„Ein Königreich für ein Asperger-Syndrom“ – Interview mit Dietmar Wischmeyer

Ein derber Witzemacher, absurde Fragen – wir haben Dietmar Wischmeyer ein wenig geärgert.

In Moskau starb endlich Josef Stalin, in Oberholsten/Wiehengebirge wurde Dietmar Wischmeyer geboren. Dann passierte zehn Jahre nichts, bis er das Gymnasium der Kreisstadt besuchte. Dort passierte dann neun Jahre nichts. 1976 begann er das Studium der Philosophie in Ostwestfalen. Erwartungsgemäß passierte wieder nichts, diesmal aber nur acht Jahre. Jetzt aber erst mal ne Pause. 1988 lockte ein norddeutscher Radiosender mit Geld und Sendezeit. Ab da beginnt Dietmar Wischmeyer, alles aufzuschreiben, was so um ihn herum passiert – darunter das folgende Gespräch:

Sie haben mich ja sicherlich gegoogelt – wie finden Sie mich so? Welches meiner Stücke würden Sie als Erstes aufführen, wenn Sie Intendant des Hamburger Schauspielhauses wären?

Ich kann mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen, Intendant irgendeines Schauspielhauses zu sein, eher noch Volkshochschullehrer für Höhlenmalerei. Warum gibt es überhaupt noch Theater und warum schreiben Menschen dafür neue Stücke, sind die plemplem oder kommen die aus einem anderen Jahrhundert als Wiedergänger zu uns?

Sie sind der, behaupte ich mal, seltene Fall eines Intellektuellen mit besonderer Vorliebe für das Ultraderbe – wie kam es zu jenem sehr produktiven Umgang mit „Brägen“, „Gurkenrost“ und anderen grandiosen Deftigismen-Vulgarismen?

Schriftstellerei, gleich auf welchem niederen Niveau auch immer, sollte sich darum bemühen, sprachliches Neuland zu entdecken. In meinem Falle habe ich dem ungeheuren Reichtum der asozialen Sprachgewalt Westniedersachsens den Weg in die Hochliteratur geebnet und durch etliche Neologismen feinfühlig ergänzt.

„Tote Orte“ – was sind Ihre Assoziationen zu diesem Themenkomplex?

Innerstädtische Fußgängerzonen am Sonntag, feuchte Träume von Baudezernenten in gefärbtem Betonpflaster, eigentlich alle Orte, die irgendwie ausgedacht und gut gemeint aussehen, aber vom Wild nicht angenommen werden, jede Form von viereckiger „Begegnungsfläche“, von „Sozialräumen“ oder gewollter Bedeutungszuweisung an Orte, die das selbst gar nicht sein wollen. Verschwurbelt genug, oder soll ich noch einen nachlegen?

Und wie sieht es mit „PRIMITIV“ aus?

… heißt ja nicht „niedrig“, „unten“ oder „prollig“, sondern lediglich „am Anfang einer Entwicklung stehend“, ist insofern keine pejorative Vokabel, sondern lobend gemeint, denn immerhin findet danach ja noch eine Entwicklung statt.

Was kann die deutsche Sprache leisten? Welche literarischen Vorbilder haben Sie? Rotwelsch?

Französisch und Italienisch sind die schönsten Sprachen der Welt, leider total unpraktisch und umständlich, besonders das Französische. Englisch ist oft sehr schön und von angenehm lässiger Deutlichkeit, aber auch geradezu eklig anzuhören in seiner amerikanischen Version. Deutsch hingegen ist durch die Möglichkeit der Hauptwort-Cluster eine Sprache wie geschaffen für juristische Texte, trotzdem zuweilen auch recht anmutig („Rotkehlchen“), mitunter aber auch hässlich („Brustwarze“). Da sie aber meine Mutter- und Vatersprache ist, hänge ich an ihr. Alle anderen Sprachen höre ich nicht gern, da halte ich es mit den alten Griechen („Barbaren“). Meine Lieblingssprache ist Hochdeutsch, dem Schwinden der Dialekte weine ich keine Träne nach.

Wenn es statt „Frühling“ und „fröhlich“ nur ein einziges Wort gäbe, nämlich „fürL“, welche Konsequenzen hätte das für die Deutschen?

Und wenn es für „Arsch“ und „Gesicht“ nur ein Wort gäbe, wäre dann das „Arschgesicht“ ein Pleonasmus, oder welche bescheuerte Was-wäre-wenn-Frage kann ich mir noch ausdenken?

Wenn bloß „sterben“ transitiv wäre!

Wer hat diesem Fragesteller eigentlich in den Brägen gegöbelt, ist das noch zu fassen?

Und dann biedert sich noch die folgende Frage an: Das Ehepaar Pissinsmaul sitzt auf der Veranda und versucht, ihre jeweiligen Hirne ins Abwasser zu halten. Als eine seltsame Maschine daherkommt und einfach nur drauflos(c)heißen will, sind die beiden aufgesch(m)issen. Hätten Sie eine Empfehlung parat?

Allmählich verabschiede ich mich aus dieser interviewenden Masturbationsanleitung. Nur als kleiner Rat: Protagonisten mit „witzigen“ Namen (Pissinsmaul, bruharhar) zeugen von nicht überwundener Pubertät, was an sich nicht schlimm ist, aber einem Interview nicht gut ansteht.

Wie nennt man das Teilgebiet der Medizin, das sich mit Eingeweiden befasst?

Keine Ahnung, guck doch selber nach!

Der amerikanische Avantgarde-Comedian Neil Hamburger neigt ebenfalls zu Husten- und Räusperausfällen von perverser Epik.

Was zum Teufel ist denn ein „Avantgarde-Comedian“? Kann der Witze erzählen, die niemand versteht?

Die Schrift des Wortes „Testament“ auf der Arschkrampen-CD erinnert stark an die Thrash-Metal-Band gleichen Namens? Zudem neigt Kurt hin und wieder zum Guttural-Growlen. Sind Sie zufällig Metal-Fan?

Nein! Ich lausche Männergesangvereinen und Posaunenchören!

Cool! Ich bin auch voll der Progmetal-Nerd. Glauben Sie, dass Dream Theater die Trennung von Mike Portnoy gut überstanden haben? Und Redemption ergehen sich auch nur noch in Selbstzitaten, oder?

Ich weiß auch schlaue Sachen: „Der Voreilhebel wird am unteren Ende über eine Stange (Lenkerstange) vom Kreuzkopf aus, das obere Ende von der Schieberschubstange bewegt. Dazwischen ist der Voreilhebel mit dem Schieber verbunden. Kombiniert aus den phasenversetzten Bewegungen der Schieberschubstange und der Lenkerstange ergeben sich so Richtung und Hub des Schiebers.“ Na, was ist gemeint?

Wird es eine Arschkrampen-DVD geben, oder muss ich da vorher irgendwas drücken?

Gibt es nicht schon eine? Ich muss selbst mal nachschauen!

Hätten Sie ein paar (deutsche & internationale) Humor-Geheimtipps auf Lager?

Pränki und Schwatten, FSR-Download-Shop.

Darf ich zum Abschluss um einen Spontanaphorismus oder -neologismus bitten?

Spontan sein in einem schriftlich geführten Interview, das setzt dem Ganzen hier die Krone auf: „Kein Geld, keine Witze.“

Stimmt es, dass „Gürgen“ als Kind von Spinat sublimiert wurde?

Nein! („Ein Königreich für ein Asperger-Syndrom“)

Bonusfrage Kellner: Bitte erläutern Sie anhand von Beispielen zwei (in Worten: 2) Ausdrücke Ihrer Wahl aus der folgenden Liste langustischer Fachtermini: DERIVATION, KONVERSION, GESÄUGE.

„Kopp zu, Gesäuge!“

Dieses Interview erschien zuerst in der Novelle #4 – Zentrale für Experimentelles.

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