Bento, Ze.tt, Byou: Was Onkel und Tante von der Jugend denken
Die Jugendportale der großen Medienhäuser sind vor allem eines: Ein Zerrspiegel ihrer eigentlichen Zielgruppe.
Schwierig. Man möchte ja nicht über die Kollegen lästern, die eigentlich zum einen nette Menschen sind, und zum anderen auch gute Ideen haben. Zum Beispiel „ein neues Angebot im Internet, das Nachrichten, Geschichten und Unterhaltsames für junge Erwachsene sammelt und attraktiv zusammenstellt – ähnlich den japanischen bento-Boxen.“ Kann man immer gebrauchen. Oder „etwas Unordnung in unseren geordneten Online-Journalismus bringen“, auch immer eine gute Idee. Oder, äh, sowas hier.
„Die Kinder haben sich also im Virtuellen eingerichtet. Wie die Kognitionswissenschaften zeigen, aktivieren die Nutzung des Internets, das Lesen und Schreiben von Nachrichten mit dem Daumen, der Besuch von Wikipedia und Facebook nicht die gleichen Neuronen und Hirnregionen wie der Gebrauch von Büchern, Tafeln, Heften. Sie können mehrere Informationen gleichzeitig aufnehmen. Sie erkennen, verarbeiten, synthetisieren sie anders als wir, ihre Vorgänger.
Sie haben nicht mehr den gleichen Kopf“,
schreibt der französische Philosoph Michel Serres in seinem Buch Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation. Die neuen Wesen nennt er „Kleiner Däumling“ und „Däumelinchen“, weil sie immer den Daumen auf ihren Smartphones haben und damit die heißeste Sache seit dem Buchdruck unermüdlich voran treiben.
Alter Onkel, alte Tante
Die alte Tante Zeit und den alten Onkel Spiegel interessieren diese Däumlinge – es sind viele, es werden immer mehr, und auch sie wollen informiert sein und als Zielgruppe erschlossen werden. Aber sie haben eben nicht den gleichen Kopf, und das ist das Problem: Onkel und Tante sind uninteressant geworden.
Deshalb bento. Deshalb ze.tt. Deshalb byou. Deshalb lästern. Denn es ist gleichzeitig spannend wie auch mit viel Fremdscham verbunden, sich das anzuschauen: Wie die drei großen, deutschen Verlagshäuser das sehen, was sie „junge Leute“ nennen. bento bastelt für die Däumlinge ein unheiliges Kind aus Buzzfeed und Vice zusammen, mit Überschriften aus der Huffington–Post-Meisterklasse. Zur ze.tt hat die Süddeutsche Zeitung zu sagen: „Wer aber Unordnung verbreiten will, der sollte dabei nicht klingen wie der Klassenstreber.“ Und byou ist im Prinzip dasselbe wie die BILD, nur bunter und hektischer. Dass selbst die Neon ihren Slogan „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ irgendwann stillschweigend begrub und es damit wenigstens versuchte, hätte den Jugendportalen eine Lehre sein sollen. Jedenfalls fühlen sie sich ähnlich an wie diese Sprite-Werbung.
https://www.youtube.com/watch?v=vldjDK2pdw0
Interessanterweise scheint sich dabei die ganze Kritik auf bento zu konzentrieren. DWDL, zum Beispiel, fand einen 18jährigen, der zu Protokoll gab:
„Bento kategorisiert die Themen in Rubriken ein wie ‚Style – OMG! So Fancy‘ oder ‚Gerechtigkeit – Say What?!‘ und scheint dabei genau für die Art „junger Mensch“ gemacht zu sein, die selbst von den Inhalten in den Snapchat-Videos von Lena Meyer-Landrut überfordert sind. Das sind keine Nachrichten für junge Menschen. Das sind Nachrichten für dumme Menschen.“
Tatsächlich ist es aber auch bento, wo es gerade ordentlich rappelt. Bei reddit tauchte eine Verschwörungstheorie auf, nach der sämtliche bento-Links von der SPON-Homepage gelöscht worden waren und außerdem ein paar Artikel bei bento selbst, nachdem diese kritisiert wurden. Letztendlich stimmte das nicht – aber vielleicht das Bauchgefühl, dass bei bento irgendwie was schief läuft, irgendwas nicht ganz richtig ist, während die anderen Jugendportale sich dahinter ruhig versteckt halten.
Und wo ist die Zielgruppe?
Dass bento nun auch noch in einer – wie die Redaktion später schrieb „Kurzschlussreaktion“ – einen Satireaccount auf Twitter sperren ließ, der sich über bento lustig machte, ist mit dem Wort „Kurzschlussreaktion“ nicht nur viel zu nett formuliert – es tut dem holprigen Start des Magazins auch nicht gerade gut. Wobei man auch gerade als Netzmagazin wissen sollte, was der Streisand-Effekt ist. Den der Initiator des Parodie-Accounts mit einem offenen Brief auch ordentlich befeuert.
Und wo ist die Zielgruppe bei dieser ganzen Geschichte? Die eifrigen, werberelevanten Kleinen Däumlinge und Däumelinchen? Das, was irgendwo zwischen Generation Y, Generation Z und Generation ME frei vor sich hinwabert?
Sie ist da, wo die Berufsjugendlichen nicht hinkommen.
„Und wisst ihr was: Die Jugendlichen, über die ihr immer schreibt, geben einen Scheiß auf all diese Jugendangebote! Sie haben mittlerweile ihr eigenes Netz gebaut, was großartig ist. Von dem wir halb und darüberhinausalten allerdings keine Ahnung mehr haben. Sie organisieren sich in ihren, wo auch immer, geschlossenen Gruppen, und machen ihr ganz eigenes Netz. So wie wir – damals.
Sie kennen und lesen deshalb kein Buzzfeed, keine Vice, kein Bento. Auch deshalb kann es ihnen komplett am Arsch vorbeigehen, was alle schreiben, über sie zu wissen gedenken. Und genau so sollte es mit der Jugend sein,“
schreibt das Kraftfuttermischwerk. Damit wäre die Pointe der ganzen Sache tatsächlich, das die ganzen Jugendportale vor allem eines sind: Fata Morganae, verzweifelte, verzerrte Spiegelungen dessen, wie die großen Verlagshäuser sich die Bedürfnisse der „jungen Leute“ vorstellen, wie sie sich das vorstellen, was diese gerne lesen möchten. Die Vorstellung der alten Tante und des alten Onkels davon, was die jungen Leute so den ganzen Tag machen. Kein Wunder, dass die Zielgruppe wegläuft. Beziehungsweise nie hinläuft. Zumindest ist damit der Weg frei für neue, aufregende Jugendmagazine.
Bildquellen
- 2N7DLURDX4: Stocksnap / Hoài Anh Bino