Balsam und Beglückung
Heute erscheint Geheimnisvolle Garrigue, der neue Fall für Capitaine Roger Blanc, Cay Rademachers Romanheld aus der Provence. Martin Spieß hat das Buch gelesen.
Das Timing könnte nicht schlechter sein für Capitaine Roger Blanc und seine Kolleg*innen: Corona hat die Provence erreicht, es herrscht Ausgangssperre – aber ausgerechnet jetzt verschwindet eine junge Frau spurlos. Und die Umstände ihres Verschwindens deuten auf einen Fall von vor 23 Jahren hin, bei dem vier junge Frauen ebenfalls spurlos verschwanden. Alles, was von ihnen zurückblieb: Der linke Schuh der Opfer.
Haben Blanc, sein Kollege Marius Tonon und die junge Computerspezialistin Fabienne Souillard es mit einem Nachahmungstäter zu tun oder schlägt der Täter von einst erneut zu? Hat der mittlerweile obdachlose ehemalige Lehrer Hervé Guérini etwas damit zu tun oder der Bruder der Verschwundenen Pierre Fabre, ein Unsympath, Rassist und Homophober? Welche Rolle spielt der junge Brigadier Sylvain, der Freund der Verschwundenen? Und wie soll man überhaupt ermitteln, mitten in einer Pandemie? Es gibt keine Masken, keine Handschuhe, und überwältigt ist man sowieso von der Seuche, die da über die Menschheit hereingebrochen ist.
Zehrende Pandemie
Wie unerträglich lang, wie belastend, wie zehrend die Pandemie für die Leser*innen von heute ist, das machen einem Capitaine Roger Blanc und seine Kolleg*innen bewusst, wenn sie Sätze sagen wie, dass die Pandemie ja vorüber sein werde, bevor sie den Fall gelöst hätten. Da ist sie noch keine Woche alt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Geheimnisvolle Garrigue befinden wir uns im dritten Jahr der Pandemie.
Immer wieder ertappt man sich bei der Lektüre dabei, sich daran zu erinnern, wie man selbst Anfang 2020 Dinge gesagt hat wie „Das wird schon alles nicht so schlimm werden“ oder „Das ist ja nur für alte Menschen gefährlich“. Rademacher hält den Leser*innen (und womöglich auch sich selbst) den Spiegel vor und macht ihnen die eigene Einfältigkeit bewusst.
Wie in einer guten Reportage
Wie immer bei Rademacher bestechen vor allem die journalistischen Beschreibungen der Umgebung, von Wetter, Vegetation oder Tieren. Wolkenformationen, die bedrohliche Formen annehmen, Bäume, die ihre Äste wie Finger ausstrecken, Vögel, die sich durch die unfreiwillig eingesperrte Menschheit Orte zurückerobern – Cay Rademacher erzeugt damit Szenerien, die man auch in einer guten Reportage lesen würde.
Im Rahmen seiner Romane sorgen sie für Atmosphäre, die das Innenleben seiner Figuren offenbaren. Düster, verzweifelt, hoffnungsvoll – immer findet sich ein entsprechendes (und ansprechendes!) Bild. Dazu kommt, was nach wie vor, auch in Geheimnisvolle Garrigue gilt: Capitaine Blanc ist trotz seiner Fehler – man erinnere sich an die Affäre mit der verheirateten Untersuchungsrichterin Aveline Vialaron-Allègre – ein überaus sympathischer Held, vor allem aber einer, für den man Empathie empfindet. Man will wirklich bei jedem Fall erneut, dass der Täter gefunden wird.
Was auch ohne Pandemie gälte, gilt mit ihr nur umso mehr: Cay Rademachers Romane bedeuten Balsam, Beruhigung und Beglückung – trotz der mitunter schrecklichen Verbrechen, die sie verhandeln.