Begegnungen mit Rassismus
Unsere Autorin könnte sich für ihren Flug in den Urlaub ausruhen. Aber vorher muss sie noch aufschreiben, was sie in der Nacht davor erlebte.
Ich habe jetzt noch fünf Stunden, bis mein Flieger nach Tel Aviv geht. Nicht viel Zeit für diesen Artikel.
Ich könnte mich ausruhen, um erholt in meinen Urlaub zu starten, stattdessen schreibe ich auf, was mir heute passiert ist. Weil ich es in einem Zusammenhang mit dem aktuellen politischen geschehen in Deutschland sehe. Ich komme gerade von einer WG Party im Wedding, von der ich meine Freund_innen überzeugen musste, schnell mit mir zu gehen, weil sich in einem Gespräch in der Küche ergeben hatte, das zwei weiße Besucher AfD Wähler waren und das nonchalant zugaben. Normalerweise erlebe ich so etwas nicht, ob das an Verstand oder Scham liegt, in meiner Gegenwart hat bisher noch niemand zugegeben die AfD zu wählen.
Außer den beiden waren noch ich und eine weiße Frau im Raum. Die Frau diskutierte mit den beiden, versuchte zu verstehen, was sie dazu bewogen hatte, diese Partei zu wählen. Ich nahm an der Diskussion nicht teil. Weshalb, verstand ich erst später.
Die weiße Frau erklärte den weißen Männern, was sowohl die Männer, als auch ich wussten, nämlich, dass das Wahlprogramm der AfD zum Vorteil der weißen, deutschen, ablebodied, heterosexuellen, cisgender Männern der Mittelschicht ausgerichtet ist. Ein bestätigendes Nicken der beiden, die dann einhakten: „Wenn du gegen bestehenden Regierungsstrukturen bist, dann teilst du eine Meinung mit der AfD und auch mit der NPD, wenn du links bist findest du doch bestimmt auch Europa doof.“ Die Gegenargumente gingen der Frau schnell von der Hand, sowohl Herleitung als auch davon abgeleitete Konsequenzen dieser Meinung unterschieden sich bei ihr und den beiden Parteien enorm.
-„Aber die NPD, die habe ich jetzt nicht gewählt, aber das ist ja auch irgendwie eine soziale Partei.“
-“Inwiefern sozial? Ich habe dir doch eben gesagt, dass die beide sich nur für eine ganz bestimmte Gruppe Menschen einsetzen. Das ist asozial!“
-“Ja, für alle anderen, aber eben nicht für alle. Das ist ein Unterschied.“
Zu dem Zeitpunkt wurde mir auch klar, weshalb ich nicht an der Diskussion teilnahm. Die beiden beachteten mich nicht. Obwohl ich immer wieder was sagte, wurde, nicht drauf eingegangen. Mit dem einen hatte ich zwanzig Minuten zuvor in einem anderen Zimmer Kleidung anprobiert, die verschenkt wurde. Ich fühlte mich hintergangen und verunsichert davon, dass ich mit jemandem, dem rassistisches Gedankengut so leicht von der Zunge geht, in Ponchos und zu kleinen Hosen rumgeblödelt hatte.
Ich fühlte mich unsicher, also schnappte ich mir meine Freund_innen, die alle zumindest als weiß gelesen wurden, und erklärte ihnen die Situation. Sie verstanden, dass ich mich physisch unsicher fühlte und packten schnell alles zusammen. Wir fanden noch andere Bewohner_innen der WG, ich erzählte ihnen, was die Männer in der Küche vertraten, damit ihnen die Möglichkeit blieb sie raus zu werfen.
Meine Freund_innen und ich gingen zur U-Bahn. Ich erwischte eine von ihnen dabei, wie sie die Männer in Schutz nahm:
Vielleicht nur ein Scherz
Vielleicht sei es nur ein dummer Scherz gewesen.
-Zu sagen, man wähle die AfD und sympathisiere mit der NPD ist nur dann lustig, wenn klar ist, dass man das nicht tut. In einem Raum, in dem einen drei von drei Leuten nicht kennen das offen zuzugeben und dann auch noch jemanden zu finden, der einem dabei zustimmt, ist kein gelungener Witz. Spätestens dann, wenn ich mich in einer Situation unwohl fühle, ist der Witz nicht mehr angebracht. Es nicht böse zu meinen ist eine Sache, die Reaktionen, die der Witz auslöst nicht in Betracht zu ziehen, eine andere.
Aber am Anfang der Party hätte ich mich doch noch gut mit dem einen verstanden.
-Woran hätte ich auch festmachen sollen, dass er solches Gedankengut vertritt. Er hat mir zur Begrüßung die Hand gegeben und sie nicht stramm noch oben gestreckt. Ich bin gutgläubig erst mal davon ausgegangen, dass er in Ordnung ist. Das ist doch das eigentlich tragische an der Situation, dass ich so enttäuscht wurde und in Zukunft aus Vorsicht, eher davon ausgehen muss, dass jemand Rassist ist, weil im Zweifelsfall diese Annahme für mich sicherer ist, als davon auszugehen, dass jemand es nicht ist. Ich kenne den Impuls meiner Freundin und nehme es ihr auch nicht übel, habe nur zu diesem Zeitpunkt vor Angst und gleichzeitiger Erleichterung nicht die Nerven gehabt ihr das so zu erklären.(Tut mir Leid, dass ich dich so angepampt habe, E.)
Die Augen der anderen
Als wir in die U-Bahnstation gehen wird klar, dass ich mit einer anderen Linie fahren muss als meine Freund_innen. Ich fühle mich unwohl, mein Handyakku ist fast leer. Auf dem Gleis schaue ich mich um nach potentiell vertrauenswürdigen Personen, denen ich mich anschließen kann, falls die Männer wirklich von der Party geworfen wurden auf dem Gleis erscheinen und mich als die Person identifizieren, die dafür gesorgt hat. Ich spinne mir das wirklich alles sehr weit aus, Meine Angst wächst, als ich nur Weiße auf dem Gleis sehe, die vielleicht noch weniger als meine Freund_innen nachvollziehen können wie ich mich fühle. Oder auch AfD wählen. Oder NPD. Und dann nicht verstehen was mein Problem ist. Oder die anderen in Schutz nehmen. Einige Frauen betreten das Gleis, die U-Bahn fährt ein, ich steige ein, sehe eine andere Afro-Deutsche, setze mich zu ihr, lächle sie an, sie lächelt nicht zurück. Wahrscheinlich ist sie verwirrt von meinem unsicheren, liebevollen Blick. Dennoch gibt ihre Anwesenheit mir ein Gefühl von Sicherheit. .Ein weiterer Afro-Deutscher betritt die U-Bahn, geht geradeaus durch den Wagen, guckt auf sein Handy, ich bin erleichtert, dass er da ist.
Hinter ihm steigen zwei weiße Männer ein, offensichtlich betrunken, offensichtlich auf Krawall gebürstet und reden laut miteinander. Wie sehr der Mann stinken würde, dass er sich aus Deutschland verpissen solle, sie seien von seinem Aussehen und seiner dreckigen Haut angewidert und würden ihn platt machen. Ich drehe mich zu dem Mann um, versuche Augenkontakt aufzubauen, doch er guckt nicht in meine Richtung, die auch die Richtung der beiden anderen ist. Beim nächsten Halt sehe ich, dass er sich bereit macht aus zusteigen. Gut für ihn, er soll von diesen Arschlöchern weg, sich in Sicherheit bringen. In dem Moment in dem der Zug stehen bleibt, geht alles sehr schnell.
Die weißen Männer, poltern durch den Wagen, stellen sich links und rechts neben den Afro-Deutschen Mann und starren ihn einfach nur an. Weil man dann nicht sagen kann, sie hätten etwas gemacht, weil dann niemand weißes, niemand der was zu sagen hat, versteht, was er meint, wenn er sagt: „Sie haben mich bedrohlich angeguckt.“
Sie steigen mit ihm aus, vorsichtig versuche ich ihn zu mir her zuwinken, aber er sieht mich nicht und ich habe Angst, ihn vom Gleis wieder in den Wagen zu holen, damit er nicht irgendwo alleine mit den beiden landet. Aber vielleicht muss er auch schnell irgendwo hin, vielleicht hatte er einen langen Tag und will ins Bett. Die beiden wollten ihm auf jeden Fall klar machen, dass sie ihn im Blick haben. Als ich fünf Stationen später aussteige, sehe ich, wie die aggressiven weißen Männer ebenfalls aussteigen und bin erleichtert, dass sie nur einschüchtern und nicht angreifen wollen.
Davor haben sie mich nicht beachtet. Vielleicht weil ich nicht so dunkel oder eine Frau bin. Oder weil sie jede_n so lange wie möglich „begleiten“ wollen. Aber jetzt bin ich die dunkelste Person in ihrer Nähe. Ich entscheide mich dazu, meine Kapuze aufzusetzen und nicht hinter ihnen her, sondern in eine andere Richtung zu laufen. Die beiden zwingen mich zu einem Umweg. Ich höre wie sie irgendeine Marschmusik singen und bekomme Gänsehaut.
Das ist also diese Stimmung in Deutschland
Erst jetzt fällt mir ein, dass ich mir für die Fahrt gar keine Karte gestempelt habe und bin erleichtert, dass ich nicht dabei erwischt wurde. Die 60€ hätte ich mir nicht leisten können, und ich habe mich gerade nicht genug im Griff um ruhig erklären zu können, warum ich nicht dran gedacht habe. Meine Nerven liegen blank, wenn mich jemand kontrolliert hätte, wäre ich wahrscheinlich erst mal weinend in Embryohaltung gegangen und hätte mich darauf verlassen müssen, dass mich jemand von zu Hause abholt.
Mein Weg von der U-Bahnstation nach Hause beträgt etwa 15 Minuten an einer hell beleuchteten Straße. Ich spare mir das Sicherheitstaxi und mache mir bewusst, dass auf dem Weg vier Hotels liegen, in die ich im Zweifelsfall gehen kann, wenn ich merke, dass die Nazis hinter mir sind. Also blicke ich mich immer wieder unsicher um. Das ist also diese Stimmung in Deutschland von der mir im Geschichtsunterricht immer erzählt wurde. Nach nicht mal 100 Jahren komme ich auch noch in einen ähnlichen Genuss. Ich kann ja jetzt nicht den ganzen AfD Wähler_innen sagen, sie sollen die Partei nicht wählen. Die Partei sitzt jetzt erst mal in einigen Landtagen, da kann niemand was dran ändern und weil das so ist, fühlen sich manche Leute sicherer, ihr Gedankengut in die Welt zu tragen und dementsprechend zu handeln.
Für mich geht dabei das Gefühl von Sicherheit im Alltag verloren.
Ich klemme mir meinen Schlüssel in die Hand, halte ihn fest in meiner Tasche, den Daumen halte ich außerhalb der Faust, wie ich es in einem Selbstverteidigungskurs und von einem zwielichtigen Freund von mir gelernt habe. Wenn jetzt etwas passiert, bin ich bereit und wenn nicht, dann auch. Ich weine kurz, baue Druck ab, bin wütend und ängstlich zu gleich.
Fremdenhass gibt es nicht
Im Kopf schwebt mir May Ayims sanfte Stimme, wie sie in einem Interview Anfang der 90er erklärte, dass das was in Deutschland passiere kein Fremdenhass sei. Denn sie sei nicht fremd in Deutschland. Ich bin nicht fremd in Deutschland. Das hier ist meine Heimat und das was ich heute erlebt habe war Rassismus. Fremdenhass gibt es nicht, das wusste May Ayim schon vor 25 Jahren. Diese schlaue Frau hat sich umgebracht, fällt mir ein, während ich das dringende Bedürfnis habe zu rauchen, obwohl ich nur etwa sechs Zigaretten im Monat rauche und die eigentlich auch nur in Kombination mit Rotwein oder Whisky. Ich will rauchen um den Stress loszuwerden, den diese Menschen bei mir verursacht haben. Als ich in meine Straße einbiege, drehe ich mich noch ein mal um und bemerke einen Mann mit Sturmmaske. Er biegt, mir hinterher, in meine Straße ein und, ohne nachzudenken wechsle ich die Straßenseite, mache einen großen Bogen und gehe in das Hotel am Anfang der Straße.
Ich sehe wie der Mann sich noch zwei mal zu mir dreht. Im Hotel wende ich mich an den Rezeptionisten, , der gerade eine Burgerbestellung für sich entgegen nimmt. Weil er denkt, ich sei an einem Zimmer (für 260€, also bitte) interessiert, wendet er sich erst mal mir zu. Ich erkläre ihm, weshalb ich da bin. Er bezahlt sein Essen.
Dann fragt er mich, was mit dem Mann war, der mich verfolgt hat, ob der irgendwas gemacht habe oder einfach nur hinter mir hergelaufen sei. Ich sage, er sei nur hinter mir hergelaufen. Von der Sturmmaske möchte ich ihm nichts erzählen, ich sehe, dass er mich nicht ernst nimmt und all seine Kraft zusammen nimmt, um die Augen nicht zu verdrehen. Jetzt fühle ich mich auch seinetwegen unsicher. Ich warte noch vier Minuten, gehe die letzten dreißig Meter zu meiner Tür. Diese lasse ich nicht hinter mir ins Schloss fallen, sondern drücke sie zu. Ich rüttle noch ein mal an ihr, sie ist wirklich verschlossen.
Ich wäge noch kurz ab, ob ich nicht vielleicht doch, entgegen meinem Vorhaben, meinen Laptop mit in den Urlaub nehmen soll, um diesen Artikel in einer ruhigeren Situation zu schreiben, entscheide mich dann aber aus Gründen dagegen. Ich möchte nicht, dass solche Erfahrungen, wie ich sie diese Nacht gemacht habe, dermaßen Raum in meinem Urlaub einnehmen. Ich möchte nicht länger darüber nachdenken, um die Erfahrung sacken zu lassen. Es geht nicht darum, alles aus der Distanz zu betrachten. Für Weiße scheint es einfach nur krass zu sein, dass Rassismus in Deutschland wieder so salonfähig geworden ist. Irgendwie faszinierend und auch ganz schön erschreckend. Aber für mich fühlt es sich einschüchternd und gefährlich an.
Bildquellen
- city-593145_1280: Pixabay