Alan Rickman: Viel mehr als nur Snape

Der brillante britische Schauspieler Alan Rickman ist mit 69 an Krebs gestorben. Thomas Kaestle schaut zurück.

Keine gute Woche für großartige Briten, würde ich sagen. Fast könnte man meinen, da habe ein Sachbearbeiter des Todes den Auftrag „vor 69 Jahren in London geboren, unzählige Menschen inspiriert, jetzt Krebs“ versehentlich zweimal ausgedruckt. In den letzten Tagen habe ich sehr viel Bowie gehört, mir alle Facetten seines schier unfassbaren Werkes nochmals ins Bewusstsein gerufen. Mich an Alben und Konzerte erinnert. Mit Hunky Dory als Teil des LP-Sets Early Years fing vor fast 30 Jahren alles für mich an. Über die Jahre haben mich noch viele andere Bowie-Songs ergriffen. Dass so viele Nachrufe ausgerechnet Space Oddity verlinkten, fand ich schade. Ich hatte hingegen meine Freude an der bunten Vielfalt der anderen.

Wenn jetzt Alan Rickmans Filme wiederholt werden, wird es mir ganz ähnlich ergehen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit all den Typen, die er seit 1988 für mich lebendig werden ließ. Erstaunlich viele davon nehmen in meinem Filmspeicher etwas mehr Datenraum ein als üblich. Da sind Mimik, Tonfall, Sätze, Situationen in überraschender Fülle. Sonst merke ich mir oft nur Figuren und Plots. Rickmans Jack Gruber (im Original Hans Gruber) in Stirb Langsam, mein Erstkontakt, war bereits ein ganz hervorragender Schurke. Ist mir aber nicht so präsent geblieben wie Life On Mars? von Bowie damals. Vielleicht habe ich den ganzen Film zunehmend verdrängt. Vermutlich ist er nicht allzu gut gealtert. Vielleicht denke ich seit Kurzem dabei auch nur noch an Til Schweigers Parodie, den Panzerfaust-Tatort. Vergeblich hatte ich da auf ausreichend Selbstironie für ein nebenbei genuscheltes „Yippie-ya-yeah, Schweinebacke“ gewartet.

Die Selbstironie wiederum war es unter anderem, die mich an Alan Rickmans Rollen immer wieder erwischt hat. Diese Bösewichte, Liebhaber und sonstigen Helden waren niemals ganz eindeutig. Ihre Ambivalenz hatte viele Gesichter: Zweifel, Frustration, Geheimnis, Melancholie, Neurosen, Angewidertsein. Stets waren sie auf irgendeine Weise gebrochen. Und immer war da eine leise zweifelnde Ironie. Vermutlich hat Rickman seine Drehbücher sehr geschickt ausgewählt. Wahrscheinlich wurden sie ihm irgendwann gezielt angeboten. Dennoch: Kein anderer konnte nur mit seinen Mundwinkeln Abgründe auftun und dabei ganze Kapitel erzählen. Und vielleicht muss man auf sehr vielen Theaterbühnen gestanden haben, an vielen klassischen Schurken trainiert haben, um einen einzigen Blick so nachhaltig wirken zu lassen.

Der geniale Wahnsinn des Sheriffs

Wirklich eingebrannt hat sich mir das erstmals bei Costners Robin Hood. Ich war damit nicht allein. Eigentlich hatten sich alle meine Freunde, denen Kevin Costner als strahlender Held zu schnulzig war, in Rickmans Sheriff von Nottingham verliebt, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. In dessen verdichtete Bösartigkeit, seine blinde Besessenheit, sein neurotisches Begehren. Und eben den Umstand, dass all das wahnsinnig komisch war. Der stumpfe Löffel wurde zum geflügelten Wort. Costners Robin Hood ist ein farbenfrohes, unterhaltsames, etwas oberflächliches Märchen aus dem Jahr 1991. Dennoch hat er uns Film-Zweitsemestern, die wir unser Studium der Kulturwissenschaften mit Greenaway und Lynch im Gepäck begonnen hatten, damals großen Spaß gemacht. Ich würde heute behaupten: Ohne Alan Rickmans Sheriff und dessen genialen Wahnsinn hätte sich den Film keiner von uns gemerkt.

https://www.youtube.com/watch?v=LjQBbvMoNpc

Von da an machte Rickman viele Filme bereits durch seine bloße Anwesenheit begehrenswert. Einmal abgesehen davon, dass sein ausgeprägter Instinkt für abseitig Großartiges in der Regel dazu führte, dass die investierte Zeit keine verlorene war. Vielleicht hätte ein anderer als Metatron, die Stimme Gottes, nicht halb so müde, beleidigt und genervt gewirkt, wie Rickman. Aber Dogma war auch darüber hinaus eine ausgesprochen schlaue Geschichte, auf ihre eigene anarchische Art. Und vielleicht wäre uns der abgehalfterte Mime Alexander Dane bei weitem nicht so überheblich und desillusioniert im Gedächtnis geblieben, hätte ihn nicht Rickman dabei gespielt, wie er den blasierten Spock-Verschnitt Dr. Lazarus spielt. Doch auch sonst ist Galaxy Quest vermutlich die vielschichtigste Science-Fiction-Parodie der Filmgeschichte. Dass auch Alan Rickmans ausdrucksstarke Stimme mit ihren beiläufigen, fast gelangweilt wirkenden Nuancierungen viel zu seiner Wirkung beitrug, wissen wohl nur jene, die sich Originalfassungen anschauen. Ihnen ist Rickman vielleicht auch als schwermütiger Roboter Marvin in Per Anhalter durch die Galaxis in Erinnerung. Oder als altkluge Raupe Absolem in Tim Burtons Alice im Wunderland.

Selbst in seinen britischsten Rollen, als visionärer Weinkritiker Steven Spurrier in Bottle Shock, als tragisch verliebter Ehemann Harry in Tatsächlich Liebe oder als hartnäckig werbender Colonel Brandon in Sinn und Sinnlichkeit, war Alan Rickman nie nur das Klischee eines Briten. Da war stets emotionale Tiefe, Verzweiflung, Besessenheit, Zielstrebigkeit. Und eben jene Ambivalenz. Ich hatte bei seinen Figuren stets das Gefühl, da müsse noch mehr sein, unentdeckte oder gar ungelebte Seiten, Sehnsüchte, Zurückgehaltenes, Verdrängtes. Das machte sie mir zugänglich: Rickman spielte sie mit unglaublicher Präsenz und größtmöglichem Charisma. Und ließ doch nie einen Zweifel daran, dass er mir noch viel mehr von ihnen zeigen könnte. Er vermochte Filme über sich hinaus weisen lassen. Und war dabei doch nie langweilig. Seine Gesten und Posen waren immer genau so groß wie nötig, um mir die Quintessenz seiner Rollen zu zeigen. Gerne hätte ich das einmal auf der Bühne gesehen.

Achja, und Snape

Ach ja. Und dann war Alan Rickman natürlich Severus Snape. In acht Harry-Potter-Verfilmungen. Das prägte. Ihn und sein Publikum. Er habe das Gefühl, etwas von sich zurück zu lassen, sagte er, nachdem Snapes Tod im Kasten war. Den haben alle Potter-Fans unter uns vermutlich ausgiebig betrauert. Auch wegen Alan Rickman, dessen Besetzung in dieser Rolle vermutlich keiner zu hinterfragen gewagt hätte. Er WAR Snape, es gelang ihm, der Rolle selbst für die eingefleischten Leser seinen bohrenden Blick aufzuprägen. Seine leise Bedrohlichkeit. Sein Da-ist-noch-viel-mehr. Und einen ganzen Kessel voller Ambivalenzen. Dennoch ärgert es mich ein wenig, jetzt Nachrufe auf Severus Snape zu lesen, nur weil man mit diesem Stichwort am meisten Publikum generiert. Snape war Alan Rickmans Space Oddity. Eine von unzähligen Facetten, aber eben ein allgemein vertrautes Beispiel für sein außergewöhnliches Talent.

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