Interviewreihe “Davon leben” – Interview mit Susanne Scheerer (Konzeptkünstlerin)

Martin Spieß trifft für unsere Interviewreihe Davon leben die Konzeptkünstlerin Susanne Scheerer. Ein Gespräch über Idealismus, Kapitalismus und jemanden, der vor das Sofa kackt.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für Davon leben trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Susanne Scheerer, 33, eine deutsche Konzeptkünstlerin. Sie arbeitet regelmäßig als Bühnenbildnerin am Theater, schreibt und beschäftigt sich mit Social Change. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Berlin. [Anmerkung: Das Interview entstand im Herbst 2015, als Susanne Scheerer mit ihrem zweiten Kind schwanger war. Deswegen ist im Gespräch nur von einer Tochter die Rede.]

Wann und wo bist du geboren?

Am 10. Februar 1984 in Witten im anthroposophischen Krankenhaus.

Du Hippie!

Ja, absolut. Meine Mutter aber ist der viel größere Hippie.

Wie äußerte sich das in deiner Kindheit?

Ich bin als Kind permanent nackt und ohne Windel rumgelaufen. Geschichten, wie ich vor das Sofa kacke, werden heute noch als Familiensaga gefeiert. Dann natürlich die obligatorische Behandlung auf Augenhöhe. Viele Heilmedikamente, viel Natur.

Das heißt, du bist auf dem Land aufgewachsen?

Nein, in Frankfurt am Main. Da bin ich auch zur Schule gegangen. Zwischendurch war ich in England und habe da meine A-Levels gemacht. Das ist so etwas wie das Abitur. Dann kam ich zurück und machte auch noch das deutsche Abi.

Wann hast du dein Interesse für Theater entdeckt? Oder bist du nur durch Zufall zum Bühnenbild gekommen und es war eher das gestalterische Element, das dich reizte?

Ich habe schon früh immer alles gemalt. Das war mein Sprachtool. Meine Mutter als gute Sozialpädagogin hat das ordentlich gefördert. Meine Eltern sind beide links-intellektuelle Sozis. Ich glaube, die wichtigste Aufgabe meiner Mutter bestand darin, mir Freiheit, Ausdrucksstärke und einen eigenen Willen einzubauen. Der Kern war die Suche nach Ausdruck. Das war lange Malen, Zeichnen, Basteln. Manchmal auch Schreiben. Mein Berufswunsch war immer der nach einem politischen, sozialen, philosophischen Impact und die Suche bestand aus der Frage: „Welches Mittel ist am besten geeignet?“ Ich war damals auch schon oft im Theater, ich kann mich noch an meine erste Zauberflöte erinnern. Aber lange waren Mode, Kunst und Journalismus eher an der vordersten Front.

Mode, Kunst und Journalismus, die Politisches, Soziales und Philosophie ablösten?

Nein, die Suche nach dem Politischen, Sozialen und Philosophischen in Mode, Kunst und Journalismus. Der naive Blick einer 16-Jährigen, würde ich heute sagen. (lacht)

Und was hast du damals gedacht?

Ich dachte, dass es möglich ist die Welt zu verändern durch Mode, Kunst, Schreiben, Theater. Dass es einfach reicht, den Beruf zu machen – als ich. Und dann schien mir unter dem Aspekt das Theater, also Bühnenbild, am kraftvollsten. (lacht)

Du lachst über dich selbst und deinen Idealismus?

Ja.

Ist Idealismus nicht idealerweise (sic!) die Antriebsfeder eines Künstlers?

Nein, das glaube ich nicht.

Sondern?

Heute würde ich sagen: Vielleicht Wut, oder Betroffenheit. Aber man braucht unbedingt ein Maß an Realismus. Wenn ich keine Existenzgrundlage habe, kann ich auch nichts bewegen. Je weniger Idealismus ich hatte, desto kraftvoller und politischer bin ich geworden. Und desto mehr Erfolg hatte und habe ich, auch monetär.

Wenn du keine Existenzgrundlage hast, kannst du nichts bewegen – das heißt: ohne sicheren Job keine Kunst?

Ohne sicheren Job beziehungsweise ohne für das, was du tust, richtig bezahlt zu werden. Also ich habe keinen anderen Job, mit dem ich Geld verdiene, sondern ich lebe von meiner Kunst. Aber es hat gedauert, bis ich das kapiert habe. Es ist wichtig, erfolgreich im Theaterbetrieb zu sein, weil je größer das Haus ist und je besser die Bezahlung, desto bessere inhaltliche Arbeit kann ich leisten. Also man muss einerseits den Regeln des Betriebs folgen, um sich dann andererseits Zwischenräume zu schaffen. Wenn ich an größeren Häusern für größere Gehälter arbeite, muss ich weniger Projekte im Jahr machen und kann inhaltlich genauer sein, bei jedem einzelnen. Außerdem gibt es Luft zwischen den Projekten, die ich nutzen kann für mich.

Dir ist aber schon bewusst, dass das ein riesengroßer Luxus ist, nur von deiner Kunst zu leben?

Ja, absolut. Es bringt auch mega viel Scheiße mit sich, der Luxus. Aber natürlich auch viele Vorteile.

„Mega viel Scheiße“ wie zum Beispiel?

Wenn ich eine Produktion mache, ist die zu 99 Prozent nicht in Berlin. Aber ich habe eine drei Jahre alte Tochter. Und dann bin ich weg, für sechs bis acht Wochen. Was natürlich nicht geht. Man hat keinen Arbeitnehmerschutz. Theater ist intern ein hyperkapitalistisches System. Und man muss wirklich sagen, dass mein Lebensstandard sehr, sehr niedrig ist. Also was ich als angenehme Absicherung empfinde, ist für viele studierte Freunde mit ähnlicher Berufserfahrung lachhaft. Reich werde ich nicht werden. (lacht)

Wer wird das schon? Darum geht es ja unter anderem in den Gesprächen dieser Serie. Du hast aber trotz der „mega vielen Scheiße“ den Anspruch, nur mit deiner Kunst Geld zu verdienen.

Nein.

Aber es ist schwierig als Bühnenbildnerin zu arbeiten und nebenbei einen Brotjob zu machen?

Ich weiß nicht, ob es schwierig ist, als Bühnenbildnerin parallel einen Brotjob zu machen, das hatte ich noch nie. Was es vor allem am Anfang gab war, dass ich fünf, sechs, sieben Projekte im Jahr für sehr, sehr wenig Geld gemacht habe. Wir reden von sechs Wochen künstlerischer Arbeit für 1000 Euro. Viele KollegInnen leben auch immer wieder von Hartz IV. Das musste ich noch nie. Viele KollegInnen kommen gerade so hin, machen Projekt auf Projekt. Arbeiten an allen kleinen Häusern, die Deutschland zu bieten hat, sind ständig unterwegs und nie zuhause. Von Theaterwohnung zu Theaterwohnung. Mir war immer klar, dass ich das nicht mache. So wichtig ist mir Theater nicht.

Das heißt, du hast klare Grenzen gezogen – und dann Glück gehabt?

Ich habe sehr schnell klare Grenzen gezogen, und das ist meiner Meinung nach die Grundvoraussetzung. Wenn du einen Kompromiss sendest, wirst du für den Kompromiss eingekauft.

Wie machst du das mit deiner Tochter?

Ich habe einen Mann, der gegen all seine Lebenserfahrung versucht, der größte Feminist aller Zeiten zu sein. Und trotzdem haben uns die ersten zwei Jahre als Paar fast zerlegt. Erst war ich drei Monate in Elternzeit, dann er nach der Geburt elf Monate. Solange es ging sind wir immer zu dritt gereist. Anderthalb Jahre. Das hat emotional viel gekostet. Dann kamen die erste Krise und daraufhin eine Paartherapie. Als die Elternzeit vorbei war, arbeiteten wir beide voll, dass heißt drei Produktionen pro Kopf pro Jahr. Pro Kopf, weil mein Mann auch Künstler ist, Opernsänger. Und er betreibt das queer-feministische Plattenlabel Springstoff.

Das Zuhause von Sookee!

Yeah, genau! Jedenfalls: Er war immer alleine unterwegs, ich mit Kind und Schwiegermutter, Mutter oder Nanny. Die Homebase war Berlin, wo wir fast nie zusammen waren. Dann kam die zweite Krise, ich hatte ein Burnout, war ständig krank und das Kind daueraggressiv. Im März 2014, zwei Jahre nach der Geburt, habe ich vier von fünf Projekten abgesagt. Sofort kam absolute, verschlingende Zukunftsangst. Trotz des bisschen Ersparten auf dem Konto. Aber die vielen Absagen haben genau das Gegenteil dessen bewirkt, was ich befürchtet hatte. Meine RegiekollegInnen erkannten, was ich leiste und haben Rücksicht genommen, weil ihnen die Zusammenarbeit wichtig war und ist. Sie haben mich nicht ausgetauscht, fallen gelassen und gesagt: „Fuck you!“. Sie fragen mich heute gezielter, früher und planbarer für Projekte und denken die Machbarkeit schon mit. Außerdem habe ich mir ein paar haarige Eier wachsen lassen und bin in Vertragsverhandlungen einfach besser geworden, weil ich es nicht mehr anders will. 2015 ist das Jahr, in dem ich am wenigsten gearbeitet und das meiste verdient habe. Das Glück, was natürlich eine Rolle spielt, ist, dass die Regisseure mit denen ich arbeite, erfolgreich sind beziehungsweise erfolgreich genug. Ich bin aber immer noch darauf angewiesen, dass meine Mutter jetzt für vier Wochen mit nach Basel kommt, um meine Tochter vor Ort zu betreuen, während ich im neunten Monat schwanger mit dem zweiten Kind die Zauberflöte mache.

Hochschwanger und Arbeit? Du machst das wirklich gerne, oder? Oder brauchst du das Geld?

Beides. Ich mache es gerne. Es ist ein Herzensprojekt. Und ein Drittel meines Jahresverdienstes.

Zurück zu dir und deinem Mann: Die Paartherapie hat euch beziehungsweise eure Beziehung gerettet?

Es hat geholfen. Gerettet haben wir. Eigentlich auch erst jetzt. Seit Anfang des Jahres wird es besser. Jetzt ist es so gut wie nicht mal vor dem Kind.

Krisen, Burnout, Zukunftsangst, Paartherapie – das ist ja gerade ganz schön persönlich geworden.

Ich bin voll für persönlich! Das war vorher schon in meinem Kopf. Ich glaube, Kunst ist nicht das, was auf der Bühne passiert, sondern die Begegnung. Berührung. Von Haut zu Haut. Seele zu Seele. Und diese Kunst kann ich überall machen. Gerade mache ich das im Theater, das muss aber nicht so bleiben. Insofern gibt es für mich, glaube ich, nur Kunst oder tot sein. Und darum darf und muss so ein Interview nackt sein.

Ich war die letzten fünf Jahre Teil eines Comedy-Duos, und wir haben wahnsinnig viel gespielt. Und da habe ich ganz strikt getrennt, hatte eine Bühnenfigur, die nichts oder nur ganz wenig von dem privaten Martin hatte.

Das ist auch okay. Das hier ist mein Weg. Ich habe für mich erkannt, wo gerade meine Kraft liegt, aber das muss für niemand anderen stimmen. Ich bin in den Beruf rein als sehr junge, sehr unerfahrene Frau und habe mir, sehr sinnbildlich, die Haare raspelkurz geschnitten. Um ernst genommen zu werden. Ich war tough und fest und stark, aber es war alles total aufgepumpt. Dann habe ich ein Kind bekommen, und das hat alles gelöscht und ich bin total weich geworden, habe mich aufgelöst. Und interessanterweise ist dadurch eine viel authentischere Kraft entstanden. Eine Löwenmama-Kraft. Eine biegsame Kraft.

Das ist eine interessante Parallele: Du erzählst, dass dein Mutterwerden dich zum Besseren gewandelt hat. Ich habe früher immer Kinder gewollt. Seit ich mit der Kunst Geld verdiene – und die letzten fünf Jahre hat das geheißen, ständig auf Tour oder im Studio zu sein –, will ich keine Kinder mehr, weil ich Angst habe, dass ein Kind mein Leben (oder besser mein Kunstmachen) zum Schlechteren verändert beziehungsweise es negativ beeinträchtigt.

Oh nein! Das Gegenteil war der Fall! (lacht) Zumindest bei mir, und bei meinem Mann auch. Es macht erwachsen. Es ist die schnellste und härteste Psychotherapie der Welt. Es macht authentisch, es fokussiert aufs Wesentliche. Es macht stark, es bringt dich zu deinem Kern.
Es bringt neue Themen, es macht dich weicher, emotionaler. Meine Tochter zwingt mich jeden Tag dazu, die beste Version meiner selbst zu sein.

Ich sage immer: Alles andere kann man ausprobieren. Du kannst eine Almhütte in Österreich betreiben, eine Surfschule auf Bora Bora aufmachen oder nackt in einer Höhle im Wald leben. Bei all dem kannst du dir auch eingestehen: „Okay, das war’s jetzt nicht.“ Ein Kind ist für immer. Und ich würde mir nicht verzeihen, ein Leben zu verkorksen, weil ich, wenn das Kind da ist, feststelle, dass ich doch keinen Bock drauf habe, Vater zu sein.

Das stimmt. Darüber haben wir nicht nachgedacht. Wir haben es gemacht, weil wir beide Schiss davor hatten. Also, wir wollten schon Kinder, aber wir haben die ewige Debatte nach dem Zeitpunkt einfach abgekürzt. Ich muss immer genau da hin, wo die Angst ist. Weil ich mich nicht von der Angst leiten lassen will.

Das sagt meine Mutter auch immer: „Wo die Angst ist, ist der Weg.“

Gute Frau. Und was ist schon ein verkorkstes Leben? Man kommt ja trotzdem aus dem bürgerlichen Milieu in Deutschland, dein Kind würde jetzt nicht irgendwo verhungert in einem Blumenkasten vergraben werden. Man wächst mit seinen Aufgaben. Und es gibt überall Hilfestellungen. Man muss sie sich nur holen.

Mit „verkorkst“ meine ich: Auch mit bürgerlicher Herkunft und noch so behütetem Aufwachsen kriegt jedes Kind große und kleine Traumata mit. So viel geht in der Schule, durch Freunde, auch die Eltern, kaputt. Das möchte ich meinem potentiellen Kind nicht zumuten.

Ist das nicht das Leben? Findest du es so schlimm, dass du lieber nicht geboren worden wärest?

Nein.

Na also. (lacht)

Du hast vorhin etwas gesagt und darauf will ich noch mal zurückkommen: „Je weniger Idealismus ich hatte, desto kraftvoller und politischer bin ich geworden.“ Wie meinst du das? Wenn man keinen idealistischen Impetus hat – also gar nichts verändern will –, woher kommt dann das Politische? Das kommt doch nicht aus dem Nichts, oder?

Natürlich muss ich mich verhalten wollen. Aber für alles und über alle Grenzen und zu jedem Preis und mich auch noch bedanken, dafür, dass ich was sagen darf? Nö. Da hab ich keinen Bock drauf. Ich weiß, es ist Luxus, wie die Kulturwelt in Deutschland aufgestellt ist – aber trotzdem sind es miese Bedingungen und ich muss mich jetzt auch nicht die ganze Zeit bedanken oder entschuldigen dafür, dass ich was machen darf.

Dann reden wir aber nicht über Idealismus. Du meinst Naivität. Sich vom neoliberalen Hyperkapitalismus, der auch vor dem Theater nicht Halt macht, ausbeuten zu lassen – darauf hast du keinen Bock.

Ja, vielleicht.

Aber der Inhalt deiner Arbeit, das Bühnenbilden selbst, das hat doch etwas mit Anliegen, mit Verändern-Wollen zu tun. Mit Idealen, mit einer Haltung.

Ich glaube, dass ich mit einem Theaterabend Menschen verändern, treffen und umdenken machen kann. Ich glaube, dass meine Arbeit an dem Thema mit den Menschen, mit denen ich arbeite, eine Veränderung bringen kann. Was ich an den Wörtern „Idealen“ und „Idealismus“ nicht mag, ist, dass sie von einer Realität ausgehen, in der es ein Ideal gibt: Es impliziert so ein richtig und falsch. Ein „so muss es sein!“. Bei Wikipedia steht: „Im alltäglichen Sprachgebrauch kann ‚Idealismus’ z. B. eine altruistische, selbstlose Haltung bezeichnen.“ Ich mag diese Verbindung von idealistisch und altruistisch nicht. Außerdem verbinde ich mit Idealismus den Impetus, das Richtige zu tun. Aber da kommt der kleine Anarcho in mir hoch und sagt: „Fuck you!“. Ich als Künstlerin will gar nicht notwendigerweise das Richtige tun. Vielleicht will ich auch eine Atombombe schmeißen. Oder ein bisschen zündeln. Daher die Wut als Quelle.

Die Wut ist der Motor deiner Motivation, aber wie gehst du mit Frustration oder Zweifeln um?

Mit Ausdauer, manchmal mit Sturheit. Ich musste lernen, Dinge auch mal auszuhalten. Und zu investieren, damit es besser wird. Und nicht abzuhauen. Das ist sozusagen die Kehrseite: Wenn man immer gleich abhaut, dann verändert sich ja die Situation nicht. Manchmal aber ist Rausgehen auch wichtig, wenn man erkennt, dass man nichts verändern kann. So wie bei meinem Burnout. Wenn sich heute etwas schlecht anfühlt und ich herausgefunden habe, was es ist, dann muss es weg. Oder ich: Anderer Job, anderes Team, andere Strategien. Meine Bereitschaft in unguten Verhältnissen zu verweilen ist gering. Aber es ist ein Mittelweg: Im Kontakt mit sich bleiben und eine realistische Einschätzung abgeben davon, was sich lohnt, an Energie in eine Sache reinzustecken. Die Erkenntnis meines Mannes war ja zum Beispiel: „Krass. Ich muss das jetzt mal aushalten und mir anschauen, wie ich gescheitert bin. Mit 32 keinen Erfolg im Job, auf jeden Fall keinen sichtbaren, kurz vor der Scheidung und ein kleines Kind.“ Das musste erstmal einsinken, bevor der überhaupt Kraft hatte, da raus zu kommen. Und so schmerzhaft es ist: Man muss erstmal hingucken um zu erkennen, was man nicht will. Damit man es anders machen kann. Es gibt einfach einen ziemlichen Erfolgsdruck. Alles muss gleichzeitig funktionieren.

Eben. Und manchmal müssen einem Körper und Geist einen Burnout schicken, damit man checkt: „Du bist grad mächtig auf dem Holzweg, Keule. Pass auf dich. Mach so nicht weiter. Das ist ungesund.“

Ja. Der absolute Nullpunkt, weil wir gelernt haben, dass mit Anfang 30 alles stehen muss: Familie, finanzielle Selbstständigkeit, ein Jet-Set-Leben, kreative Selbstverwirklichung. Das kann man ja gar nicht alles hinbekommen.

Aber der Kapitalismus redet uns das pausenlos ein. „Es gibt keine Grenzen. Streng dich an. Du kannst alles schaffen.“ Im Umkehrschluss heißt das: Wenn ich es nicht schaffe, habe ich mich nicht genug angestrengt.

Absolut. Scheiß verlogenes Kacksystem. Darum kann man sich nur immer wieder fragen: „Was will ich? Was kann ich? Was macht mich glücklich?“ Die große Erkenntnis für mich: Mich macht es glücklich, meine Tochter so oft ich kann um 15 Uhr aus dem Kinderladen abzuholen. Am liebsten jeden Tag. Ich liebe meinen Job und ich will ihn trotzdem nicht mehr als halbtags machen. Ich liebe die Zeit mit meiner Tochter mehr. Auch mehr als das ausbleibende Plus an Geld auf meinem Konto.

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  • Susanne Scheerer_Fotocredit Denis Ignatov: Denis Ignatov