Die Magie der Aussichtslosigkeit
Stefan Sprang hat seinen neuen Roman Henry Becker und der Sommer der Erinnerung vorgelegt. Martin Spieß hat ihn gelesen.
Am Anfang steht ein Baum – oder vielmehr fällt er. Die Lärche im Innenhof von Henry Becker wird umgelegt und damit setzt sich etwas frei im Protagonisten von Stefan Sprangs neuem Roman. Henry ist Ende 40, sein Ein-Mann-Versicherungsunternehmen läuft so schlecht, dass die Bank Mahnschreiben schickt, und in der Liebe – ach, reden wird nicht drüber.
Klar, da ist die 19-Jährige Vicki, die bei Henry als Assistentin arbeitet und in ihn verknallt zu sein scheint. Und da war die leuchtende Liebe zu Greta, zu der Henry nach Jahren wieder Kontakt aufnimmt. Irgendetwas muss da doch noch sein, oder? Dankenswerter ist Vicki keine Altmännerphantasie, sondern eher eine Art Zen-Meisterin, die Henry neue Anstöße gibt, und auch mit Greta – spoiler alert! – wird es am Ende nichts.
Ein zutiefst menschlicher Held
Der Titel Henry Becker und der Sommer der Erinnerung, das wird einem bei der Lektüre schnell klar, ist ziemlich on the nose. Henry erinnert sich, schwelgt, wird melancholisch, romantisiert, verflucht – und ist sich doch immer bewusst, dass Vergangenes eben genau das ist: vergangen. Er kann sich noch so sehr wünschen, anders abgebogen zu sein, Dinge anders gemacht zu haben, helfen tut es nichts.
Was Henry nicht daran hindert, es dennoch zu tun. Und in dieser ihm (und den Leser*innen) schon im Vorfeld klar seienden Aussichtslosigkeit liegt die Magie des Romans: Die tiefe Verzweiflung dieses zutiefst menschlichen Helden wird so sehr spürbar, dass man nach der Lektüre emotional erst einmal fertig ist, weil Henrys Schicksal so berührend ist.
Starke Bilder und feiner Witz
Das liegt vor allem daran, dass Stefan Sprang in unaufgeregtem, dafür aber umso aufregenderem Stil die Geschichte von einem erzählt, der viel wollte, aber wenig bekommen hat. Der strauchelt, hinfällt und nicht mehr kann – aber eben doch weitermacht. Woher er diese Kraft nimmt, ist nicht klar. So wirkt sein absoluter Unwillen, sich zu beugen, zuweilen etwas manisch. Gleichzeitig aber ist dieses Stoische ungemein sympathisch. Dass Henry trotz allem Kraft aufbringt und man doch (immer) weiß, dass er es am Ende nicht schaffen wird, das ist nur eine der vielen Stärken dieses fantastischen Romans.
In eindringlichen Bildern und mit feinem Witz entspinnt sich die Geschichte um einen, dem man gern mal bei einem Bier auf die Schulter klopfen würde, der das aber vermutlich gar nicht nötig hätte – wahrscheinlich würde es andersrum laufen und Henry Becker würde die Einladung aussprechen. „Setz dich“, würde er vielleicht sagen. „Das Leben ist zwar manchmal hart und beschissen, aber das hindert uns nicht daran, es zu leben.“ Wenn am Ende auch Vieles im Unklaren bleibt für seinen Protagonisten, so viel ist klar: Stefan Sprang ist mit Henry Becker und der Sommer der Erinnerung ein großer Wurf gelungen.
Stefan Sprang: Henry Becker und der Sommer der Erinnerung
Größenwahn Verlag, 2021
270 Seiten
13 Euro