Braunschweig schön trinken: Drinks und uferlose Gespräche

Im Reiffer Verlag ist gerade die Anthologie Braunschweig schön trinken erschienen, eine Liebeserklärung an die im Verschwinden begriffene Eckkneipe. Unser Autor Martin Spieß erinnert sich an einen Kneipenabend in der Braunschweiger Kneipe Zur Bratröhre.

Einer der besten Kneipenabende meines Lebens führte mich in die legendärste Spelunke im Braunschweiger Rotlichtviertel. Ich war für einen Auftritt in der Stadt gewesen und anschließend mit zwei Freunden noch losgezogen, um der Party zu entkommen, die das Team von Mario Barth, der am selben Abend in Braunschweig auftrat, im Hotel veranstaltete, in dem ich das Pech hatte, untergebracht zu sein.

Menschen in Braunschweig wissen, dass ein Donnerstag nicht der beste Tag der Woche ist, um auszugehen, so blieb nach einem Bier und einer Runde Tischfußball in der Luke 6 nur besagte Rotlichtviertelspelunke: Zur Bratröhre.

Wenn es je eine Schwankwirtschaft gab, die den Namen Kneipe verdient hat, dann sind es wohl die vielleicht zwanzig von mannigfaltigen Eintracht-Braunschweig-Memorabilia dekorierten Quadratmeter, in denen es still ist, solange die Gäste nicht mit Euromünzen die Jukebox füttern und in der man lieber Flaschenbier bestellt, weil man der Sauberkeit der Gläser nicht traut. Hinterm Tresen steht Fabi, ein Original, wie man diese Art von Wirt nennt. Genauso die Stammgäste, die auf den vordersten Plätzen, direkt hinter der Eingangstür, entweder einen postkoitalen Absacker trinken oder sich mit einem Wolters auf den Fick einstimmen, für den sie hier sind. Die Damentoilette ist außer Betrieb, einfach, weil weibliche Gäste hier nicht erlaubt sind, und auch die Herrentoilette hat schon bessere Zeiten gesehen. Und doch sitzt man hier, bis man nicht mehr stehen kann, zahlt eine für einen Vollrausch lächerlich geringe, fast schon sträflich niedrige Rechnung und macht sich davon. Bis dahin hat man die Zweifel an der Sauberkeit der Gläser irgendwann drangegeben und von Fabi selbstgemachten Mexikaner getrunken, ihm wiederholt zur heimeligen Einrichtung gratuliert und mit wildfremden, ebenso betrunkenen Menschen Selfies gemacht.

Das letzte Refugium proletarischen Widerstands

Es sind vor allem diese letzten Refugien proletarischen Widerstands, die im Sammelband Braunschweig schön trinken das Herz des geneigten Trinkers und Kneipenphilosophen berühren: ihn erinnern an solche Abende, ihn gemahnen, diesen letzten Überbleibseln rebellischen Kneipenlebens noch einmal einen Besuch abzustatten, bevor sie verschwinden. Manchmal jedoch bleibt nur die Erinnerung: die Eigentümerin der Bratröhre ist inzwischen gestorben, Fabi und seine Eintracht-Deko sind verschwunden und unter den neuen Besitzern ist zwar nicht modernisiert, aber dennoch eine Spur des alten Charmes verloren gegangen. Die Bratröhre hat zwar nicht Eingang gefunden in Braunschweig schön trinken, die Autorinnen und Autoren des Buches aber haben an anderer Stelle Zeugnis abgelegt, getrunken, gekickert, philosophiert:
Erfahrungen gemacht, die länger bleiben als der Kater am Morgen nach dem Abend davor. Und sie haben ein Buch geschaffen, dessen Texte man hervorragend zwischen zwei Drinks lesen kann: ein Buch, das Lust macht auf noch einen Drink und ein uferloses Gespräch, auf mehr und zu viel.
B. Trinker (Hg.): Braunschweig schön trinken
September 2016
160 Seiten, 9,90 €
ISBN 978-3-945715-21-5

Bildquellen