#einearmlaenge Angst vorm Leben
oder: Halt dich fern vom Hygieneschalter
Ich wollte nichts über die Übergriffe von Köln schreiben, bis ich heute morgen beim Bäcker war.
Ich wollte nichts schreiben, weil ich im Grunde nichts zu sagen habe, nichts bereicherndes, jedenfalls. Weder bin ich eine Frau noch bin ich jemals vergewaltigt worden, noch kenne ich jemanden, dem oder der das passiert ist – nicht, dass ich wüsste, jedenfalls, ich habe noch nie nachgefragt. Ich war nicht dabei, und ich halte mich gerne fern von großen, ideologisierten Debatten voller abstrakter, undefinierter Begriffe und rotiere in meinem eigenen Pragmatismus vor mich hin. Meine Einstellung zu den Übergriffen von Köln, Hamburg und Stuttgart ist ungefähr Folgende: Es ist nicht ok, für niemanden, nirgends, irgendwie gegen Frauen sexuell und gewalttätig übergriffig zu werden, wir haben Gesetze dagegen, der Rechtsstaat kümmert sich drum, wie gut, werden wir sehen müssen, aber er sollte immerhin. Der Rest ist verallgemeinernde Medienfolklore, die nächste Woche auch schon wieder egal ist, weil sie nichts hat, woran sie sich festhalten kann.
Hygieneschalter
Dann war ich, wie gesagt, heute morgen bei dem Bäcker, dort, wo ich morgens immer gerne vorbei gehe und mir noch ein Croissant für den Weg kaufe. Seit neuestem kassieren die Menschen dort hinter dem Schalter nicht mehr. Dafür gibt es dort jetzt eine Maschine. Man wirft Münzen rein, oder schiebt Scheine in den Schlitz, dann bekommt man vom Menschen hinter dem Tresen sein Brot, oder eben Croissant, und die Maschine gibt Wechselgeld aus. Jeder, der schon einmal hinter eine Kasse gestanden hat, weiß, wie praktisch so etwas ist. Geld zählen gehört zu den nervigeren Aufgaben beim Kassieren, vor allem Kleingeld, und es ist eine ständige Fehlerquelle. Gut, wenn es dafür Maschinen gibt. Nur ist das Argument, mit dem diese Maschine den Kunden verkauft wird nicht dieses Argument. Die Maschine heißt „Hygieneschalter“. Sie wird mir nicht mit dem Argument verkauft, dass sie Geld richtig zählt und herausgibt, obwohl sie das auch tut. Sie ist dafür da, damit man sich nicht ansteckt, oder dreckig macht. Mit was? Von wem? Wer weiß. Ist jedenfalls sicherer. Hygienischer.
Rauchmelder
Ich musste, nachdem ich mein Croissant eingesteckt hatte, an zwei Dinge denken. An die Rauchmelder, die unser Vermieter Ende des letzten Jahres bei uns in der Wohnung installieren musste. Und an #einearmlaenge.
Das mit der Armlänge ist komplizierter, ich erkläre erstmal das mit dem Rauchmelder. Mir ist der Nutzen eines Rauchmelders klar: Ich schlafe, es brennt, das Ding piept, ich wache auf, kann mich retten, und bin nicht tot. Ich befürworte das. Trotzdem fühlte ich mich bevormundet, als die Rauchmelder an die Decke geschraubt wurden. Es ist Gesetz, ich hatte keine Wahl. Es war, als würde mir jemand nicht glauben, dass ich für meine eigene Sicherheit sorgen kann. Als würde mir jemand Sicherheit aufzwingen, die ich gar nicht haben will. Mein Recht auf eine freie Entscheidung (auch meine freie Entscheidung, Risiken einzugehen) wurde eingeschränkt, und seitdem hängen die Dinger an der Decke und blinken alle 32 Sekunden, um mich daran zu erinnern. Ähnlich ist es mit dem Aqua-Stopp-Schlauch, den wir an der Waschmaschine haben sollen, damit die Versicherung zahlt, falls sie ausläuft. Ich sehe den grundsätzlichen Sinn ein, ich lasse mir nur nicht gerne etwas aufzwingen.
Armlängen
Grundsätzlich habe ich zwar eine Menge Angst vor allem Möglichem, aber weder die Angst vor Feuern noch die Angst vor Überschwemmung gehört dazu, nach wie vor nicht, obwohl ich, seit wir die Rauchmelder haben, öfter an das denke, was passieren könnte, wenn es brennt, und weil ich immer noch nicht dazu gekommen bin, diesen Schlauch an die Waschmaschine zu schrauben, fürchte ich mich jedes Mal, wenn ich wegfahre davor, in eine überschwemmte Wohnung zurückzukommen. Das ist die Angst davor, ein Opfer zu sein, bevor man überhaupt eines geworden ist, bevor es überhaupt Anzeichen gibt, eines werden zu können. Ja, selbstverständlich gibt es Wohnungsbrände, selbstverständlich können Waschmaschinen Wohnungen überschwemmen (der Klempner hat mir das ja gesagt), selbstverständlich erwischt man sich dabei, dass man „Terrorist!“ denkt, wenn jemand mit Turban neben einem im Flugzeug sitzt, auch, wenn man es besser weiß, selbstverständlich ist es klug, aufzupassen, sich nicht wider besseres Wissen in gefährliche Situationen oder überhaupt Situationen, in denen man nicht sein möchte, zu begeben.
Bei den Tipps zur Sicherheit von Frauen, welche die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf einer Presskonferenz nach den Übergriffen zum Besten gab – und bei der auch das Zitat auftauchte, das die #einearmlaenge-Debatte auslöste – sollte es im Kern genau darum gehen, vermute ich: Einfach um den Ratschlag, die Umgebung zu beobachten, und wenn es brenzlig wird, zu verschwinden. Der Schönheitsfehler an der Geschichte ist dabei natürlich, dass den Opfern der Übergriffe, Vergewaltigungen, die Schuld zugeschoben wird – wer sich nicht an die Ratschläge hält, ist selbst schuld, nicht etwa die Täter. Das ist etwas armselig, aber offenbar auch bei Weitem nicht das einzige, was die Kölner Oberbürgermeistern Henriette Reker auf der Pressekonferenz geraten hat.
Leben
Das Reden darüber, dass etwas schief gehen könnte, schürt die Angst davor – und wer Angst hat, verhält sich anders. Das ist das weit größere Problem, ob es jetzt um Rekers Ratschläge geht oder darum, wie die Übergriffe in den Medien aufbereitet werden – genau, wie es mit Terrorismus ist, oder mit diesen Rauchmeldern, oder dem Hygieneschalter: Dass da Angst vor etwas geschürt wird, wovor Angst nicht im Vorhinein gerechtfertigt ist. Kaum ein Mensch steckt sich mit Keimen von den Händen der Menschen hinter dem Bäckereischalter oder davon, dass diese mit „dreckigem Geld“ herumhantieren an, bevor Menschen Opfer eine Terrorattacke werden, werden sie eher Lottomillionär, die meisten Menschen erleben nie im Leben einen Wohnungsbrand, Übergriffe in der Größe wie die in Köln sind ekelhaft – aber selten. Es lohnt sich, zu beobachten, damit man gar nicht erst hinein gerät. Es lohnt sich, währendessen Angst zu haben, weil Angst dabei hilft, schnell zu verschwinden. Es lohnt sich nicht, im Vorhinein Angst zu haben. Vor allen Dingen nicht, erstmal pauschal Angst vor allem zu haben, und deshalb erstmal alle – oder eine Gruppe von Menschen – auf einer Armlänge Abstand zu halten. Weil eine solche Angst vor allem eine große Einbuße an Lebensqualität bedeutet – genau darum ging es auch, als der Zeichner Giordano vom Charlie Hebdo nach den Anschlägen dazu aufrief, nicht für Paris zu beten, sondern vielmehr Champagner zu trinken, Musik zu hören, zu küssen, fröhlich zu sein. Das ist etwas, das mir tatsächlich wichtig ist – mit allen eigenartigen Ängsten und Fehlern, die ich, wie jeder andere, mit mir rumschleppe. Dass wir – und hier geht es nicht mehr nur um Köln, das ist größer – beim Reden über Anschläge, Übergriffe, Gefahren, ihnen auf eine eigenartig ängstliche Art begegnen. Dass diese Angst sich zunehmend durch viele Lebensbereiche zieht. Das ist etwas, das mir immer wieder Sorgen macht: Dass wir zwischen der Angst vor schlechter Ernährung, Krankheiten und Terrorismus, zwischen Aqua-Stopp-Schläuchen, Rauchmeldern, Überwachungskameras, Hygieneschaltern, absurden Kontrollen vor und während Flügen, zwischen den Armlängen voller Abstand, Misstrauen, der ganzen Angst im Vorhinein vergessen zu leben.
Unser Redakteur Thomas Kaestle hat eine Gegenrede zu diesem Artikel verfasst.
Bildquellen
- cologne-cathedral-179326_1920: PIxabay
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