Niederlage nicht hätte voraussehen können. Trainingseindrücke hin oder her, heute gibt es auch andere Felder, auf denen unsere Kicker bestehen müssen und wo sie ihre Leistungsfähigkeit demonstrieren können. Auf ihren Internetseiten beispielsweise. Denn wer hier Spirit zeigt und alles gibt, von dem dürfen wir auch auf dem Rasen vollen Einsatz erwarten. Auch ein elegantes Design könnte Rückschlüsse auf die technischen Fähigkeiten im Dribbling und in der Freistoßsituation erlauben.
Vorbildlich ist hier wieder einmal Oliver Kahn. Wer seine Website www.kahn.de besucht, dem springt der Torwart förmlich in einer Flash-Animation entgegen, um einen weiteren Ball aus der Luft zu pflücken. Immer im Dienst der Olli, selbst im Internet muß er noch jeden Ball kriegen, der rumfliegt. Außerdem nimmt er auch kein Blatt vor den Mund. Beinahe täglich kann man einen O-Ton von ihm zu jedem fußballrelevanten oder zeitgeschichtlich bedeutenden Thema lesen. Das Millennium, zum Beispiel, war ihm ziemlich egal, das konnte er auch nicht mehr hören. Auch der Rummel um seine Person ist ihm ziemlich lästig. O-Ton Olli: „Da gehört ein bißchen das Quentchen Glück dazu, das ich momentan halt habe. Aber ich weiß, wie schnell es wieder anders herum gehen kann. Deshalb bin ich ein bißchen skeptisch mit Begriffen wie Torwart-Gott. Ich persönlich höre das gar nicht so gerne.“ Wir anderen aber schon, da haben wir die kleine Skepsis schon überwunden. Denn das ist unser Olli, wie wir ihn lieben. Und so haben wir ihn dann auch gegen England gesehen. Nicht viel rumgelabert hat er, sondern zugepackt. Was der alles weggepflückt hat. An ihm lag’s jedenfalls nicht, daß wir verloren haben, ohne ihn wäre das Ergebnis noch viel höher ausgefallen als – äh – 1:5. Dann wären wir da mindestens mit 1:6 untergegangen. Aber mal sehen, wie sich der Rest der Mannschaft so darstellt.
Nehmen wir mal das Mittelfeld, das sich am Samstag auf dem Rasen so indisponiert zeigte. Jung-Star Sebastian Deisler jedenfalls läßt es bei seinem Auftritt unter www.deisler.de etwas an Verbindlichkeit vermissen. Es sieht sehr flashy aus, sehr jung, sehr schwarz auf rot, aber es bleibt doch etwas substanzlos. Außer einem Schwarzweißbild, auf dem man ihn zudem kaum erkennen kann, hat er nicht viel zu bieten. Außerdem besitzt er die Frechheit, daß wenn man sein Bild anklickt, er einen auf einen fachkundigen Freund verweist, der einem bestimmt weiterhelfen kann. Kein Wunder, wenn da auf dem Platz nichts läuft. Will man ihn anspielen, dann zeigt er einfach auf den Ballack und steht weiter in der Gegend rum. Ach ja, Ballack. Das zweite Riesentalent des deutschen Fußballs präsentiert sich auf www.ballack.de auch nicht gerade von der einsatzfreudigsten Weise. In seinem Tagebuch, das seine letzten großen Einsätze behandelt, kann man Passagen wie die folgende lesen: „Heute mal wieder alleine unterwegs. Das hat zumindest den Vorteil, daß ich mir die Route und die Zeitplanung (oops, nicht mal ne Uhr dabei) ganz ungezwungen einteilen kann. Außerdem braucht man ja auch mal einen Tag, wo man ungestört seinen Gedanken nachhängen kann… […] Die Sonne knallt schon mächtig vom Himmel. Es soll heute wieder recht warm werden (ca. 25 Grad), bevor uns die nächste Kaltfront erreicht. Ich habe mich deshalb mit drei Litern Zitronentee […] eingedeckt, dafür aber bei der Brotzeit gespart (bin heute abend sowieso noch zum Grillen eingeladen.“ Ja, wo sind wir denn hier? Man muß sich fragen, ob der Fußballplatz wirklich geeignet ist, um seinen Gedanken nachzuhängen und sich mit dem Wetter zu beschäftigen. Und wer abends zum Grillen eingeladen ist, muß nicht unbedingt vorher noch ein Länderspiel bestreiten. Was dabei rauskommt, haben wir jedenfalls gesehen.
Einen besseren Eindruck hinterläßt da schon Marco Rehmer, der auf seiner Seite www.rehmer.de Bodenständigkeit demonstriert und sich für keine Aufgabe, sei sie noch so dreckig zu schade ist. Außerdem scheint sein Herz schon jetzt am Fußballnachwuchs zu hängen, wie die folgende Passage beweist: „Der Meister hat in seinen Berufsjahren schon 15 Lehrlinge mit Erfolg ausgebildet. Bedingt durch ein gutes Betriebsklima sind die Mitarbeiter schon langjährig hier beschäftigt.“ Zugegeben, die Selbstbezeichnung als „Meister“ ist schon etwas befremdlich, und die Floskel vom „guten Betriebsklima“ meint in Zeugnissen ja, daß man den ganzen Tag besoffen war und die Kolleginnen angegrapscht hat, aber ansonsten klingt das schon ganz gut. Rehmer gehörte jedenfalls am Samstag zu den besseren Spielern. Genau wie Didi Hamann, der allerdings ein etwas umständlicher Spieler zu sein scheint, wie die Phrasen auf www.hamann.de andeuten: „Was wir im einzelnen für Sie tun können, läßt sich am besten in einem persönlichen Beratungsgespräch ermitteln. Nennen Sie uns Ihre Wünsche und Ziele. Wir werden Ihre Vorgaben analysieren und Möglichkeiten und Wege aufzeigen […]. In der Planungsphase, wenn das Konzept erarbeitet wird, stehen wir mit unseren Kunden im ständigen Dialog, um firmenspezifische Anforderungen und Zusammenhänge optimal zu integrieren. Wir ermitteln den genauen Bedarf, so wie er im Augenblick erforderlich ist; berücksichtigen dabei aber schon mögliche zukünftige Entwicklungen hinsichtlich technischer Innovation oder der Expansion des Unternehmens.“ Klingt ganz toll, wirklich, aber möchte jemand mit Rudi Völler tauschen und diesem Menschen, der von sich im pluralis majestatis redet, erklären, daß er engagiert in die Zweikämpfe gehen und über die Flügel spielen soll? Ein Totalausfall dagegen ist Jörg Böhme, nicht nur auf dem Rasen, sondern schon im Internet. Was soll man von jemandem erwarten, der einen auf www.boehme.de am 2. September 2001 zur „Expo 2000 in Hannover“ begrüßt?
Daß die heutigen Fußballspieler nur ans Geldverdienen denken, zeigt die Seite von Stürmer Carsten Jancker. Man ahnt schon, daß er etwas zu verbergen hat, weil er einem den Zutritt zu www.jancker.de verbietet und mitteilt, daß man nicht die erforderliche Berechtigung habe, die Seite anzeigen zu lassen. Kundige Internetbenutzer haben aber herausgefunden, daß man über einen anderen Top-Level-Domain-Eingang sich doch auf die Seite schleichen kann, und so offenbart sich auf www.jancker.com der wahre Charakter des Spielers. „Earn Money Now!“ schallt es einem dort entgegen und es werden verschiedenste Wege aufgezeigt, um dieses Credo auch tatsächlich zu erfüllen. Kein Wunder, daß jemand, der nur Kohle im Kopf hat, glaubt, mit einem Tor seine Pflicht erfüllt zu haben und sich dann nur noch so im Spielgeschehen treiben läßt. Sein Sturmpartner Oliver Neuville arbeitet zumindest an sich, jedenfalls verkündet er auf www.neuville.de, daß er „Under construction“ sei. Auch wenn es noch keine Ergebnisse zeitigt, eine solche Einstellung muß man loben. Er ist ja auch schon vom Körperlichen her eine sehr bescheidene Erscheinung, ganz im Gegensatz zu dem großgewachsenen und –spurigen Jancker.
Bei fünf Gegentoren liegt es natürlich nahe, die Abwehr für die Niederlage verantwortlich zu machen. Zu Recht, wie die Internetauftritte der Dreierkette belegen. Thomas Linke zum Beispiel gibt auf www.linke.de zu, daß er immer noch gedanklich im Urlaub ist und erst ab dem 1. Oktober 2001 wieder für größere Projekte zur Verfügung steht. Zu dumm, daß ein WM-Qualifikationsspiel ein solches „größeres Projekt“ darstellt. Rudi Völler sei zudem ein Blick auf die Fähigkeiten-Auflistung seines Schützlings empfohlen. Im besten Kicker-Magazin-Stil hat er dort eine Menge Tabellen erstellt, die seine „Power“ in bestimmten Einzelpunkten mit einer bestimmten Anzahl von Kreuzen anzeigen. Beim Punkt „Projektleitung“ gibt er sich fünf Kreuze, allerdings gilt das nur, wenn die Gesamtzahl der beteiligten Personen kleiner oder gleich 10 ist. Für alles darüber gibt er sich nur drei Kreuze. Nun ist es doch so, daß eine Fußballmannschaft aus 11 Personen besteht. Das ist zwar nur knapp über 10, aber dennoch sind die Fähigkeiten in diesem Bereich nur noch mittelmäßig. Aber das ist nur ein kleiner Tip. Als Referenzen gibt er übrigens fast nur Banken an, wahrscheinlich ist er vom gleichen Schlag wie Carsten Jancker, mit dem er ja in einem Verein spielt. Der zweite Manndecker Christian Wörns scheint am Samstag nur verletzt ins Spiel gegangen zu sein, denn auf seiner Seite www.woerns.de findet man den lakonischen Hinweis, daß es seit dem 25. Februar 2001 keinen Service gibt, weil gerade Wartungsarbeiten stattfinden. Das muß er Rudi Völler verschwiegen haben. Über die Leistung von Abwehrchef Jens Nowotny ist alles gesagt, wenn man seine Website ansteuert. „Wir können www.nowotny.de nicht finden“ steht dort. Das werden sich seine Mannschaftskollegen am Samstagabend auch gesagt haben.
Es ist immer so einfach, zu sagen, man hätte alles vorher wissen können. In diesem Fall stimmt es aber tatsächlich. Denn was soll man von einer Truppe erwarten, die ihre Gedanken zu Grillfesten abschweifen läßt, verzweifelt an sich arbeitet, sich für Projekte mit 11 Leuten nur mäßig qualifiziert fühlt, auf besser qualifizierte Kollegen verweist, sich in Wartungsarbeiten befindet oder sich erst einmal gründlich anhören will, was erwartet wird, um dann Lösungsvorschläge anzubieten. Die Weltmeister von 1974 waren da noch aus ganz anderem Holz geschnitzt. Gerd Müller sang „Dann macht es Bumm und es heißt Tor“ und genau so war es dann auch. Paul Breitner ritt als finsterer Cowboy durch Kinofilme und war auch auf dem Platz ein finsterer Outlaw, der sich seinen Weg bahnte. Und Franz Beckenbauer kochte sich Tütensuppen, weil er sich auch dem Platz nie zu schade war, das, was er sich eingebrockt hatte, auch auszulöffeln. Das waren noch Zeiten. Selbst wenn man jetzt als Argument einwenden würde, daß es doch ein Mannschaftsspiel sei, daß das Ganze doch mehr als die Summe seiner Teile darstelle, dann läßt sich das durch das Internet widerlegen. Man muß nur die Adresse www.fussballnationalmannschaft.de eingeben. Zwei unmißverständliche Worte stehen auf dem Bildschirm: „Service unavailable.“
Bildquellen
- The sun always shines on tv: Mathias Mertens