Ein Sog
Naïd Karimi ist Autor – und Medizinstudent. In seiner Kurzgeschichte „Ein Sog“ beschreibt er für uns wie er seinem ersten Covid-19 – Verdachtspatienten Blut abgenommen hat.
Ich steh auf Station. Ich steh so auf Station rum. Genau genommen steh ich in einem Raum, der “Pflege, rein” heißt. Auf der Arbeitsplatte liegen beklebte Röhrchen. Drei Röhrchen mit drei Klebchen, auf denen der eine gleiche Patientenname steht. Ich habe mir die Maske unters Kinn geschoben und checke, ob ich noch Butterflies, Kleberolle und anderen Stuff in der Kitteltasche habe oder ob ich aufstocken muss. Die Stimmung auf Station ist seltsam gespannt. Sie ist halb sozial und halb so richtig echt physikalisch in Spannung versetzt worden, finde ich. Die Ahnungslosigkeit und die bösen Vorahnungen flirren in der Luft. Sie flirren und sirren und surren in der Luft zwischen uns allen hier.
Ich nehme eines der Röhrchen in die Hand, in denen schon bald Patientenblut gelagert werden und auf seine Auswertung warten wird. Als ich den Patientennamen lese, da fällt mir auf, dass der vom Schluckecho (was ein Wort) unten in der Diagnostik wieder hoch zu uns auf Station geschoben wurde.
Eine der Assistenzärztinnen der “B Nord” betritt “Pflege, rein”. Ihre Augen sind groß und ihr Stirnrunzeln ist auch volltotal riesig. “Der Müller, naja, der hat unten angefangen zu fiebern”. Müller, denk ich. Müller, Müller. Ah, ja die Röhrchen. Das Blut, das ich abnehmen muss. Ich denk an Fieber und an mich am Patient*innenbett and my mind goes straight to COVID-19. Alle Fiebernden haben bei uns jetzt diesen Verdacht.
Fünfzehn Minuten später stehe ich vor einem Zimmer mit der Nummer 7. Meine Augen soll eine Chemie-Unterricht-Plastikbrille schützen. Ich atme durch einen Propeller, der in einem Filter sitzt, der wiederum in eine ansonsten einigermaßen dicht abschließende Maske reingebaut wurde. “Ok”, denke ich. “Ok, das summt, wenn ich atme.” Das denke ich tatsächlich und stehe da mit den noch leeren Röhrchen wie sonst einer in der Gegend rum. “Steht dir”, sagt der Krankenpfleger, der aus Polen kommt, aber Jürgen heißt. Manchmal hat man den Eindruck, dass Krankenhäuser die unwahrscheinlichsten Charaktere zusammenbasteln. Gestalten, wie sie nur hier existieren können. Jürgens Hals ist zutätowiert. Er trägt ne richtig geile Goldkette und er sagt “Steht dir.” — “Danke”, sage ich und ich schau an dem Isokittel herunter, den ich trage. Ich antworte mit einer der generischen Reflexantworten, die auf Krankenhausfluren geboren werden. Wir kichern. Dann streife ich mir die Handschuhe über, hole einmal tief durch die Propellermaske Luft.
Ein Sog. Da entsteht so ein Sog, wenn man einatmet.
Ich öffne die Tür und ich komm rein ins Zimmer 7. Der Müller, der liegt da und der sieht scheiße aus. “Scheiße”, denk ich weil ich den auch noch vor dem Wochenende gesehen habe und da hat der nicht so dagelegen. Normalerweise denkt man bei Fieber an Dies und Das. Infektfocus, Antibiotika, Blutwerte — internistisches Brainstorming, eben. Aber in times like these: COVID-19.
Ich merke, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. Meine Brille beschlägt. Das Schwitzen auf meiner Stirn ist verräterisch, merke ich. Der Patient merkt, dass da was nicht stimmt. Wie es gehe, frage ich und will ich auch wissen. Bescheiden gehe es und Fieber habe er. Das sei mir zu Ohren gekommen und Blut müsse ich ihm abnehmen. Der sieht ja natürlich, dass ich angezogen bin wie ein Space-Metzger. Der ist ja nicht blöd, sondern krank. Ich atme ein und da ist so ein Sog.
Ein Sog noch und ich trete an sein Bett. Ich fang das Brabbeln an. Vorsichtsmaßnahmen seien das, er sei ja im Bilde über das Weltgeschehen. Und ja, ich hab wirklich “Weltgeschehen” gesagt und danach dachte ich gleich “Der Arme, ey. Was der sich für ne Scheiße von mir anhören muss.” Ich trete an ihn heran und ich sehe einen fiebernden Mittvierziger. Keine große Sache. Keine riesengroße Sache, eigentlich. Echt nicht. Eigentlich echt nicht.
Wenn da nicht diese Bilder aus den italienischen Intensivstationen wären. Wir schweigen und ich nehme ihm das Blut ab, von dem die ganze Zeit schon die Rede ist. Ich möchte menschlich und freundlich und alles bleiben, aber ich sag wie es ist: Ich beeile mich. Ich nehme ihm das Blut viel schneller ab, als ich das sonst mache. Ich fühle mich furchtbar. Ungerecht und selbstsüchtig, fühle ich mich. Die Ergebnisse seien dann im Laufe des Tages da. Ich atme und schaue vor dem Verlassen des Raumes nochmal an mir herunter. Ich soll durch verschiedene Hüllen vor etwas geschützt werden, das Lungen in CT-Aufnahmen und im schlimmsten Fall aussehen lässt wie das Innere von Popcorntüten mit Popcorn drin.
Ich atme ein und da ist er wieder, dieser Sog. Und das hier alles nur, weil jemand in China ein Pangolin oder so gegessen hat.
Alle Personen in diesem Text und deren Namen sind frei erfunden.
Bildquellen
- blood-1761832_1920: Pixabay