#metoo

#metoo – Der Verantwortung Aufs Maul

In der letzten Woche sorgte der Fall Harvey Weinstein für Aufsehen und löste eine Welle von Berichten über sexualisierte Gewalt aus. Unter dem Hashtag #metoo berichten Frauen, was ihnen tagtäglich widerfährt. Das ist gut und wichtig, doch wir brauchen mehr Aufs Maul!

In der letzten Woche sorgte der Fall Harvey Weinstein für Aufsehen. Fast 50 Frauen berichteten von sexuellen Übergriffen seinerseits; und einige Nachrichtenzuschauer*innen mögen sich gedacht haben: „Puh, ganz schön krass, was dieser eine Mann da gemacht hat. #Notallmen, zum Glück.“
Dass es sich bei männlicher sexualisierter Gewalt um ein größeres, strukturelles Problem handelt, das nicht nur Schauspieler*innen in Hollywood betrifft, soll durch den Hashtag #metoo verdeutlicht werden, mit dem mittlerweile tausende Frauen* und Männer* weltweit sichtbar gemacht haben, dass auch sie sexualisierte Gewalt erlebt haben.

Ich halte #metoo für wichtig und richtig, aber es hat auch einen Beigeschmack von: Really? Wir müssen es jetzt NOCH mal erklären? Wir müssen das noch beweisen? Und dafür sollen wir uns einzeln öffentlich angreifbar machen mit einem Thema, das wir vielleicht gar nicht mit der Öffentlichkeit teilen wollen – aber sollten, damit uns endlich geglaubt wird, weil WOVON REDEN WIR DENN SEIT JAHRZEHNTEN?!

Tatsächlich wurde der Hashtag #metoo vor über zehn Jahren von der afroamerikanischen Frauenrechtsaktivistin Tarana Burke begründet. Nun wurde er als Reaktion auf einen Skandal um einen berühmten weißen Mann, der vornehmlich berühmte weiße Frauen belästigt hat, von einer weiteren berühmten weißen Frau wieder aufgegriffen und geht um die Welt. Das macht den bitteren Beigeschmack noch ein bisschen bitterer. #Metoo soll ein Akt der Solidarisierung sein, aber der Name seiner afroamerikanischen Begründerin verschwindet hinter dem einer weißen Schauspielerin. Der Kampf schwarzer Frauen wird für weiße Frauen nutzbar gemacht. Ist halt auch nicht so cool.
Aber gut, nun ist der Hashtag in aller Munde und wir sollten ihn als Katalysator nutzen und gemeinsam wütend sein.

Im Rechtfertigungsringelreihen

Meine Wut jedenfalls steigt immens, in den letzten Jahren, Monaten, Wochen. Die letzten Male, die Männer sich übergriffig mir gegenüber verhalten haben, habe ich mich dabei ertappt, wie ich mir gewünscht habe, dass sie diesen einen kleinen Schritt über eine Grenze gehen würden, damit ich berechtigt bin, zuzuschlagen. Meistens ist dieses belästigende Verhalten eben genug, damit es mir damit schlecht geht, aber – von außen betrachtet – nicht genug, um aggressiv zu werden.

Vor drei Tagen fasst mir ein Mann in einem Gespräch ins Gesicht und als ich ihm sage, dass ich das nicht möchte, drückt er mir seine flache Hand ins Gesicht und sagt: „Du hast doch schon längst ja gesagt.“ Ich schiebe seine Hand weg und bin kurz wütend, aber zwei Sekunden später lache ich wieder und tue, als wär nix. Schließlich ist er ist ein Freund einer Freundin und ich will hier niemandem den Abend versauen.Ich will nicht, dass alle in der Runde denken, ich wäre aggressiv. Ich habe Angst, dass ich eigentlich überreagiere und außerdem Angst, dass er noch mehr handgreiflich wird.

Denn egal, wie ich in einer Situation, in der jemand gegen mich übergriffig ist, reagiere – ich muss in Sekundenschnelle die potenziellen Konsequenzen verschiedener Handlungsstrategien kalkulieren und außerdem damit rechnen, dass ich mich danach dafür rechtfertigen muss. So oft wie mir Aggression und Überreaktion vorgeworfen wurde, so oft wurde ich gefragt: „Warum hast du denn nichts gemacht?“

Ich habe keine Lust mehr auf diesen ständigen Rechtfertigungsringelreihen. Ich habe keine Lust, ständig Männern meine Lebensrealität erklären zu müssen, dabei ruhig zu bleiben und mich für meinen Ton zu entschuldigen und dann nochmal von vorne anzufangen. Ich will wirklich gerne aufhören, darüber nachzudenken, wie das jetzt von Außen aussieht und einfach mal aufs Maul geben. Es frustriert mich, dass Männer so oft keine Verantwortung für ihr Scheißverhalten übernehmen müssen und ich, wenn ich mich wehre, schon.

Derartige Situationen sind keine seltenen Einzelfälle, sie passieren immer und immer und immer und immer und immer immer immer immer immer immer wieder. Wenn ich das Haus verlasse, muss ich mich darauf einstellen, belästigt zu werden. Wenn ich irgendwo hingehe, wo Männer betrunken sind, bin ich darauf vorbereitet, mich körperlich gegen sie zu wehren. Wenn ich in der Nacht alleine nach Hause laufe, trage ich meinen Schlüsselbund in der Faust, um im Notfall effektiver zuschlagen zu können. Ich kann mir meiner körperlichen Unversehrtheit nicht sicher sein.Ich kann mir dagegen sicher sein, dass es Wege gibt, mir die Verantwortung in die Schuhe zu schieben, wenn einer dieser Fälle eintritt. Was fällt mir auch ein, auf die Straße zu gehen / Sachen anzuziehen, in denen ich gut aussehe / auf Partys Alkohol zu trinken / nachts unterwegs zu sein. Vielleicht muss ich mich glücklich schätzen, dass sich Männer bisher damit begnügt haben, ihre Hände in mein Gesicht, auf meinen Arsch und zwischen meine Beine zu drücken, anstatt mich zu vergewaltigen.

Es sind immer die Weiber

Ich trainiere seit anderthalb Jahren Kickboxen. Durch den Kampfsport habe ich den krassen Vorteil, dass ich ungefähr weiß, was mein Körper kann. Es ist ein Privileg, dass „Aufs Maul“ für mich überhaupt eine Option ist – zumindest in der Theorie.

Unsere Trainerin hat uns heute ans Herz gelegt, das Lachen im Freikampf zu vermeiden, denn das sei vor allem bei weiblich sozialisierten Personen ein typischer Reflex in bedrohlichen Situationen. Da ist mir aufgefallen: Ich lache oft. Ich habe auch schon mit einer ungewollten Hand zwischen den Beinen gelacht. Es könnte ja sonst aggressiv wirken, wenn ich diese Hand wegstoße. Oder der Besitzer der Hand könnte sich doof fühlen. Ja, das mache ich auch: mir während eines Übergriffes Gedanken darüber, wie meine Reaktion sich auf das Gefühlsleben meines Gegenüber auswirken könnte.

Ich habe kürzlich einen Artikel darüber geschrieben, wie mir bereits in der Schule beigebracht wurde, dass das männliche Ego von größerer Bedeutung ist als meine persönlichen Grenzen. Kurz darauf war ich in Diskussionen verwickelt, in denen von männlicher Seite argumentiert wurde, die von mir besprochenen Lehrer wären nicht verantwortlich für ihr sexistisches Verhalten, weil “die jungen Mädchen immer so tiefe Ausschnitte tragen”.

Es ist ja fast rührend, dabei zuzusehen, wie ein mittelalter weißer Mann sich brüderlich schützend vor einen anderen stellt. Sie wissen schon, wer daran Schuld ist, dass sie so sind wie sie sind: die Weiber! Auch die minderjährigen! Schützt erwachsene Männer davor, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen! Lasst sie als Väter und Lehrer Vorbilder für eine weitere Generation arschgrabschender Idioten sein!

#youtoo oida!

In Statistiken zu sexualisierter Gewalt wird zumeist festgehalten, welcher Prozentsatz einer Gesellschaftsgruppe welche Art von Übergriffen „erfahren hat“. Die passive Form suggeriert, der gemeinsame Nenner dieser Übergriffe wären Frauen*, die etwas mit sich haben machen lassen. Das stimmt so nicht. Der gemeinsame Nenner sind Männer, die etwas gemacht haben. Diese finden manchmal nicht einmal Erwähnung. Es gibt sie gar nicht, die Täter.

Diejenigen, die sich zur Thematik verhalten müssen, sind nach wie vor die, die darunter leiden. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass der Diskurs überhaupt geführt wird. Während die Täter viel zu oft anonym bleiben, müssen die Opfer sich „outen“ und wieder und wieder Geschichten erzählen, die sie belasten. Dabei begeben sie sich in ein Minenfeld aus Meinungen. Dann kommt gerne mal ein misogyner Knallkopf um die Ecke und labert irgendwas von Opferkult. Gut. Dann hören wir doch mal auf, über die Opfer zu reden und sprechen stattdessen über DICH, Knallkopf. In meiner Facebook-Bubble gibt es auch schon Ideen für einen Hashtag, der dich endlich wieder mit einbezieht:

„Wie wärs mal mit metoo als mann? So auf ja auch ich war scheiße und hab wen belästigt? Ich hab wem hinterher gepfiffen, nicht ernst genommen, total übersexualisiert und überhaupt wichs ich nur mehr zum ärgsten porno weil ich innerlich so tot und abgestumpft bin. Wenn schon, denn schon. Also #youtoo oida!“ Fra Bernstein

You too, Arschloch. Und – ich fasse es nicht, dass ich das wirklich immer wieder erwähnen muss – ich hasse nicht alle Männer. Es gibt viele Männer, die ich sehr lieb habe. Schritte in die Richtung dieses Auserwähltenkreises wären zum Beispiel: Mich nachts an der Bushaltestelle in Ruhe lassen. Mich nicht öffentlich diskreditieren. Mich nicht gegen meinen Willen anfassen. Solltest du dich aber sowieso schon angesprochen fühlen und beleidigt sein, dann mag ich dich wahrscheinlich tatsächlich nicht. Das liegt aber nicht daran, dass du ein Mann bist. Es liegt daran, dass du ein Arschloch bist. Und für Arschlöcher habe ich folgende Warnung: Ich kann jetzt auch wütend.

Zum Abschluss: Sollte irgendjemandem jetzt das Wort „Köln“ auf der Zunge liegen, lasst es bloß stecken. Wenn mir noch einmal jemand über den Weg läuft, der mit meinen Erfahrungen mit Sexismus seinen Rassismus rechtfertigen will, dann haue ich dieser Person meinen Ellenbogen ins Gesicht. Das habe ich nämlich heute gelernt.

Bildquellen

  • metoo: Bildrechte beim Autor

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