Alte Dämonen und neue Hoffnung
Schon 2017 hat Dietlind Falk mit ihrem im Albino Verlag erschienenen Debüt Das Letzte nicht nur überzeugt, sondern groß vorgelegt. Jetzt erscheint ihr zweiter Roman No Regrets. Martin Spieß hat ihn gelesen und findet ihn großartig.
Ein strugglendes Tattoostudio, in dessen Schaufenster ein schlecht ausgestopfter Alligator vor sich hin schimmelt: Keine guten Voraussetzungen für die Held*innen von Dietlind Falks neuem Roman No Regrets, der heute bei hanserblau erscheint.
Die Protagonist*innen strugglen wie das Tattoostudio selbst auch, alle auf ihre Weise: Studiobetreiber Muddy hat solche Angst vorm Zahnarzt, dass ihm etliche Schneidezähne fehlen. Seine rechte Hand Hänk ist zynisch und entsprechend griesgrämig geworden, weil tätowiert zu sein in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und er noch zu einer Zeit sozialisiert wurde, in der Bilder auf der Haut nur etwas für Gangster und Knackis waren. Kaum ein Wunder, dass Luz ihn „der Grantige“ nennt. Die wiederum ist für Hänk nur „die Neue“, und das gefällt ihm gar nicht: Veränderungen? Wo kommen wir denn da hin? Aber auch Luz hat ihr (erst kurz vor Schluss des Romans offengelegtes) Kreuz zu schleppen, genau wie Stammtätowierer Rudi, der seit vier Jahren im No Regrets arbeitet, seinen Eltern aber erzählt, dass er fleißig studiert – auch von seiner Homosexualität wissen sie nichts.
Jede Figur ihren Sound, jede Geschichte ihre Dringlichkeit
Dietlind Falk schafft es, jeder ihrer Figuren einen entsprechenden Sound zu verpassen, und nie wirkt das gewollt oder aufgesetzt, im Gegenteil: Jede Geschichte bekommt so ihren eigenen Schwerpunkt, ihre eigene Dringlichkeit. Mal klingt es frustriert wie bei Hänk, mal verzweifelt wie bei Muddy, weil der um seinen Laden fürchtet, mal hoffnungslos wie bei Rudi, weil er sich immer noch nicht seinen Eltern gestellt hat und mal enerviert wie bei Luz, die einfach nur arbeiten will, es als (junge) Frau aber schwer hat in einem immer noch von Männern dominierten Business. Immer wieder scheint das Verletzliche der Figuren durch, genauso aber ihr Witz und ihr Durchhaltewillen. Und man kann als Leser*in gar nicht anders, als Empathie zu empfinden und mitzufiebern mit ihnen: Überlebt das Studio vielleicht doch noch? Schafft Rudi es, sich seinen Eltern zu stellen? Wird Luz akzeptiert von Hänk, und legt der wiederum vielleicht sogar seine harte Schale ab?
Witzig und wahrhaftig
Dietlind Falk nimmt diese ihre Figuren ernst, sie erhebt sich nicht über sie, verurteilt sie nicht: Alle haben sie ihre Issues, die auch alle ihre Berechtigung haben. In ihrem Kosmos sind ihre Probleme wichtig und zentral, niemand hat mehr oder weniger Bedeutung. Schon Das Letzte war ein wirklich großer Wurf, mit No Regrets legt Dietlind Falk unglaublich stark nach, mit einer einfühlsamen und elegischen, mit einer witzigen und wahrhaftigen Geschichte über Vorurteile und Widerstände, über (alte) Dämonen und Selbstverwirklichung – und natürlich über (Tattoo-) Kunst. Entschuldigung für den Wortwitz, aber: No Regrets geht unter die Haut.
hanser blau, 2023
224 Seiten, 22 Euro