Blues Sklep in Prag: Sweet Jazz
Sweet, Sweet Jazz in Prag und „Hands off Ukraine, Putin!“: Ein Besuch im Jazzclub Blues Sklep in Prag.
Der Moment, in dem die Zigarette hinterm Ohr des Trompeters brennt, sich quasi selbst raucht. Zum Singen holt er sie hervor, nimmt tiefe Züge zwischen den Zeilen. Als könne nur das herauskommen, was er vorher eingesogen hat: eine Stimme zwischen Louis Armstrong und Michael Stipe, zwischen Charles Bukowski und Klassik. Wie viele Zigaretten es wohl braucht, um so singen zu können. Wir sind in einem Club in Prag, der Trompeter heißt Johnny.
Wir sind Touristen wie Tausende, haben tagsüber gesehen, was sie alle gesehen haben: Kafka satt. Straßenpolitik, Kerzen und Plakate überall: Hands off Ukraine, Putin! Wir haben mehr asiatische Touristen gesehen, als es unseres Wissens überhaupt Asiaten gibt. In den Geschäften Porzellanziegen und Diktatoren-Matrjoschkas, sieben große Tyrannen der Weltgeschichte, einer im Bauch des anderen. Nachts haben wir mehr Glück, geraten irgendwie aus dem Strom hinaus, in die Liliová 10, in diesen Club namens Blues Sklep.
Steigen Stufen hinab, Sklep bedeutet Keller. Die Nächte finden in Prag unter der Erde statt, in Gewölben wie diesem. Sechzig, vielleicht siebzig Leute finden hier Platz, helle Wände, ein bisschen Licht, ein paar Plakate, Tische, Stühle, fertig. Wir überlegen, eine Flasche Wein zu bestellen, aber Wein ist günstiger in Gläsern, unlogisch eigentlich, im Laufe des Abends werden es viele. Ihr Name ist Anena, sagt die Kellnerin, sie ist schön wie die anderen Frauen hier, fast hätten wir es gar nicht bemerkt, so unaufdringlich und leise ist ihre Eleganz, schwarz gekleidet die meisten, rauchend, klug.
Und dann also Johnny, Johnny der Geschichtenerzähler, Johnny in weißem Hemd und Hosenträgern, begleitet von Bass, Gitarre, Akkordeon und einer weiteren Trompete. Kopf einer zusammengewürfelten Band. Er spielt Klassiker, Gassenhauer, Mack the knife, Just one of those things, alles tausendmal gehört, und trotzdem haben wir absolut keinen Namen für das, was er da macht. Eine Art Chicago Jazz, aber cooler. Swing, aber weniger orchestral. Eine Session. Improvisation, Spaß, brillanter Blödsinn eigentlich, gerade spielt das Akkordeon ein quietschendes Solo. Sie jammen da vorne, und jeder Einzelne weiß genau, was er tut. Das Konzert aber, das Gemeinsame, entsteht in dieser Sekunde.
Johnny, erzählt er später, ist Opernsänger im wirklichen Leben. Er kommt aus England. Hat da Musik studiert, Stimme und Instrument. Auch Rauchen, auf diese Art? Er lacht. Nein, aber die Kultur der 20er Jahre, den Swing, den Blues, den Jazz. Und bringt all das jetzt hierher, angezogen wie ein Zeitungsjunge der damaligen Zeit, um damit etwas ganz Neues auf der Bühne zu machen. Das Charmanteste, Leichteste, das Unkomplizierteste, was wir je in dieser Richtung gehört haben. Und wir haben viel gehört, wir sind nicht nur Touristen.
Wir rauchen nicht, aber wir wollen, können nicht singen, würden aber ein sehr kleines Königreich dafür geben, jetzt gerade. Von irgendwoher kommt ein Hippiemädchen, nimmt sich das Mikro, wiegt sich in den Hüften: All of me, why don`t you take all of me. Eine süße Jazzstimme, der Gitarrist und der Trompeter gehen zur Seite, lehnen sich an die Wand und lauschen, einer schließt die Augen, ist Fan, jetzt gerade, und die Mischung von Band und Publikum ist perfekt. Vielleicht ist ja jeder hier auf irgendeine Art Musiker, die Kellner auch, vielleicht macht Johnny uns dazu. Anena tanzt mit dem Barmann, alles tanzt. Johnny raucht.
In dem Moment, in dem er sich seine Zigarette wieder hinters Ohr schiebt, verstehen wir die Geste. Verstehen, dass die Musik selbst auch nur der Soundtrack des Zaubers ist, den sie erzeugt. Dass es keinen zweiten Abend wie diesen geben wird, weil sich weder die Konstellation noch das Zusammenspiel all der Menschen hier wiederholen lassen. Dass es genau darum geht: um den Moment, um den Tanz, den wir tanzen, jetzt gerade. Und weil es egal ist, bestellen wir noch Wein, eine Flasche, und trinken mit Anena auf diesen Club, auf die Musik. Wir nennen sie Sweet Jazz, den Spaß, das Virtuose, ihre süße Einmaligkeit.
Bildquellen
- Pragtext.1: Kathi Flau
- pragtext.3: Kathi Flau