Deutsche Ängste: Reisen
100ml Shampoo, drei Tampons, ein schnelltrockenendes Handtuch, eine Outdoor-Jacke und ein paar Trekking-Stiefel. So und nicht anders geht der Deutsche auf Reisen – und wenns nur an den Stadtrand geht. Alles andere wäre schlechte Vorbereitung.
Seit Jahren spiele ich auf Reisen das schöne Spiel Nationalitäten-Raten. Am einfachsten machen es mir dabei wahrscheinlich die Deutschen. Denn sie alle tragen gutes Schuhwerk.
Ich sitze in der Flughafenhalle, auf einem dieser Metallsessel, mit den kleinen Tischchen und esse ein enttäuschendes Brötchen. Das Gate zum Flug 611 von Düsseldorf nach Dublin öffnet in einer halben Stunde und ein paar Passiere stehen schon in der Schlange. Das ist mein erster Anhaltspunkt: Der Großteil von ihnen sind Deutsche, die auf keinen Fall ihren Flieger verpassen wollen, obwohl das Boarding noch nicht begonnen hat. Besonders auffällig an dieser Schlange der Early-Birds ist aber, dass sie alle gutes Schuhwerk tragen. Nein, nicht bloß Schuhe… Keine ordinären Lappen mit denen man im ausländischen Wetter bloß nasse Füße bekommt. Nein! Es handelt sich um Schuhwerk. Die, die keinen Koffer haben, der speziell für die Handgepäck-Bedingungen der Fluggesellschaft gemacht wurden, tragen ergonomisch geformte Reiserucksäcke mit Notpfeife (man weiß ja nie) und einem Fach unten im Boden, aus dem man eine Plastikhülle gegen Regen ziehen kann. Alles super leicht natürlich.
Man ist ja als Mensch allem Möglichen unterworfen: Vor allem der Wirtschaft und dem Wetter. Für die Wirtschaft gibt es Sparbriefe und für das Wetter gibt es Outdoor-Ausrüstung. Egal, ob man also durch den äquatorialen Dschungel wandert, durch die Wüste Nairobis oder in die Kneipe nebenan, man nimmt sich sein kleines Nest aus bürgerlicher Gemütlichkeit mit. Zwar ist man eher selten im Dschungel, aber immerhin: während alle anderen Nationen draußen beim Rauchen frieren, freut sich der Deutsche, denn er hat in eine Jack Wolfskin oder The North Face Outdoor-Jacke mit herausnehmbaren Flies investiert.
Meine eigene Paranoia und die feste Überzeugung, dass es in jedem anderen Land der Welt keine Läden gibt, hat folgende Objekte in meinen Besitz gebracht: Eine superleichte Regenjacke, eine Reihe kleiner Fläschchen, in die man reisefreundliche Mengen Shampoo füllen kann, eine kleine Plastikdose, die extra für den Transport von drei Tampons gemacht ist, einen extrem kleinen Regenschirm, diverse Thermoskannen und ein superleichtes und schnelltrocknendes Handtuch. Die Reiseapotheke wird je nach Land angepasst.
Diese Objekte haben gemeinsam, dass sie alle einen höheren Zweck haben. Nein, es geht nicht nur darum, Tampons zu transportieren, es geht darum zu reisen. Es ist nicht die Angst vor Eventualitäten, die die Deutsche Outdoor-Industrie befeuert. Es ist die Angst, auf diese Eventualitäten nicht ausreichend vorbereitet zu sein. Es gibt schließlich kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung!
Bildquellen
- Wanderung-ambriobiotta: CC-BY-SA 3.0 Mgloor