Das Haldern-Pop: Ein musikalisches Interview mit Stefan Reichmann
Das Haldern Pop ist ein Sehnsuchtsort für alle schon einmal da waren. Martha Sengteller hat mit einem Mann gesprochen der dieses Kleinod der deutschen Festivallandschaft möglich macht, und eine Playlist zusammengestellt die Euch die Sehnsucht näher bringt.
Das Haldern Pop Festival in Haldern/Rees am Niederrhein in Nordrhein-Westfahlen hat sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten und bekanntesten deutschen Musikfestival entwickelt, das an Friedfertigkeit und Gemeinschaftssinn kaum zu übertreffen ist. Seit 1984 wird das kleine ganz große Festival auf dem Reitplatz des Ortes aufgebaut. Die BesucherInnenzahl steigt nicht über 7.000 an, obwohl immer mehr Gäste und KünstlerInnen davon schwärmen und träumen, zurückzukommen. Die Tickets sind innerhalb weniger Stunden ausverkauft, bevor noch die erste Band angekündigt ist. Im Jahr 2004 eröffnete die Raum 3 Konzertveranstaltungs GmbH das Label Haldern Pop Recordings und 2009 wurde die Haldern Pop Bar eingeweiht, in der auch übers Jahr Konzerte stattfinden. Als verantwortlicher Booker und Marketing-Stratege ist Stefan Reichmann das Gesicht des engagierten Teams. Hinter seinem niederrheinischen Platt kann ab und zu ein Lächeln vermutet werden, wenn er über Momente der Glückseligkeit und über Identifikation mit der eigenen Region spricht. Das Haldern empfängt Weggezogene und Gäste gleichermaßen mit offenen Armen und lädt sie ein, ihr eigenes Festival mit zu gestalten.
Als Soundtrack zum Interview hier eine Playlist mit Musik vom Haldern Pop.
https://soundcloud.com/martha-pfahl-5/sets/ein-zwei-kommen-und-gehen
Martha Sengteller: Hallo Stefan, ich habe in mehreren Interviews gehört, dass ihr mit einer kleinen Dorffeier angefangen habt, mit 14 Messdienern. Mich würde interessieren, wie sieht heute euer Team aus, wer ist der engere Kreis der Beteiligten und was sind die jeweiligen Aufgaben, die alle Personen haben?
Stefan Reichmann: Der engere Kreis, die soziale Software für dieses Festival, ist der Familienstruktur entnommen. Wir sind kein Verein. Wir wollten nie Reglementierungen und zwei Euro für nicht geputzte Schuhe. Sondern das sollte immer in der Gruppe spürbar sein, ob wir dieses Festival wollen oder nicht. Das ist nicht die Entscheidung von einem, ob wir dieses Festival machen, sondern die gemeinsame Entscheidung, auch vom Gefühl her. […] Die Basis ist immer: Warum machen wir Festival? Es gibt ja einen Grund, dieses Festival zu machen und ich glaube, der muss immer wieder im Mittelpunkt stehen. Die Idee, dieses Festival zu machen; ich bin mal gefragt worden, warum dieses Festival entstanden ist oder aus welcher Situation heraus. Ich glaube, das ist ein bisschen so, wie ich mir die Rote und die Blaue von den Beatles gekauft habe.1 Ich hab mir die angehört und fand die fantastisch und bin dann voller Vorfreude zu einem Freund gefahren und habe dem die besten Stellen vorgespielt. Ein Festival ist, dass man Leuten gute Musik vorspielt, vorspielen möchte und die für gute Musik begeistern möchte. Das ist immer auch so eine Begeisterungsgeschichte.
Dieses Festival machen wir hier, um für Musik zu begeistern. Das ist das zentrale Thema. Das muss immer mal ein bisschen nachjustiert werden. In den letzten Jahren, weil es erfolgreicher wird, muss man sich vor anderen Dingen schützen. Dann wollen Leute das größer machen, dann wollen Leute das effektiver machen. Dann muss man aufpassen, dass man das Wesentliche des Festivals behält. Wenn dann ein großer Sponsor kommt und bietet einem viel Geld, dann muss man aufpassen, dass man die eigentliche Idee oder das Geheimnis, die Seele des Festivals, nicht verkauft. Man muss aufpassen, dass man nicht pleite geht, aber man muss auch aufpassen, dass man die eigentliche Idee nicht verkauft. Und dass alle in einem gewissen Tempo die Begeisterung und den Spaß miterleben können und auch teilen.
M.S.: Also ist es sinnvoll Prozesse, die optimierbar sind, teilweise bewusst nicht zu optimieren, um A das Gefühl aufrecht zu erhalten und B alle Menschen mitzuziehen?
S.R.: Nicht dem Diktat der Effizienz unterwerfen. Wir haben nicht das Prinzip, wie Volkswagen einen Golf baut. Da gibt es jede Menge Betriebswirte, die drum herum sitzen und sagen wie man den nächsten Golf billiger bauen kann. Und dann vermeintlich glauben, er ist dann doch schneller aber vielleicht ist er nicht besser.
M.S.: Du hast gesagt, du bist auch für das Booking verantwortlich. Denkst du bei der Entstehung des Festivals an das Publikum?
S.R.: Ja, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich denke nicht an das Publikum insofern, dass ich deren Erwartungen erfüllen möchte. Sondern ich denke an das Publikum, weil ich eine Vorfreude besitze, dieses Publikum zu überraschen und zu begeistern. Es geht nicht darum, denen ein Programm zu präsentieren, um aus einer gewissen Eitelkeit oder Arroganz heraus zu glauben, man ist weiter. […] Ein gutes Festival ist wie ein guter Song. Man hat Refrains, um die Leute zusammenführen, damit sie in der Lage sind, sich etwas abgefahrenere Sachen anzuhören. Auf einem Festival muss man auch immer Konsens schaffen. Da kommt schon mal ein Löffel Zucker in den Kaffee.
M.S.: Siehst du dich eher auf einer Seite mit dem Publikum, oder dem gegenübergestellt? Wenn das Festival stattfindet.
S.R.: Ne, ne. Ich sehe mich auf der Seite des Publikums, weil ich mich genauso auf das Festival freue wie das Publikum. Ich will die Band nochmal in Haldern, in diesem Kontext sehen. Da wo wir den Rahmen schaffen, mit dem Lagerfeuer, dem See. Wie die auf unseren Ort reagieren und auf unsere Gastfreundschaft und was hinterher dabei rumkommt. Unser Publikum ist unser größtes Kapital, das muss man fairerweise sagen. Weil sie sind es letztendlich, die dieses Perpetuum Mobile in Gang bringen. Mit ihrer Aufmerksamkeit verschaffen sie den Künstlern den ersten Applaus. Die Künstler kommen erstmal für das Publikum. Deren Aufmerksamkeit macht das Festival erst rund.
M.S.: Würdest du deine Arbeit als kreative Tätigkeit beschreiben?
S.R.: […] Ich würde sagen, das ist ein Spiel. Eine Lust ist es auch. Man muss abwägen, etwas wagen. Wagen, um die Stimmung nicht aufs Spiel zu setzen. Man muss Kritik aushalten. Wenn Leute sauer sind, weil sie nicht die großen erwarteten Bands auf dem Festival sehen. Warten bis das Festival vorbei ist und dann ist es wichtig wie die Leute das Festival fanden.
[…] M.S.: Du sagtest, du spielst; das Festival zu machen ist ein Spiel.
S.R.: Man weiß das ja nie. Umso länger wir das machen, umso mehr wird mir klar, wie andere das machen. Das ist ein richtiger Markt geworden. Wenn ich in Benelux bin, speziell in den Niederlanden, drückt sich auch immer die Mentalität der Länder aus. Die Holländer organisieren unglaublich gute Festivals, aber da bleibt die Musik auf der Strecke. Die sind zu effizient. Die denken mehr über die Optimierung, das Melken der Konsumenten, nach, als dass da hinterher ein Fest steht. Die haben zwar offensichtliche Kreativität in allen Ecken. Alles ist bunt und alles riecht und jeder ist individuell und alle sind kreativ aber das eigentliche Festival, der Konsensmoment und der Respekt im richtigen Augenblick für den Künstler, fehlen. Während eines Festivals entstehen Hierarchien. Mit Hierarchien meine ich, dass man zugestehen muss, wenn einer auf der Bühne steht, dann bin ich jetzt nicht im Vordergrund. Sondern ich bin jetzt Zuschauer und höre dem zu. Wenn ich das aufmerksam mache, dann kann mir Großartiges widerfahren, mit anderen Leuten. Dann fällt man wieder in eine andere Situation, wo man sich mit Leuten unterhält. Das ist immer ein Wechselspiel. Ich beobachte immer mehr Festivals, wo die Festivals zu sehr zum Star werden und die eigentlichen Künstler nicht mehr diese Aufmerksamkeit erfahren. Sie sind wiederum sehr wichtig, denn sie motivieren uns, sie bringen uns in Bewegung und sie erzählen uns ihre persönlichen Geschichten. Das ist teilweise eine sehr emotionale Geschichte, das darf man vorher nicht vergessen. Diese Mixtur aus Emotionalität. Diesen Gemeinsinn zu entwickeln aber dann wieder auseinander gehen zu können, aufeinander zu vertrauen. […] Das Festival hat auch mit dem Ort und den Leuten hier zu tun. Mit den Leuten, die das Festival vielleicht nicht offensichtlich unterstützen, aber doch mit ihrer Art sich auf das Wochenende freuen. Auch ältere Leute. Die identifizieren sich damit.
[…] M.S.: Bei dir kann man eigentlich von Landsucht reden.
S.R.: Ich komme aus Haldern aber ich habe keine Landsucht. Ich mag das. Die Gegend hat mich geprägt. Ich würde das nicht polarisierend sehen, dass ich deswegen die Stadt nicht mag. Ich finde das Thema total wichtig und beschäftige mich damit. Freunde von mir sind zum Beispiel gegangen, haben studiert und arbeiten woanders, weil die Berufsfelder und -bilder hier in der Region nicht zu finden sind. Ich konnte beobachten, dass bei gewissen traditionellen Festen ein Effekt auftritt, als würde sich die Spreu vom Weizen oder andersherum trennen. Aber die Leute, die gegangen sind, sollen immer die Chance haben auch wiederkommen zu können und wenn es nur für zwei Tage ist. Das gilt auch andersherum. Die Wertschätzung untereinander, dass man den Kontakt zueinander nicht verliert, das sind ganz wichtige Sachen. […] Das Schöne an so einem Festival ist, dass sie zusammen kommen. […] Die treffen sich da und entwickeln einen Konsens. Die teilen sich die Zeit an dem Wochenende. Deswegen gibt es in Haldern auch keine Tageskarten. Ich finde es nicht so gut, wenn man das separiert. Ich will den ersten Tag gehen und vielleicht noch den dritten, aber nicht den zweiten. Die Leute müssen sich entscheiden. Entweder sie wollen die drei Tage sehen, oder nicht. Man kann auf jeden Fall keine Tageskarten kaufen, man muss sich entscheiden. Jeder einzelne muss sich entscheiden, was er will. Es bewegen sich viele individuelle Charaktere auf dem Festival, auch mit gewissen Ansprüchen. Die entwickeln dann so wohlige Momente. Das sind die Stimmungen von denen du sprichst, wenn die Leute sich einig sind. Formiert werden die ganzen Leute durch die Musik. Die Musik kann laut, die kann leise sein. Es gibt verschiedene Nuancen, das muss nicht alles nur Slow Show sein. Das kann Klassische Musik sein. Ich finde es interessant, die Leute mit klassischer Musik zu konfrontieren. Wir hatten im letzten Jahr einen Chor 2 aus Berlin hier gehabt, der hat um 11 Uhr morgens klassische Chormusik in der Kirche gespielt. 3 Die Kirche war picke-packe voll. Das war wundersam. Das war ein schönes musikalisches Frühstück. Das ist als ob die Leute dann irgendwie gewappnet sind. Die lernen Sachen kennen, die sie nicht auf einem Festival erwarten. Das ist Teil der Überraschung.
M.S.: Ich habe bei Festivals immer wieder Momente der Glückseligkeit.
S.R.: Das sind doch bezaubernde Momente. Menschen können diese Momente abspeichern und damit wunderbar über den Winter kommen. Es werden Geschichten produziert, man lernt sich kennen, die Leute erzählen sich was und teilen sich diese gemeinsamen Momente.
M.S.: Ist das das Festival für dich, diese Momente? Was kommt noch dazu?
S.R.: Für mich ist es, wenn sich diese unglaubliche Glückseligkeit breit macht. Das kann manchmal auch melancholisch sein. Wenn sich so eine gewisse Stimmung über den Tag legt. Das kann sogar bei Regen passieren. Wenn sich das zu einer Einheit formiert, wenn die Leute eine Tiefenentspanntheit entwickeln und wissen, warum sie da sind. Das ist so eine Herzlichkeit. Das ist sehr speziell. Patti Smith, die Lou ein Lied widmet – Perfect Day – und auf einmal fängt das Publikum mit an zu singen und du siehst ihr an, dass sie damit nicht gerechnet hat. 4 Sie fängt dann an die Art und Weise des Auftritts zu verändern. Das motiviert sie nochmal. Als wenn jemand 300 Meter vor dem Gipfel den Rucksack wegwirft und die letzten Meter rennt.
M.S.: Lebst du das ganze Jahr im Festival und für das Festival?
S.R.: Ich habe natürlich viel damit zu tun. Wir haben hier die Bar, dafür mach ich das Booking. Ich habe noch eine Werbeagentur. Ich habe natürlich noch mehrere Kinder. Ich grille auch mal ganz gerne oder Wienerschnitzel, mache ich auch mal ganz gerne. -lacht- Oder ich geh wandern. Das ist schon relativ präsent in meinem Leben. Man kennt viele Leute, die mit dieser Materie zu tun haben. Was mich beschäftigt, ist Musik als solches sowieso; mit Musik zu begeistern. Ich glaube immer noch, dass Musik mehr Fähigkeiten besitzt, als immer oberflächlich kulturell abgetan wird. Musik hat mehr Einfluss auf unser Leben. Deswegen heißt unsere Dokumentation „Du die Schwalbe, wir der Sommer“. 5 Ich finde den Spruch „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ von den Bauern so schrecklich. Der impliziert ein unglaubliches Understatement, wo es eigentlich nur darum geht, dass keiner wissen soll, wie viel Geld ich verdiene. Was wir brauchen ist Zuversicht. Da können Musik und solche Veranstaltungen einen großen Teil zu beitragen. Ich habe diese Zuversicht an etwas zu glauben. Das ist kein Instrument der Wissenschaft aber der Zuversicht und das finde ich ganz schön.
M.S.: Ist dein normaler Alltag geregelter als dein Festivalalltag?
S.R.: Teils, teils. Es ist Kritik, die man mir auch schon mal vorwirft, dass ich in alltäglichen Dinge anfange zu improvisieren, wo ich es nicht nötig hätte.
M.S.: Bist du das Improvisieren vom Festivalmachen gewöhnt?
S.R.: Natürlich. Da muss immer improvisiert werden. Da passieren tausend Dinge. Fast regelmäßig kommt das Equipment zu spät. Es landet dann statt in Düsseldorf in Barcelona, nur die Band ist in Düsseldorf. Dann muss man ein gutes Team haben und muss die Leute motivieren. Dann sagen die Künstler, wir verlassen den Flughafen nicht, wenn wir unsere Gitarren nicht kriegen. Man muss immer improvisieren. Man muss bei schlechtem Wetter auch motivieren. Leute, das wird schon besser, das wird schon alles!
M.S.: Woher nimmst du diese Zuversicht und diese Kraft und das Können, mit dem Unvorhersehbaren zu planen?
S.R.: Durch das Vertrauen in viele gute Leute, die an dem Festival mitarbeiten. Also dieses Umfeld, diese Leute, die da alle dran beteiligt sind. Im Prinzip freut man sich ja, mit den Menschen was zusammen zu machen. Das ist es ja. Das mit den Leuten tun zu können.
M.S.: Festivals formieren sich immer wieder neu, sind immer wieder etwas Neues an sich, in sich selber. Obwohl sie von der Struktur her immer ähnlich bleiben. Stehst du persönlich, als Veranstalter unter dem Zwang etwas Neues zu machen? Neue Dinge auszuprobieren, Sachen zu erweitern, Sachen fallen zu lassen, Veränderung hervorzurufen.
S.R.: Die müssen dann schon einem Kritikpunkt geschuldet sein. Wir stehen nicht unter dem Zwang des Guinness-Buch der Rekorde, dass wir ständig besser werden müssen. Das war mal ein Slogan, den wir vor zwei Jahren hatten, den finde ich nach wie vor noch super: „be true, not better„. Ich glaube, dass man sich schnell verzetteln kann, wenn man jedes Jahr besser werden will. Mit diesem Ehrgeiz rutscht man schnell in diese Effizienzraster. Manchmal muss man Sachen auch so hinnehmen. Deswegen haben wir auf dem Campingpatz kein Partyzelt. Da will man uns jahrelang zu überreden. Aber es ist ganz schön, wenn man den Leuten ihren eigenen Raum lässt. […] Es geht nicht darum, Dinge zu hundert Prozent zu lösen. Das ist zum Beispiel dieses Tupperwaren Prinzip. Diese Tupperware hat uns beigebracht, ständig zu viel zu kochen, weil wir immer was in den Kühlschrank stellen können. Ich finde es gut, wenn man tendenziell Dinge in die richtige Richtung entwickelt. Damit man zufriedener ist. Schon wieder ein Schritt in die richtige Richtung, aber es geht nicht um Perfektion. Es geht nur um die Tendenz, dass sich Dinge in die richtige Richtung bewegen.
M.S.: Siehst du dich ein bisschen als einer der letzten Kämpfer für das Gute und Gerechte? Was sind deine Prognosen, wie geht es weiter? Nicht nur mit euch, insgesamt.
S.R.: Ich stelle grade fest, dass immer mehr Leute über dieses Identitätsding nachdenken. Ich war zum Beispiel nach Borlänge eingeladen, in Schweden. Die haben das Problem, junge Menschen in der Region zum Bleiben zu animieren. Die Leute hauen alle ab, nach Göteborg und Stockholm. Wobei Stockholm auch nur so ein Durchlauf ist. Irgendwann sind alle Veganer oder Nichtrauchende-Nichtalkoholisierte-Veganer, dann wollen sie nach Los Angeles. Der schwedische Staat reagiert auf diese Mechanismen indem er Proberäume einrichtet und komplett ausgestattete Studios. Was ich nicht für den richtigen Ansatz halte. Ich halte nichts davon, jungen Leuten alles schon dahin zu stellen. Junge Menschen brauchen auch den Dschungel der Langeweile. Es wird nicht nur der Regenwald in Südamerika abgehackt, sondern auch in Mitteleuropa wird durch die Effizienz der Dschungel der Langeweile enthauptet. Wenn du mit 17 noch nicht weißt, was du beruflich werden willst, dann bist du relativ schnell in dieser Systematik drin. […] Manchmal muss Ruhe einkehren. Die Effizienz ist es, die ich schwierig finde. Ich kriege das mit, dass auch Festivalveranstalter immer mehr über diesen Punkt der Identität eine gewisse Eigenverantwortung entwickeln, immer mehr Volontäre zulassen. Es wird eine Identifikation mit der Regionen, mit der Gegend, mit Dingen über die Musik aufgebaut. Das kann durchaus ein Instrument sein, dass man da langsam reinwächst aber nicht dass man komplette Studios dahin stellt. Die bleiben dann zwei Jahre länger in Borlänge, weil sie können alles umsonst haben. […]
M.S.: Bei dem Wort Festivalmacher kann das Wort machen im Vordergrund stehen. Weil es darum geht Orte zu verändern, Orte zu benutzen, zu bespielen.
S.R.: Es ist auch wichtig, in welchen Kontext setze ich welches Konzert. Es ist natürlich naheliegend, dass manche Menschen es spannend finden, eine E-Gitarre in der Kirche zu präsentieren. Aber das ist nur ein Effekt. Da gibt es auch ein Wort für. Das ist keine Haltung, das ist eher eine Pose. Dann wird es lächerlich. Die Orte müssen auch eine gewisse Wirkung erzielen, nicht nur als reine Provokation empfunden werden. Es muss möglich sein, sich auf den Raum einzulassen und die Vorteile zu nutzen, ein Ineinander spielen.
M.S.: Aber das übst du immer wieder aufs Neue.
S.R.: Genau, das probieren wir. Aber das klappt nicht immer. Aber man lernt ja auch.
- 1962-1966/ The Red Album und 1967-1970/The Blue Album sind zwei Compilation Doppelalben von The Beatles, die beide 1973 veröffentlicht wurden und Zusammenstellungen der Lieder aus den im Titel angegebenen Jahren beinhalten. ↩
- Der Chor Cantus Domus inszeniert Konzept Konzerte. 2015 steht der Chor mit The Slow Show auf der Bühne. ↩
- Das Haldern Pop setzt sich dafür ein, das Festival mit der Stadt zu verbinden. Um die Menschen vom Festivalgelände innerorts zu locken, spielen einige Musiker*Innen in einer Kirche. Außerdem finden Konzerte in der Haldern Pop Bar statt, welche sich direkt neben der Kirche befindet. In der Haldern Pop Bar finden auch über das Jahr verteilt Konzerte statt. ↩
- Patti Smith war 2014 zum zweiten Mal auf dem Haldern Pop und erzählt bei ihrem Auftritt davon, dass sie in der Nähe des Festivalgeländes durch die Felder streift und einen perfekten Tag erlebt. Das Lied Perfect Day widmete sie Lou Reed, der ein Jahr zuvor verstorben war. ↩
- Der Film Du die Schwalbe, wir der Sommer erschien 2014 anlässlich des 30. Jubiläums des Festivals im Jahr zuvor. ↩
Bildquellen
- stephanreichmannfinal: © Carlo Frisch
- Das Haldern-Pop Festival: © Carlo Frisch