Bill Kaulitz als Billy von Billy is not ok

Billy is not ok: Find What You Love and Let it Bill You

Billy is not ok lautet der Name von Bill Kaulitz Soloprojekt. Mika Doe hat sich angeschaut was beim Tokio Hotel-Sänger nicht ok ist und was doch.

Mit offenem Mund schaue ich auf die hochglanzpolierten Fotos von Bill „Tokio Hotel“ Kaulitz. „Billyisnotok“ heißt sein Instagram-Account und ich denke „Mensch, Bill, was ist denn dein Problem?“

An Tokio Hotel erinnere ich mich noch aus meiner Teenagerzeit und fand es damals vor allem bemerkenswert, dass Bill Kaulitz und ich gleich alt waren. Am Rande hörte ich, vor knapp 10 Jahren (ja, so lange ist das her), dass sie ihr erstes englischsprachiges Album Scream veröffentlichten. Das funktionierte überraschend gut, obwohl die Band selbst zunehmend wie das Bühnenbild für Bill Kaulitz wirkte. Dann kam der Druck und die Fans und die Stalker und ganz vielleicht war Deutschland ein bisschen zu provinziell geworden und Los Angeles deutlich cooler. Die mehrjährige Kreativpause dort mündete dann vor allem in einem Musikvideo in dem sich Bill Kaulitz die ganze Zeit vor einer Berliner-Abfuck-Fassade Heroin spritzt und zudem ziemlich komplett ohne den Rest der Band auskommt. Die Leerstelle deutscher Teenagerseelen, in die Tokio Hotel so einwandfrei gepasst hatte, ließ sich damit nicht mehr so ganz zurück gewinnen.

Bill Kaulitz modelt dieser Tage in Mailand, aber ist offenbar „nicht ok“ – Was genau nicht ok ist, erfährt man nicht. Vielleicht wissen wir mehr mit der Veröffentlichung seiner neuen Solo-Single im Mai. Gerade jedoch sieht sein medienübergreifendes Projekt eher nach einer Reihe modisch-depressiver Schwarzweißfotografien aus, die im Grunde nur einen Gegenstand kennen: Bill Kaulitz, der sich fortan Billy nennt. Es gibt den Teaser zur Single, es gibt ein Buch mit Fotos vom Dreh des Teasers und eine Website.

Und überall schaut Billy so mit leicht geöffnetem Mund in die Kamera und schreibt, er sei nicht ok. Sein Plattencover mit (man kann es schon erraten) seinem Gesicht und der großen Druckschrift „Billy“ erinnert verdächtig an die Cover der American Recordings, die Johnny Cash in den letzten Jahren vor seinem Tod aufnahm. Wie auch in Cashs The Man Comes Around gibt es bei Billys Single-Teaser ein gesprochenes Zitat am Anfang. Es sind kuriose stilistische Anleihen eines 26-jährigen Teeniestars bei dem damals 70-jährigen Man in Black, der sein Leid trug wie eine dunkle Robe und Erlösung in der Musik und in Gott suchte. Billys „story of despair, heartbreak and hope“ wirkt auf jeden Fall nicht wie das Bekenntnis eines Mannes, der vom Leben gezeichnet ist – auch wenn es genau so wirken soll.

Vielleicht auch, weil Billy sich für sein Zitat ausgerechnet den großen Helden der selbstzerstörerischen Künstler und unglücklichen Gymnasiasten ausgesucht hat: Charles Bukowski. Find what you love and let it kill you, schrieb dieser einmal angeblich, was inzwischen vermutlich jeder weiß, denn es überschwemmt immer mal wieder die Facebook-Timelines weniger erfolgreicher Musikerfreunde. Von Billy sieht man in dem Teaser auf jeden Fall noch nicht viel, mehr hingegen von einer weinenden Frau in Großaufnahme. Dazu spricht die Stimme weiter: Let it drain you of your all. Let it cling onto your back and weigh you down into eventual nothingness.

Das sind schöne Worte. Man könnte sie natürlich auch als Aufforderung verstehen, sich einer Depression hinzugeben. Allerdings klänge Find what you love and let it lift you up, auch zu sehr nach der uncoolen Art von Facebooksinnsprüchen. Es entsteht auf jeden Fall eine nicht besonders originelle Mischung: Da ist das diffuse Statement, dass Billy nicht ok ist. Da sind die Anleihen an große Helden der Musikgeschichte (die namentliche Assoziation mit Stil- und Punk-ikone Billy Idol ist bestimmt auch nicht ungewollt).

Da sind tiefsinnige Zitate. Da ist der hübsche, und mindestens genauso tiefsinnige Billy. Und trotz all des Leids habe ich immer noch keine Ahnung was denn bei Billy nun eigentlich los ist. Natürlich, vielleicht ist es der Erfolg, dieser leere Medienrummel, das Gefühl in einer Kategorie festzustecken, der Wunsch bessere Songs zu schreiben… Aber der Junge sagt ja nichts. Vor allem bedient Billy nämlich ein Klischee und zwar, dass man depressiv und traurig sein muss, um Kunst zu machen. Dabei wirkt das Projekt wie eine Schablone, in die eine Hochglanzversion des eigenen Leids hineingelegt werden kann, weil es zwar zu behaupten scheint, es ginge um alles, aber letztlich weiß man nicht so richtig was dieses „alles“ nun eigentlich ist.

Wie damals bin ich wieder verwundert, dass Bill Kaulitz und ich ungefähr gleich alt sind. Heute nicht mehr, weil er so erfolgreich ist und ich noch jeden Dienstag so tue, als hätte ich meinen Turnbeutel vergessen um nicht Völkerball spielen zu müssen. Heute viel mehr, weil sich Billys Projekt noch so sehr um die Zurschaustellung des eigenen diffusen Leides dreht, dass ich mich frage, ob ich es sich um das Tagebuch eines Teenagers mit millionenschwerem PR Team handelt.

If death is imminent, it’s better to be killed by a lover. Nagut. Vielleicht kommt da ja noch was.

Dieser Text erschien zuerst in leicht veränderter Form auf bento.de.

Bildquellen

  • Bill Kaulitz als Billy: © Davis Factor

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