Chris Tall: Nein, er darf das nicht
Chris Tall wurde durch einen Auftritt bei TV Total über Nacht zum Comedy-Star. Seine Witze über Behinderte, Schwarze, Schwule und Frauen kommen an. Sein Mantra „Darf er das?“ ist vielleicht deswegen so erfolgreich, weil er ein weißer Deutscher ist – und der ebenfalls weiße deutsche Zuschauer das zum Anlass nimmt, endlich mal wieder sagen zu dürfen, was er denkt.
Geschenkt, dass Chris Talls Jokes nicht besonders gut und obendrein bei anderen Comedians geklaut entlehnt sind. Dass sein Mantra „Darf er das?“ auffallend nach Oliver Polaks erstem Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ klingt. Dass er erklärt: „Ihr müsst Witze machen über alle: über Behinderte, über Schwule, über Schwarze. Gut, nicht schwule Schwarze, das wär’ zu krass“ – und mit „schwule Schwarze“ wörtlich Serdar Somuncu zitiert und dessen damit im Zusammenhang stehenden Leitspruch: „Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.“
Geschenkt, dass Talls Pointen auf Stereotypen basieren: Frauen haben ständig schlechte Laune, Schwarze haben große Pimmel und pflücken Baumwolle, Köln ist eine schwule Stadt. Ach, herrje.
Dass er sagt, man müsse über sich selbst lachen können, dann aber sein Übergewicht thematisiert – seine „110 B Titten“ und seine „vier Kinns“ –, als ob das etwas sei, was sich mit Rassismus und Sexismus vergleichen ließe.
Niemanden auf- oder zum Nachdenken anregen
Serdar Somuncu ist vor seinem Durchbruch jahrelang durch kleine Läden getourt, hat Hitler und die Nationalsozialisten sowie den alltäglichen Faschismus in Deutschland thematisiert und wurde dafür lange Zeit ausgepeitscht. Er wurde wegen seiner drastischen Themen nicht ins Fernsehen eingeladen und ging irgendwann dazu über, falsche Skripts einzureichen, um dann live einfach zu machen, worauf er Lust hatte.
Den jüdischen Comedian Oliver Polak hat die deutsche Comedy-Landschaft (im Zusammenhang damit, dass sein Vater Holocaust-Überlebender ist) in eine schwere Depression und in die Psychiatrie gebracht: seine Vorstellung von Comedy – keine belanglose Feelgoodscheiße wiederzukäuen, sondern die Bühne als Chance zu betrachten, Wahrheit und Erkenntnis zu erzeugen oder zumindest richtig gute (also harte) Gags zu erzählen – traf auf wenig Gegenliebe. Comedy hat in Deutschland leicht zu sein: Geschlechterklischees, harmlose Alltagssituationen, die niemanden auf- oder gar zum Nachdenken anregen.
Endlich mal wieder sagen, was man denkt
Wieso also ist Tall mit diesen seinen (ich betone noch mal: recht miesen, weil klischeehaften) Pointen so erfolgreich? Weil es gar nicht an der Comedy liegt, sondern am deutschen Reflex, endlich mal wieder sagen zu dürfen, was man denkt, egal wie ressentimentbeladen es auch ist. Und eben all jene Deutsche, die sich bisher zurückhielten, können sich nun auf Chris Tall berufen und sagen: „Der macht es doch auch! Das ist kein Ismus, das ist Comedy!“ Er ist einer von ihnen: weiß, männlich, dick. Und die Argumentation: Er lacht über sein Übergewicht, dann darf er auch Witze über Schwarze machen.
Falscher (jaja, falsch ist nicht steigerbar, sue me!) aber könnten sie nicht liegen. Der Unterschied zwischen Ismus und Comedy nämlich ist, dass Letztere – so wie etwa bei Polak und Somuncu – mit einer Haltung verbunden ist. Mit einer Aussage. Dass es dabei um Ausdauer geht und nicht um Affekt, das ist ein weiterer Satz, den Serdar Somuncu nicht müde wird, zu betonen. Wer sich wirklich um ein Thema bemüht, kommt nicht mehr davon los. Dem geht es um mehr, als um den schnellen Lacher, getarnt mit politischem Bewusstsein.
Ernstliche Haltung aber sucht man bei Chris Tall vergeblich, man findet nicht mal ernstliches Bemühen. Es scheint ihm nicht einmal bewusst zu sein, dass seine Jokes nur zu noch mehr Ressentiments und Ismen führen. Und das – Achtung, Hammer Wortspiel! – zeugt nicht gerade von Größe.
Bildquellen
- 07_pr_foto_gummizelle_ctall: Pressefoto Chris Tall