Interviewreihe „Davon leben“ – Interview mit Sabrina Dortmund (Mode-Designerin)
Heute in unserer Interviewreihe Davon leben: Die Modedesignerin Sabrina Dortmund über sexy Unterwäsche, Body Diversity und den männlichen Blick.
Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für Davon leben trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Sabrina Dortmund, 32, eine deutsche Modedesignerin. Sie lebt in Berlin und betreibt dort das Lingerie Label TightLaced.
Wann und wo bist geboren?
Ich bin am 30. September 1984 in der Rattenfängerstadt Hameln geboren.
Bist du dort auch aufgewachsen?
Ja. Ich habe Hameln erst mit 19 Jahren verlassen, um in Hannover meine Ausbildung zur Buchhändlerin zu absolvieren.
Die du auch abgeschlossen und in dem Beruf dann gearbeitet hast?
Ja, ich habe insgesamt fast zehn Jahre damit verbracht, Bücher zu verkaufen. Die letzte Zeit war ich nur noch Teilzeit beschäftigt, da ich 2010 anfing, Modedesign zu studieren.
Wo war das?
Ebenfalls in Hannover, an der HS Hannover.
Und wie kam der Wechsel von der Literatur zur Mode zustande?
Ich habe das Gymnasium vor dem Abitur verlassen – unter der Bedingung meiner Eltern, eine Ausbildung zu machen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich zwei große Interessen: Bücher und die Schneiderei. Ich konnte mir mit 17, 18 nicht vorstellen, jemals zu studieren. Und da war dann die Frage, die sich sicher viele bei ihrer Berufswahl gestellt haben: „Will ich mein Hobby – in meinem Fall das Schneidern – zum Beruf machen?“ Das konnte ich mir noch weniger vorstellen, daher war die Wahl einen Beruf im Einzelhandel zu ergreifen relativ naheliegend. Und so bin ich im Buchhandel gelandet. Über die Jahre wurde mir die Mode aber immer wichtiger. Ich habe Aufträge von Freundinnen genäht, habe gelernt, wie man Schnitte selber erstellt, und plötzlich war die Lust zu studieren da. Die Lust, mehr über Design, Fertigung und Schnitterstellung zu lernen, und mich vor allem auf einem professionellen Niveau über mein liebstes Thema austauschen zu können.
Und für die HS Hannover brauchtest du kein Abitur? Oder hast du das nachgemacht?
Ich bin lange genug zur Schule gegangen um zusammen mit der Ausbildung die Fachhochschulreife zu erlangen. Was dann natürlich auch die Auswahl beim Studium einschränkte, da ich mich nicht an Universitäten einschreiben konnte.
Was aber letztlich keinen Unterschied machte, weil du dich an der HS Hannover wohl fühltest?
Das stimmt. Die HS Hannover war für mich persönlich ein Glücksgriff. Ich habe sehr viel gelernt, habe später als studentische Hilfskraft in der Organisation des Studienganges gearbeitet und einen sehr guten Draht zu den Dozenten gehabt.
Wann hast du deinen Abschluss gemacht?
Seit Anfang 2015 darf ich mich Bachelor of Arts nennen, allerdings ging es dann direkt im nächsten Sommersemester an der HTW Berlin weiter mit dem Masterstudium. Dort werde ich in diesem Sommersemester meine Abschlussarbeit schreiben.
Du studierst also noch, betreibst aber schon dein eigenes Lingerie Label TightLaced?
Das Studium stellt ja in einer gewissen Weise eine Art Schutzraum da. Also wann, wenn nicht jetzt? Ich habe mich schon vorm Studium sehr für Unterwäsche und Korsetts interessiert, also war mir von Anfang an klar, in welche Richtung ich mich spezialisieren würde. Meine erste Chance, im Rahmen des Bachelorstudiums Unterwäsche zu machen, war aber tatsächlich erst meine Abschlusskollektion. Seitdem war der Gedanke an TightLaced als Label immer wieder in meinem Hinterkopf. Im Herbst 2015 starb dann meine Oma, ein unglaublich wichtiger Mensch in meinem Leben. Dadurch habe ich ein Semester ausgesetzt, nachgedacht, geplant und mich dann mit Hilfe ihres Erbes selbstständig gemacht: Sie war Schneiderin, ich glaube und hoffe, dass sie sehr stolz darauf wäre, was ich mit ihrer posthumen Hilfe auf die Beine stelle.
Bist du denn stolz darauf, was du bisher erreicht hast? Läuft das Label? Kannst du davon leben oder musst du noch was anderes nebenher machen? Oder lebst du jetzt gerade vom Erbe deiner Großmutter?
Das Erbe meiner Großmutter ist leider schon durch, in so einem Wäschelabel steckt viel Material und somit auch viel Geld. Aber ja, ich bin verdammt stolz, was ich bereits erreicht habe. Ich habe konstante Verkäufe und bekomme sehr gutes Feedback. Sehr hilfreich ist dabei auch die Arbeit mit meinem Art Director Jörg Merlin Noack. Es hilft mir sehr, meine Arbeit durch seine Augen zu sehen, einfach, um etwas Distanz zum Geschaffenen zu erhalten. Und ich profitiere sehr von seiner enormen Fähigkeit, aus meinem Werk einen professionellen und ästhetischen Auftritt zu schaffen. Da ich vom Label noch nicht leben kann, arbeite ich freiberuflich als Designerin und nehme auch Aufträge zur Schnitterstellung an.
Ist es ein Problem für dich, noch auf Arbeit nebenher angewiesen zu sein? Würdest du am liebsten nur TightLaced machen?
Das ist eine Frage, auf die es kein klares Ja oder Nein als Antwort gibt. Einerseits wäre es wunderbar, mich nur auf mein eigenes Label konzentrieren zu können. Gerade, wenn ich auf die letzten Wochen zurückblicke, mit der dreifachen Belastung von Studium, eigenem Label und Freelancing. Dadurch dass diese drei Bereiche so nah beieinanderliegen, ist es manchmal schwer, die einzelnen Aufgaben klar voneinander abzugrenzen. Und ich muss die Prioritäten sehr klar im Auge behalten – oder eben 60,70 Stunden die Woche arbeiten. Andererseits geben mir das Studium und die freiberuflichen Aufträge auch viele Möglichkeiten, andere Dinge auszuprobieren, Kontakte zu knüpfen und stetig weiter zu lernen.
Ist das auch der Grund für das Masterstudium? Um dich weiterzuentwickeln, noch mehr zu lernen und Kontakte zu knüpfen? Du könntest ja auch sagen: „Ich hab mein eigenes Label und genügend Aufträge als Freelancerin – wozu brauche ich da noch einen Master?“
Diese Frage habe ich mir zwischenzeitlich auch sehr ernsthaft gestellt. Die Antwort ist: Das Studium gibt mir die Chance, mich theoretisch weiter mit bestimmten Themen zu befassen. Und ich bin jemand, der sehr gerne Wissen weitergibt, und könnte mir sehr gut vorstellen, zeitweise auch als Dozentin zu arbeiten. Da ist es schon sinnvoll, das Masterstudium abzuschließen. Außerdem wollte ich nicht den gleichen Fehler wie mit dem Abitur begehen. Ich habe jetzt die Möglichkeit, den Master zu machen, der mir gegebenenfalls an späteren Stellen meines Lebens Türen öffnen könnte für, die der Bachelor nicht ausreichend wäre.
Das klingt alles so, als wärest zufrieden, trotz der Umstände. Empfindest du das auch so? Oder bist du auch mal grüblerisch, melancholisch und zweifelst?
Wie war das bei Goethe: „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust!“ Primär bin ich sehr zuversichtlich. Die letzten Monate haben gezeigt, dass meine Arbeit gut angenommen wird und ich damit auf einem sehr guten Weg bin. Ich erfahre viel Unterstützung und habe die Möglichkeit, mit wunderbaren Menschen zusammen zu arbeiten. Auf der anderen Seite bin ich viel zu verkopft und mache mir viele Gedanken um alles und jeden. Mal fehlt es an Geld, um sofort umzusetzen, was mir gerade im Kopf herumspukt, mal habe ich das Gefühl, meinen eigenen Werten wie Feminismus oder Body Diversity hinterher zu rennen und nie genug dafür tun zu können. Und manchmal will ich einfach nur drei Wochen Urlaub, raus in die Welt, neue Eindrücke sammeln oder einfach nur faul sein: Das kann ich überhaupt nicht und muss schon fast dazu gezwungen werden, einfach mal abzuschalten.
Du sagst, dass es manchmal nicht genug Zeit gibt für deine Werte wie Feminismus und Body Diversity. Spielen die nicht beide bei deiner Arbeit als Designerin von Unterwäsche für Frauen eine Rolle? Sexy Unterwäsche kann ja neben der tradierten sexistischen Funktion des „Frau macht sich schön für Mann“ auch empowerment bedeuten: „Mein Körper, meine Entscheidung, wie ich mich anziehe.“
„Mein Körper, meine Entscheidung“ trifft den Kern meiner Arbeit sehr gut. Feminismus und Body Diversity schwingen beständig in meiner Arbeit mit. In diesem Zusammenhang bedeutet es vor allem, dass ich gerne mehr tun würde, um diese Werte effektiv nach außen zu tragen. Beispielsweise planen Jörg Merlin Noack und ich seit einem halben Jahr Fotoshootings, die die Vielfalt des weiblichen Körpers feiern. Aus Zeitgründen finden aber aktuell alle Shootings mit Frauen statt, die in meine Prototypen passen: Größe 38 und 75B. Einfach, weil ich es nicht schaffe, zeitnah andere Größen für die Editorials zu nähen. Ansonsten achten wir bei unserer Bildsprache sehr darauf, dass die Posen nicht zu aufreizend in Richtung „male gaze“ gehen. Auch retuschieren wir die Photos so wenig wie möglich, um aus unseren Models keine Kunstfiguren zu machen. Aber ich frage mich natürlich immer wieder, ob das reicht. Der menschliche Körper kommt in so vielen Formen und Farben. Aktuell plane ich gemeinsam mit Herrn Noack im Rahmen meiner Masterarbeit eine Interviewreihe, die sich mit Body Diversity auseinandersetzt. Die ersten Teilnehmenden werden komplett aus unserem Freundeskreis kommen. Auch hier stellt sich mir dann wieder die Frage: Wird das divers genug? Fehlt dabei nicht diese oder jene Gruppe Menschen? Ich sagte ja, ich bin zu verkopft. Manchmal denke ich sogar zu viel über Formulierungen nach und kriege nicht mal zwei Sätze zustande, weil ich befürchte, irgendjemandem auf die Füße zu treten. Ich bemühe mich sehr, in meinen Blogeinträgen und Beschreibungen der Wäsche korrekt zu gendern und nicht zu sexualisierend oder objektifizierend zu werden. Dabei merke ich immer wieder, wie sehr Sprache und speziell Werbesprache davon geprägt sind.
Wie sehr stört es dich, diesem Anspruch, gesellschaftlich beziehungsweise politisch relevante Mode zu machen, nicht immer gerecht werden zu können?
Es stört mich sehr, da es ein Thema ist, das mir sehr wichtig ist. Die Modebranche ist diesbezüglich ganz schön hart. Es werden unerreichbare Kunstfiguren geschaffen, die sich einige Menschen als Vorbild nehmen, daraus resultieren meiner Meinung nach viele ungesunde Erwartungen an sich selbst und auch an andere. Das ist auch eines der Themen, mit denen ich mich innerhalb meiner Masterarbeit gezielt auseinandersetze: „Ist es möglich, Mode beziehungsweise Unterwäsche zu produzieren, die dem Individuum gerecht wird und nicht einem abstrakten Durchschnittskörper?“
Ungesund im wahrsten Sinne des Wortes: Es gibt Untersuchungen, denen zufolge es einen Zusammenhang gibt zwischen Unterwäschenwerbung und Shows wie Germany’s Next Topmodel und Zunahme von Anorexiefällen. Zeig jungen Mädchen nur magersüchtige beziehungsweise unnormal dünne Mädchen und Frauen in der Werbung und sie denken, dass sie so auszusehen haben – und dass das normal sei.
Ja, diese Untersuchungen hatte ich dabei auch im Hinterkopf.
Das heißt, mit „einige Menschen nehmen sich Kunstfiguren als Vorbild“ meintest du Mädchen und junge Frauen?
Nein, sonst hätte ich das gesagt. Diese Themen betreffen auch Männer, sind da aber noch stärker tabuisiert. Auch Männer sind anfällig für bestimmte Verhaltensweisen, die unter Umständen durch mediale Einwirkung getriggert werden: Essstörungen, exzessiver Sport, Missbrauch von Muskel aufbauenden Präparaten. Ich glaube nur, dass sich das etwas anders äußert als bei Frauen und vor allem anders oder auch gar nicht darüber geredet wird. Außerdem glaube ich nicht, dass sich nur junge Menschen durch medial geprägte Schönheitsideale beeinflussen lassen. „Jugendwahn“ ist ein fester Bestandteil des aktuell herrschenden Schönheitsideals. Dafür reicht ein Blick in die Regale der Drogerien mit Kosmetika: Cremes, die makellose, faltenfreie Haut versprechen, diverse Mittel gegen Haarausfall und graue Haare.
Ist die Tatsache, dass diese Themen bei Männern noch Tabu beziehungsweise kein Thema sind, der Grund, weshalb du keine Mode für Männer machst?
Nein, nicht direkt. Ich muss gestehen, dass ich sehr fasziniert davon bin, wie anders Mode im Allgemeinen und Unterwäsche im Speziellen im Bereich der Männermode funktioniert. Aktuell arbeite ich tatsächlich an einer kleinen, feinen Auswahl für Männer. Bei meinen Recherchen bin ich darauf gestoßen, dass es entweder sehr klassische, konservative Modelle und Materialien gibt oder dass es genau ins andere Extrem geht, welches eher im Fetischbereich angesiedelt wäre. Dazwischen gibt es, anders als bei Frauenwäsche, fast nichts. Viele Materialien, die im Bereich der Damenwäsche genutzt werden, sind mit Assoziationen wie „feminin“, „verspielt“, „niedlich“ oder ähnlichem besetzt. Und das macht es schwerer, Zwischentöne zu finden, die gegebenenfalls auch bei einer breiteren Zielgruppe Anklang und gesellschaftliche Akzeptanz finden würden.
Aber dich reizt die Herausforderung und deswegen probierst du es aus?
Primär probiere ich es aufgrund der starken Nachfrage aus. Viele Männer sprechen mich darauf an, ob ich auch Herrenwäsche mache, da ihnen das aktuelle Angebot nicht zusagt. Deswegen habe ich überhaupt angefangen darüber nachzudenken, auch Wäsche für Männer zu entwerfen. Und jetzt hat mich tatsächlich der Ehrgeiz gepackt.
Egal ob für Männer oder Frauen: Deine Mode ist nicht nur hübsche Verpackung, sondern der Versuch, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung zu verändern?
Absolut! Nicht umsonst stand die letzte Fotostrecke von TightLaced unter dem Motto „love yourself!“ Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch aus sich heraus die Möglichkeit hat, schön zu sein, aber in unserer sehr medial geprägten Zeit ist es häufig sehr schwierig, mit dem was man hat oder ist, zufrieden zu sein. Es geht immer schlanker, jünger, fester, makelloser. Alles kann und „muss“ optimiert werden.
Dabei könnte es einem so viel besser gehen, wenn man sich frei machte von all dem Druck.
Ja, genau. Und ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen.
Der Weg also ist schwer, aber du zweifelst nicht an der Entscheidung selbst, dich für die Kunst entschieden zu haben?
Niemals! Kreativität ist für mich ein sehr wichtiger und inspirierender Teil meines Weges, den ich hoffe, auf diese Weise noch eine ganze Weile beschreiten zu können. Ob es in Form meines Labels TightLaced ist oder ich einen anderen Weg für meine Kunst finde, werden mir wohl die nächsten ein, zwei Jahre beantworten können. Vielleicht sprechen wir uns dann einfach noch mal. (lacht)
Bildquellen
- _MG_3104: Jörg Merlin Noack
1 thoughts on "Interviewreihe „Davon leben“ – Interview mit Sabrina Dortmund (Mode-Designerin)"
Kommentieren ist nicht möglich.