Vor ein paar Jahren geisterten YouTube-Videos eines Mannes durchs Netz, der mit Seitenscheitel aus schütterem Haar und Hitlerbärtchen über „Reichsflugscheiben“ (sprich: Nazi-Ufos) dozierte, darüber, dass die Erde „ein Strafplanet“ sei (deswegen die unterschiedlichen Rassen) und die Arier vom Aldebaran kämen. Der Mann – er ist mittlerweile gestorben – hieß Dr. Axel Stoll, und er war so etwas wie der Party-Joker in Gesprächen über Verschwörungstheorien. „Muss man wissen“ war Stolls Catch-Phrase, der dann unter wissendem Grinsen und ironischem Augenzwinkern rezitiert und anschließend befreiend gelacht wurde. Haha, was sind wir alle reflektiert, haha, was ist das nicht alles für Unsinn.

Der Unsinn nimmt reale Formen an

Dass der Unsinn, der Verschwörungstheorien sind, auch ganz reale Formen annehmen kann, unter anderem davon handelt Angela Merkel ist Hitlers Tochter, ein Sachbuch der Journalisten Christian Alt und Christian Schiffer, das gerade im Hanser Verlag erschienen ist. Darin erzählen die beiden Autoren von ihrer Reise und ihrem Aufenthalt Im Land der Verschwörungstheorien (so der Untertitel), davon, dass es Verschwörungstheorien immer gegeben hat, weil ihr Vorhandensein im Kern nachvollziehbar ist: Sie reduzieren die Komplexität der Realität, bieten einfache Erklärungen an, wenn die Wirklichkeit mal wieder allzu undurchschaubar erscheint. Alt und Schiffer recherchieren sich durchs Internet, lesen (obskure) Bücher, treffen ehemalige Verschwörungstheoretiker*innen, und decken die Mechanismen auf, nach denen Verschwörungstheorien funktionieren. Die beiden Autoren sind Nerds, die eigentlich lieber mit einer Tüte Flips vor der PlayStation sitzen wollen, dementsprechend fluffig und unterhaltsam ist der Erzählstil am Anfang auch. Je tiefer sie aber in den Kaninchenbau vordringen, umso mehr merken sie, dass Verschwörungstheorien mittlerweile kein harmloses Party-Gesprächsthema mehr sind, und so verändert sich nicht nur ihre Sichtweise, sondern auch der Ton des Buches. Spätestens, als ihnen der Ort Georgensmünd begegnet, in dem der Reichsbürger Wolfgang P. im Jahr 2016 einen SEK-Beamten erschossen hat, wird ihnen klar: Man kann nicht (nur) drüber lachen, man muss etwas tun. Um den Diskurs wieder in ernstzunehmende Bahnen zu lenken.

Aufstand der Vernunft

Es ist bezeichnend, dass das Buch nur wenige Tage vor dem ersten Aufmarsch von Neonazis in Chemnitz erschien, konnte man doch im Zusammenhang damit etliche Mechanismen beobachten, die Alt und Schiffer in ihrem Buch beschreiben: überall (vor allem im Netz) wurde betont, es sei ein Trauermarsch und es wären kaum Nazis dabei gewesen, es wurde getwittert und kommentiert, dass das keine Nazis seien, sondern besorgte Bürger, dass die Medien alles verzerrten und man der Berichterstattung sowieso nicht glauben könne. Die Leute, die da den Hitlergruß zeigten, wären eingeschleuste V-Männer oder von der Antifa, damit wieder mal Stimmung gegen rechts gemacht werden könne. Angela Merkel ist Hitlers Tochter ist also brandaktuell, und die gesellschaftliche Lage passend dazu brandgefährlich. Auch darauf weisen Alt und Schiffer hin, wenn sie zum Ende des Buches einen Weg aus dem Kaninchenbau aufzeigen und fordern: „[Wir] brauchen einen Aufstand der Vernunft. Denn wir glauben zwar nicht, dass man mit Rechten reden muss, aber mit vielen Verschwörungstheoretikern sollte man es zumindest versuchen, schon alleine, um zu verhindern, dass sie zu Rechten werden.“

Das ist nicht nur ein starkes Credo, Alt und Schiffer haben während ihrer Reise auch bewiesen, dass sie sich selbst daran halten. Sie begegnen den Menschen mit Respekt, den Aussteiger*innen und ehemaligen Verschwörungstheoretiker*innen, ohne aber sich über sie zu erheben oder sie zu verlachen. Genauso aber durchleuchten sie den Bullshit, der ihnen begegnet. Am Ende ist Angela Merkel ist Hitlers Tochter ein einfühlsames, ein unterhaltsames und ein ernst aufklärerisches Buch, das genau zur richtigen Zeit erschienen ist.

Weitere Informationen:

Christian Alt, Christian Schiffer: Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien
Hanser, 2018
ca. 288 Seiten, 18 EUR
ISBN: 978-3-446-26028-3