Am Eingangstor stand Peace
Gerade ist Bosses achtes Studioalbum Sunnyside erschienen. Martin Spieß hat es gehört.
Zugegeben: der Impuls ist groß, einen (miesen?) Wortwitz zu machen. So etwas im Stil von „Wer ist hier der Boss(e)?“, „Bosse, der Boss aller Bosse“ oder „von Album zu Album, bis der End-Boss(e) kommt“. Aber nicht nur bekäme man dann womöglich Ärger mit dem Redakteur, es würde auch dem gebürtigen Braunschweiger und seinem mittlerweile achten Album Sunnyside nicht gerecht.
Auf dem meint man gleich zu Beginn, die Pandemie zu hören. Aber wie soll die auch an Künstler*innen vorbeigehen, ohne Eingang in ihre Kunst zu finden? Zumal an einem Künstler wie Bosse, der im schönsten Doppelsinn ständig auf Tour ist, der sogar im Studio einen Koffer stehen hat, damit er abhauen kann, wenn es ihm zu viel wird. Klar, dass das während der Pandemie nicht ging, verständlich, dass der Opener Ende der Einsamkeit heißt und Bosse singt: „Und irgendwann stehen wir dann vor uns, am Lost-and-Found-Schalter.“
Sprachgewalt, die einem das Herz umfasst
Was macht man also? Alles mitnehmen, was geht, und im Jetzt sein, eine Botschaft, die Bosse schon auf seinem letzten Album Alles ist jetzt proklamiert hat. Der Song dazu auf Sunnyside ist gleich Track Nummer zwei, dem (wen wundert es) unglaublich tanzbaren Der letzte Tanz (zu dem es ein wundervolles Musikvideo gibt, mit Maximilian Mundt, Jasna Fritzi Bauer und Bjarne Mädel): „Wieso merkt man immer erst beim Winken, wie schön es war?“
Sunnyside klingt (wie für Bosse typisch) melancholisch, die Texte sind wie üblich lyrisch oder prosaisch: Texte, die einem in ihrer Sprachgewalt das Herz umfassen und dann mal streicheln und mal zudrücken. Das ist – wie in Track Nummer vier Nebensaison – zuweilen so groß, dass man sich wünscht, jemand möge Bosse einen Preis dafür verleihen: „Liebst du mich auch dann / in meiner Nebensaison / wenn aus mir nur Leere rauskommt / wie aus Ballermann-Songs“
Bosse ist aber auch explizit politisch, etwas, das sich auf Alles ist jetzt schon angekündigt hat. Hier findet es nun zur Vollendung. In Blumen über Dreck (featuring Disarstar) etwa singt Bosse: „Ich sah eine Kapitänin und ihre Crew / gegen den Tod im Mittelmeer / Europa schottet ab, sie im Boot hinterher“ Und etwas später, in der gleichen Strophe: „Ich seh (…) neue Wege und Ideen endlich Form annehmen / in diesem Schrottplatzleben“
Hoffnung, trotz all der Scheiße
Ja, die Zeiten sind hart und könnten (deutlich) besser sein, das muss man im Jahr 2021 niemandem erzählen. Aber bei Bosse gibt es Hoffnung: Trotz all der Scheiße, trotz der Tatsache, dass wir „im Schmutz verloren gehen“, sieht er „Blumen über Dreck“.
Diese Hoffnung kulminiert auf Paradies, dem letzten Song des Albums, der (auf magische Weise?) die Hippiehaftigkeit umschifft: „Es gab dort genug für alle und alle war’n sich genug“ Und wenn Bosse in der Bridge singt: „Am Eingangstor stand Peace“, spürt man so ein Ziehen in der Brust, einen Impuls, sich aufzumachen in dieses Paradies. Etwas zu tun, mit Bosse zusammen und mit all den anderen guten Menschen, die es zweifelsohne da draußen gibt. Dafür, dass dieses Paradies Wirklichkeit wird. Dass man sich dabei dann etwas hippiehaft vorkommt? Geschenkt.
Bildquellen
- Bosse_Sunnyside_Pressefoto_cStefan-Mückner: Foto: Stefan Mückner