Der Geruch von alten Iron-Maiden-Shirts
Buchkritik zu John Darnielle „Wolf in White Van“: Der beste Songschreiber seiner Generation hat ein Buch geschrieben. Es riecht nach alten Iron-Maiden-Shirts.
Ich liebe John Darnielle, sein Bild- und Sprachwelten, und überhaupt: Wenn es einen Menschen gibt, der Bob Dylan in die Augen schauen darf, dann er. Und irgendwas an seinen Songs – mit den Mountain Goats – übers eher nerdige Erwachsenwerden spricht mich an. Ich weiß auch nicht.
The Mountain Goats – Cry for Judas from Carlo Mirabella-Davis on Vimeo
Nun hat Darnielle auch ein Buch geschrieben: Wolf in White Van. Es hat nicht nur ein tolles Cover, sondern ist ziemlich gut. Was natürlich daran liegt, dass John Darnielle Meister der Erinnerung an dunkle Jugendtage ist. Nicht nur als einer der berührendsten Lyrics-Schreiber seiner Generation, sondern auch als Romanautor. Nachdem er 2008 in „Master of Reality“ in Form eines eines Tagebuches eines Jugendlichen, dem das Album weggenommen wurde erklärte, warum es eines der besten Rock-Alben überhaupt ist, legt er mit „Wolf in White Van“ nochmal einen drauf.
Genau wie „Master of Reality ist „Wolf in White Van“ durchzogen vom Geruch alter Iron-Maiden-Tshirts aus den 80ern, pixeligen Videospielen und Welterklärungsmodellen, die aus Conan-Comics stammen. Der Roman folgt Sean Phillips, der im Alter von 17 Jahren einen entstellenden Unfall mit einer Waffe hatte und seitdem isoliert von der Welt als Dungeon Master eines amerikaweiten Pen-and-Paper-Rollenspielnspiels namens „Trace Italian“ lebt, das er sich im Krankenhaus ausgedacht hat. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt sind die Spieler, die ihm ihre Spielzüge der Post schicken. Darnielle zeichnet den Weg von Sean nach – die Ereignisse, die zu seinem Unfall geführt haben, das Leben danach, er lässt für Sean die Grenzen zwischen Trace Italian und dem wahren Leben verschwimmen.
Darnielle buddelt. Und er buddelt tief.
Mit leichter, fluffiger Sprache, die sich nie in verkunsteten Windungen verliert bohrt Darnielle in den tiefsten Erinnerungen eines 17jährigen herum, der von der Welt zu isoliert war, um jemals erwachsen zu werden. Und trifft, das ist es, was Darnielle zu einem Meister der Erinnerungen macht, genau. Erste Lieben, erstes Bier, Freundschaften, die auf dem Wort „Arschloch“ basieren und sich anfühlen, als hielten sie ewig, kleine Versatzstücke aus Songs, Videospielen und Comics, die nichts weniger als die Welt bedeuten. Und über allem diese ständige Angst vor dem katastrophalen Eintritt in die eigenartige Welt der Erwachsenen, wo das alles nicht mehr zählt. „Wolf in White Van“ ist eigentlich kein Buch. Es ist eine Zeitmaschine.
John Darnielle: Wolf In White Van
Farrar, Straus and Giroux; September 2014
224 Seiten, 13,76 US-$ (noch nicht auf Deutsch erschienen)
Bildquellen
- wolf-in-white-van-cover: Bild: © Farrar, Straus and Giroux