Mit der Baseballkeule zur Debatte
Thilo Mischke sollte eigentlich neuer Moderator von Titel, Thesen, Temperamente werden – dann kam Kritik auf und die ARD zog die Berufung zurück. Statt einer Auseinandersetzung mit verfehlter Personalpolitik werden seitdem die Initiatorinnen der Kritik angegriffen. Eine Farce, findet Martin Spieß.
Eigentlich wollte ich diesen Text über die #causathilomischke anders beginnen. Nämlich damit, dass die – wen wundert’s? – alten weißen Männer Ulf Poschardt und Jörg Thadeusz den bisherigen Vogel abschossen, als sie es für eine gute Idee hielten, auf die Kritik von (vor allem) Annika Brockschmidt, Rebekka Endler, Isabel Caldart und Anja Rützel mit Sexismus und persönlichen Angriffen zu reagieren. (Dass eben diese Kritik so gut recherchiert wie gerechtfertigt war? Geschenkt.)
Aber dann bog, während ich noch am Text saß, Wolfram Eilenberger um die Ecke und sagte im Deutschlandfunk, die Redaktion von Titel, Thesen, Temperamente wäre auf eine „Art Todesmarsch“ geschickt worden.
Seltsame Vorstellung von Diskurs
Man muss schon eine seltsame Vorstellung von Diskurs haben, wenn man etwas ein für einen passenden Begriff hält, das Assoziationen an die letzten Wochen des NS-Regimes weckt. Da sollte sich auch Korbinian Frenzel an die eigene Nase fassen, der die Sendung moderierte, dass er nicht geistesgegenwärtig und/oder nicht aufmerksam genug war, denn da hätte man – er! – dazwischengehen müssen.
Alas, he didn’t. Und Eilenberger machte weiter. Er habe sich die Liste der 100 Erstunterzeichner*innen des offenen Briefes angeschaut, „von denen 80 nicht mal in die Nähe einer ttt-Einladung gekommen wären“. Er kenne nur elf davon und „vier auch nur deshalb, weil sie sich in derartigen Empörungsbereichen sowieso immer nur mausig machen“. (Ich habe den offenen Brief in einer zweiten Rutsche nachunterzeichnet, und ich bin so weit weg von ttt wie nur was, aber darum ging es bei der Unterschrift auch nicht. Fürs Protokoll: ich kannte Wolfram Eilenberger bis dato auch nicht. Ändert das irgendwas?)
Vom Holzweg ins Sägewerk
Die Unterzeichner*innen hätten, so Eilenberger, es nur auf die „eigene Markenetablierung“ abgesehen, womit auf den „Biografien von Leuten herumgetreten“ würde, die man nicht kenne. Wenn er damit Mischke meint, so ist er damit nicht nur auf dem Holzweg, er ist im Sägewerk. Und dass er damit auf den Biografien von 89 Leuten, die er nach eigener Aussage nicht kennt, genauso herumtritt, fällt ihm, so scheint es, nicht auf. Und der Mann ist Philosoph, ja?
Ach ja: als Philosoph verwendet man offenbar außerdem Begriffe wie „Hysterisierung“ und „Unsitte“. Als Philosoph fragt man sich offenbar, ob da „gesunde Prozesse abgehen“ und man nennt den Umgang mit Thilo Mischke „eine Form der Gewalt“. Außerdem hätten, er nenne jetzt keine Namen, viele der Unterzeichner*innen „seit acht bis zehn Jahren kein Buch mehr geschrieben“ und sollten „eigentlich andere Sorgen haben“.
Und so wird wieder und immer noch (auch von ARD-Programmchefin Christine Strobl selbst) das Narrativ gesponnen, die bösen Feminist*innen hätten sich hysterisch ereifert und den armen Thilo („er hat sich doch entschuldigt!“) gecancelt: „Mich beschäftigen die Wucht und die Dynamik der Debatte“, sagte Strobl – dieser Logik zufolge waren und sind das Problem also nicht die Texte und Aussagen Thilo Mischkes, nicht die Bro Culture, die ihm (beispielsweise in Form von Matze Hielscher) beispringt, ihn in Schutz nimmt oder seine Aussagen relativiert, sondern (logo!) mal wieder die Frauen. Und die haben natürlich nichts Besseres zu tun, als hexengleich wahlweise um ihren Kessel herumzutanzen oder in der Höhle beisammenzusitzen und Flüche gegen den nächsten armen Mann zu spinnen.
Blumensträuße und Pralinenschachteln
Diese Erzählung erinnert auf gefährliche Weise an die Reaktion auf Anschuldigungen sexualisierter Gewalt, es gehe den Frauen ja nur um Geld oder um Fame – man erinnere sich an die ersten Anschuldigungen im Zuge von #metoo. So als würde man mit Glückwünschen, Blumensträußen und Pralinenschachteln überhäuft, wenn man sich als Betroffene von sexualisierter Gewalt an die Öffentlichkeit wagt.
Auch in der Sache Thilo Mischke dürften die Briefkästen der (vornehmlich) Frauen, die als (vornehmlich) Freiberufler*innen außerdem ein wirtschaftliches Risiko eingingen, als sie sich mit den Strukturen von ARD und Patriarchat anlegten, kaum überquellen wegen all der Bouquets und Pralinen, wie etwa Anja Rützel auf Bluesky schrieb.
Tief im patriarchalen Morast
Die Angelegenheit macht deutlich, wie tief wir als Gesellschaft noch feststecken im Morast patriarchaler Strukturen. Nicht nur, dass ein Mann wie Mischke überhaupt auf einen solchen Posten berufen wird, sondern dass dann nach der Kritik an ihm und seiner Person die ewiggleichen, ewig gestrigen Texte abgespult werden:
„Ach, die alten Geschichten …“
„Es war doch nur 1 Bumsbuch!“
„Boys will be boys.“
„Man(n) darf ja gar nichts mehr sagen!“
„Er hat sich doch entschuldigt!“ (s.o.)
Jörg Thadeusz überschrieb seine Kolumne in der Berliner Morgenpost vom Montag dieser Woche mit „Kulturmenschen wollen die Gedankenfreiheit abschaffen“. Und Ulf Poschardt nannte die Unterzeichner*innen des offenen Briefs auf Instagram „halbekannte[n] Betriebsnudeln“, so als ob Kritik erst ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad Wichtigkeit habe – eine Ansicht, die ja auch Wolfram Eilenberger zu teilen scheint.
Alles plattwalzen wie ein sexistischer Sattelschlepper
Das kann man alles so schreiben oder sagen, klar. Kann auf Debattenkultur bestehen und auf eben diese Debattenkultur gleichzeitig mit dem Baseballschläger eindreschen oder sie gleich platt walzen wie ein sexistischer Sattelschlepper. Man kann auf Kritik an Misogynie mit Sexismus reagieren, kann mit Begriffen wie „Todesmarsch“, „Hysterisierung“ und „gecancelt“ jonglieren, dass man gar nicht so schnell gucken kann, wie man das Bullshit Bingo voll hat.
Am Ende – und es steht zu befürchten, dass das Ende entsprechend entsetzlicher Wortmeldungen noch nicht erreicht ist – hat Berit Glanz es auf Bluesky sehr gut zusammengefasst: „Ich habe über diese Sache wirklich komplett den Glauben an diesen Medien- und Kulturbetrieb verloren. Die Berufung von Mischke war ignorant, aber das, was seitdem passiert, ist einfach nur noch erschreckend und weist wirklich weit darüber hinaus.“
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