Hautfreundin: Rundherum frei
Doris Anselms Debütroman Hautfreundin erzählt von einer Heldin, die sich nicht verlieben will: ihr geht es nicht um Monogamie, sondern um Freiheit und selbstbestimmte (körperliche) Liebe. Martin Spieß hat ihn gelesen.
Bücher über körperliche Liebe sind ein schmaler Grat, die eben diesen Grat allzu oft nicht meistern: Es wird schmuddelig oder billig, kitschig oder schwülstig, es wird manieriert und bieder oder verkommt zur wenig literarischen Masturbationsvorlage. Doris Anselms Debütroman Hautfreundin hingegen ist ein Stück Sexualliteratur, das all diese Klippen spielend umschifft und dabei auch noch glänzend geschrieben ist.
Das Buch, das mit Eine sexuelle Biografie untertitelt ist, ist ein Episodenroman: die Ich-Erzählerin hat Sex mit verbundenen Augen, macht Fesselspiele, geht zu einer Tantra-Massage und es gibt ein Kapitel, das in einer Zukunft spielt, in der Körperlichkeit und Sex kaum noch existieren und die meisten Menschen ihre Leben nur mittels sozialem Netzwerk leben – ein Kapitel wie eine wirklich gute Episode Black Mirror. Sie lernt Männer über Kundenhotlines kennen oder im Zug, und es entspinnen sich aufregende Anekdoten, in denen sich Ich-Erzählerin und Sexualpartner einander näherkommen, ihre Haut für einen Moment teilen und (mal mehr, mal weniger) ganz gleichberechtigt miteinander sind. Natürlich klappt nicht immer alles, und manchmal lässt die Ich-Erzählerin eine Audio-Aufnahme mitlaufen, nur für den Fall, dass für den Mann nicht „nein heißt nein“ gilt. Sie gibt auf sich acht, sie nimmt sich, was sie braucht, ohne egoistisch zu sein oder Ansprüche zu stellen, sie spricht Grenzen genauso aus wie Wünsche, sie lebt gesunde Sexualität.
Im Zentrum steht die Lust
Hinter eben dieser ihrer Sexualität verschwindet die Ich-Erzählerin dabei ganz: man weiß nicht, womit sie abgesehen vom Sex ihre Tage füllt, aber das ist auch nicht wichtig. Erstens ist sie ist ein so sinnliches Wesen, dass sie von der Körperlichkeit zu leben scheint. Und zweitens geht es ihr nicht nur um das simple Liebesspiel, nicht nur um den reinen Akt. Doris Anselms Heldin hat nicht einfach nur (roughen) Sex, lässt sich nicht einfach nur fesseln, schläft nicht einfach nur mit vergebenen Männern: sie versagt sich ganz bewusst gesellschaftlichen Erwartungen von Zweisamkeit, Monogamie oder Geschlechterrollen. Sie will keine Kinder, keine Beziehung. Im Zentrum steht ihre Lust, und dann zerbrechen schon mal Freundschaften, weil eine mittlerweile Mutter gewordene Freundin sie nicht nur nicht versteht, sondern sie und ihren selbstbestimmten Lebensentwurf so von oben herab behandelt. Auch wenn das Buch an vielen Stellen so explizit ist, verkommt es nicht zum Lieferanten oder Animateur erotischer Fantasien. Anselm vermag es, der Sexualität gesellschaftliche und politische Relevanz einzuflechten: Sex ist nicht nur Sex, sondern Freiheit: kein Mann (und keine Freundin-mit-Kind) entscheidet über den Kopf der Ich-Erzählerin hinweg, wie sie ihr Leben zu führen und ihre Sexualität auszuleben hat. Hautfreundin ist feministisches Manifest und sexuelle Streitschrift in einem, kurz: Ein grandioses Buch.
Doris Anselm: Hautfreundin
Hardcover, 256 Seiten, 20 EUR
ISBN: 978-3-630-87603-0
Bildquellen
- Hautfreundin Eine sexuelle Biografie von Doris Anselm: Randomhouse