Kommentarkultur: Zusammen Nein schreiben

Zur Kommentarkultur im Netz: Was Trump zu sagen hat wurde über Jahre hinweg vorbereitet und in Kommentarspalten kultiviert. Zeit, einfach mal Nein zu sagen.

Der Ton in den sozialen Medien ist schon seit einer ganzen Weile rau. Da wird in Kommentarspalten beschimpft und gedroht. Da wird der Holocaust geleugnet. Da werden Geflüchtete mit giftigen Süßwaren verglichen. Da wird Vergewaltigung legitimiert. Da schreibt man jeweils der anderen Seite Dummheit zu, spricht sich gegenseitig das Recht zu sprechen ab und baut fleißig an den Mauern in den Köpfen, die als Bauplan für die Mauern an den Grenzen dienen.

Es ist unangenehm, hasserfüllte Kommentare über Andere zu lesen. Es ist noch unangenehmer, hasserfüllte Kommentare über sich selbst zu lesen. Doch wenn man seine Meinung online kundtut macht man sich angreifbar. Ganz besonders dann, wenn man nicht-weiß und/oder nicht-männlich ist. Anfang des Jahres, zum Beispiel, taten sich die twitternden Frauenfeinde in Deutschland zusammen, um die (größtenteils weibliche) Redaktion des Online-Magazins Edition F zu beleidigen. Twitter in Deutschland ist dabei schnarchnasig genug, um in kürzester Zeit rassistische und sexistische Hashtags zum Trenden zu bringen und so überproportionale Aufmerksamkeit zu generieren.

Natürlich ist das kein deutsches Phänomen. So wurde im Sommer 2016 die US-Amerikanische Schauspielerin Leslie Jones mit rassistischen und sexistischen Beleidigungen überschwemmt, weil das Ghostbusters-Remake die Kindheit einiger erwachsener Männer „zerstört“ hatte, die sich nun mutig gegen die Crybabies der Linken stellen mussten. Leslie Jones zog sich daraufhin von Twitter zurück.

Doch Offline-Sein schützt vor Shitstorm nicht: Immer wieder werden Videos von Menschen ohne deren Einverständnis online gestellt und zum Abschuss freigegeben. So geschehen bei der kanadischen Feministin Chanty Binx, die versucht hatte auf einer Demo gegen ein paar „Men Rights Activists“ anzuschreien – diese filmten sie dabei, sie wurde zum Red-Haired-Angry-Feminist-Meme, erhielt zahllose Drohungen und hat seither Angst ihr Haus zu verlassen. Natürlich trifft es nicht nur Frauen. Kurt Eichenwalt, ein linker Journalist und als Epileptiker bekannt, wurde über Twitter mit Stroboskop-Gifs attackiert, die einen Anfall bei ihm auslösten.

Reale Auswirkungen

Solche und mehr Beispiele zeigen, dass Hassrede im Netz sehr reale Auswirkungen auf Individuen hat. Und trotzdem scheint man den digitalen Raum noch immer von der „echten“ Welt abzuspalten. Man spricht von Netzaktivismus, Netzfeminismus oder von Cyber Mobbing. Ganz so, als sei das Internet eine obskure Parallelwelt, weniger real und weniger ernst zu nehmen. Da schreiben Leute eben manchmal Sachen, die sie gar nicht meinen. Und jene, die dort widersprechen, Dialoge öffnen und zu Solidarität aufrufen sind Aktivisten zweiter Klasse, weil sie zu faul sind „richtig“ zu protestieren.

Spätestens mit der Wahl von Trump müssen wir einsehen, dass das Blödsinn ist. Sein Wahlsieg wirkt wie der Aufstand der YouTube-Kommentarspalte und seine ersten Tage im Amt wie ein besonders durchgedrehtes 4ChanMessageboard, das plötzlich Executive Orders unterschreiben darf. Die Legitimation dessen, was Trump zu sagen hat wurde über Jahre hinweg vorbereitet und in Kommentarspalten kultiviert.

Spätestens jetzt müssen wir anfangen zu widersprechen.

Nun wurde – und wird – besonders unter Linken und Demokraten viel Selbstgeißelung betrieben. Wir leben in unseren Filterblasen, sind entfremdet von der „echten“ Bevölkerung, verstehen die Sorgen der „einfachen“ Leute nicht mehr. Das mag auch alles soweit richtig sein, doch das Internet ermöglicht es uns auch in Diskussionen mitzumischen, die sonst an Stammtischen, in Freizeitkellern oder bei Aufmärschen geführt werden, zu denen wir niemals Zugang hätten. Alle schimpfen auf die Filterblase, aber gleichzeitig waren wir zu keiner Zeit so konfrontiert mit den Gedanken von mittelalten Männern vom Dorf, die finden, dass Geflüchtete wieder zurück ins Mittelmeer müssten und die das auch als eine völlig legitime Aussage empfinden.

Es braucht mehr

Das Bewusstsein für den Widerspruch im Netz wächst, wie zum Beispiel die Facebook-Initiative #ichbinhier zeigt. Dort werden in einer privaten Gruppe Zeitungsartikel geteilt, unter denen sich besonders schlimme Hasskommentare tummeln. Mit dem Hashtag #ichbinhier versehen widersprechen die Mitglieder höflich, bieten Fakten und diskutieren mit.

Doch es braucht mehr davon. Egal ob organisiert oder spontan, ob ausführlich oder kurz: Widerspruch zählt. Er fällt auf. Er verändert vielleicht nicht eine individuelle Meinung, doch er gleicht ein Bild aus, das seit viel zu langer Zeit viel zu weit nach rechts gekippt ist. Wer immerzu widerspruchslos seinen Hass verbreiten kann und dafür auch noch Likes erntet, bemerkt nicht all die Menschen, die vor ihren Bildschirmen sitzen und den Kopf schütteln. Das Gesicht verziehen. „Oh Gott“ oder „Ach du scheiße“ murmeln. Oder auch nur die Augen rollen. Doch diese Reaktionen sichtbar zu machen ist wichtig für die Meinungsbildung innerhalb einer Gesellschaft.

Wieso hat die AfD so viele entschiedene Gegner, aber man lässt sie auf ihrer Facebook-Seite in Ruhe? Wir müssen nicht für jeden dummen Kommentar einen Essay schreiben. Aber wir können einen Zeitungsartikel darunter posten, der eine andere Sichtweise vorschlägt. Wir können sagen „Bitte entschuldigen Sie, aber Ihre Wortwahl gefällt mir nicht.“ Wir können die argumentativen Fallstricke erklären. Oder ganz einfach „Nein“ schreiben.

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