Die Sprache der Hauptstadt
Zum dritten Mal erscheint ein Kalender von Notes of Berlin mit Zetteln und Aushängen aus Berlin. Martin Spieß hat ihn durchgeblättert.
Berlin hat eine Menge Labels. Es ist „arm aber sexy“. Es ist – glaubt man Zugezogenen – voll von mies gelaunten Eingeborenen, die jede Gelegenheit nutzen, einen in Berliner Schnauze anzukacken. Es ist – glaubt man den WählerInnen einer bestimmten Partei – genauso voll von MigrantInnen, die kein Deutsch sprechen und sich nicht integrieren wollen. Und einen Flughafen kriegt Berlin auch nicht hin. Kommunikation, wirklich miteinander reden: Das ist nichts für Berliner, oder?
Die Seite Notes of Berlin beweist täglich das Gegenteil. Als „Hommage an Berlins Zettelwirtschaft“ versammelt sie seit Jahren kuriose Fundstücke von Aushängen und Gesuchen, die der Seite hauptsächlich von ihren UserInnen zugeschickt werden. Und gerade ist im Verlag seltmann+söhne ein Kalender für 2018 erschienen, der die 365 kuriosesten Funde aus der Hauptstadt (und einige Gastbeiträge aus anderen Städten) versammelt. Da will jemand den oder die Süße aus der U-Bahn wiedersehen? Zettel! Wie wird der anonyme Zeitungsdieb, der In-den-Hausflur-Pinkler oder Weihnachtsdeko-Klauer angemacht? Mit einem Aushang im Hausflur. Die Berlinerinnen und Berliner, ob nun Einheimische oder Zugezogene, beweisen dabei mitunter poetische Sprachgewalt, hintergründigen oder holzhammerigen Witz – oder poltern einfach wütend drauf los. Wenn da korrekte Rechtschreibung oder Grammatik flöten gehen? Wurscht, solange die Message stimmt.
Der Kalender (es ist der bereits dritte mit Notes aus Berlin) ist – wie die Seite selbst – eine wunderbare Liebeserklärung an Berlin. Gerade die erregten oder wütenden Zettel und Aushänge spiegeln die Direktheit der Berliner Schnauze, die nur wirklich verstehen oder gar lieben kann, wer mal für längere Zeit in der Hauptstadt gelebt hat. Der weiß, dass der Berliner und die Berlinerin an sich keine schlecht gelaunten PöblerInnen sind, denen ihre Leben so wenig Spaß machen, dass sie anderer Leute Leben miesmotzen müssen, und der an sich selbst beobachten kann, wie Berlins Schnauze und Charme mehr und mehr Raum fordern. Es wird wohl kaum an einem anderen Ort in Deutschland oder vielleicht sogar auf der Welt so schön miteinander oder (besser noch!) aneinander vorbei kommuniziert. Der Kalender von Notes of Berlin ist dabei nicht nur ein Zeitdokument, er selbst ist Zettelwirtschaft. Denn natürlich ist er ein Abreißkalender.