Falco: Post of all

Gibt es zu Falco noch etwas zu sagen? Absolut. Ein Blick hinter die Vereinnahmung des Künstlers durch die Nostalgieindustrie.

„Man fragt sich was ist dran an ihm
Was könnte es wohl sein
Ist der Wein aus Österreich
Den er uns einschenkt immer rein
Bavarian Hungarian
Happy hippie vegetarian
Was ist das Wiener Blut
Was tut daran uns gut
If I feel for driving crazy
In the middle of the night
I smash the party den ich zahle bar
Dass mein Bentley und mein Penthouse
Jemand stören ist mir nicht klar
Wollt ihr’nen Liedermacher oder einen Star“
Falco,
Tricks auf der LP Wiener Blut, 1987

Falco gilt als langweiliger Mainstreampop aus den Achtzigern. Irgendwo zwischen verzweifeltem Kommerz und schmerzhaftem Kitsch. Sein Erbe ist ausgeschlachtet, der letzte Studiomülleimer ist geleert und veröffentlicht. Film, Dokumentation, Biographie und Musical halten die Verkäufe am Laufen. Gibt es dazu noch etwas von Relevanz zu sagen? Absolut. Der Focus auf den Mainstreamstar Falco verstellt den Blick auf ein ambitioniertes künstlerisches Konzept. Und auf dessen Scheitern. Falcos Kunstverständnis ist nämlich durchaus überraschend. Es versucht Heraklit und David Bowie unter einen Hut zu bringen. Und dringt damit in den Wesenskern von Pop vor.

Verrückter Österreicher

„Ich habe wirklich keine Ahnung, was dieser verrückte Österreicher da gesungen hat, aber wir waren damals alle verrückt nach ihm“, erzählte Rambos Ex-Frau Brigitte Nielsen 1987 in einem Interview, das sie gemeinsam mit Falco anlässlich der Veröffentlichung ihrer grottigen Single Body Next To Body gab (aus dem Gedächtnis zitiert. Teile des Interviews sind noch auf Youtube zu sehen, allerdings sind die Antorten von Brigitte Nielsen heraus geschnitten).
Brigitte Nielsen hatte verstanden, worum es bei Pop nicht geht: Nämlich nicht um das Verstehen. Es geht um das Gefühl. Um das Jetzt. Um das Dabeisein. Und Falco wusste das auch.

Collageur

Johann Hölzel war nur in zweiter Linie Musiker. Hölzel war vor allem Pop-Konsument. Er war Hörer, Leser und Fan. Aus dieser Haltung heraus entwickelte sich sein künstlerisches Konzept: Die Performance von Collagen.
Er dichtete nicht, er fügte Assoziationen, Anspielungen und Zitate zusammen. Das Ganze verdichtete er mit der ihm eigenen Prosodie. Er sang, rappte oder rezitierte diese Collagen zur fertig vorproduzierten Musik. Der Performer „Falco“, dem Hansi Hölzel sein Gesicht lieh, entstand aus dem Zusammenspiel des Interpreten Johann Hölzel und seiner kreativen Zuträger und Unterstützer, den Produzenten und Komponisten, den Kostümdesignern und den Videoproduzenten. Falco sah sich selber als Regisseur der vielen künstlerischen Leistungen, die er in seiner Person zusammenführte. Auf dem Cover des Albums Falco 3 ist vermerkt:

Arranged and Produced by Rob + Ferdi Bolland, Directed by Falco.

Die Collage-Technik umfasste die Musik und die Videoperformance. Sie basierten aber vor allem auf Falcos ausgewöhnlicher Poetik.

The Sound of Musik

Oft sind die Text-Collagen sehr clever (Amadeus, Neo-Nothing, Data de Groove), aber manchmal (wie in Body next to Body) benutzt er sie einfach nur als sinnfreies Pop-Gebrabbel.
Falco nimmt einzelne Schlagwörter und Slogans auf und verdichtet sie zu einer Art Zeitgeist-Esperanto. Sehr gelungen ist ihm das im Text von Data de Groove:

“The MEGA the SCORE
Desto MONO de CHROME
ATMO de FORCE
Is the Atmo at home
It’s got to be the higher the goal
Desto schwerer Beruf – SAY!
The deeper the Soul desto
DATA DE GROOVE“

Auf der Oberfläche geht um Klang und Rhythmus. Es geht nicht um Information oder Narration. Es geht noch nicht mal um Metaphorik. Falco spinnt popdiskursive Gewebe, die Melodie und Rhythmus tragen sollen.
Er spielt mit popkulturellen Verweisen. „Kommissar“ und „Amadeus“ sind Popklischees. Falco springt auf jeden „Zeitgeistexpress“ auf (Zitat aus Les Neuveaux Riches: „Zwischen Zeitgeist und Success, haben wir einen Zug, den Zeitgeistexpress“), mischt Hochdeutsch und Wiener Dialekt und streut englische, französische und italienische Phrasen in seine Texte. Englisch, die Muttersprache des Pop, bietet ihm den Zugriff auf die gesamte Popgeschichte (etwa in The Sound of Musik). Als Anfang der Achtziger Italopop die Hitparaden stürmte, sang Falco in Junge Römer italienisch. Er öffnet seinen Hörern dutzende popkultureller Assoziationsräume. Der Sprachwissenschaftler Peter Ernst nennt Falcos Stil „makkaronisch“. Der Dichter Christian Ide Hintze dagegen spricht von „kreolischer Poesie“. Er zieht Verbindungslinien zu mehrsprachigen PoetInnen wie Anne Tardos, H.C. Artmann, Ernst Eandl oder Édouard Glissant. Und außerdem natürlich zu Mozart. Er zitiert als Beleg einen in österreichischem Dialekt, Französisch und Italienisch verfassten Brief des Komponisten. Und zuletzt verbindet er Falco mit dem in den sozialen Medien üblich gewordenen Sprachmix. (Christian Ide Hintze: Kreolische Poesie. In: Christian Ide Hintze: Falco‘s many languages. St. Pölten/Salzburg: 2010)
Die Sprachwissenschaftlerin Christiane M. Pabst meint, „…daß falco sehr stark intertextuell arbeitete und seine lyrics daher anspielungen auf liedtexte von interpreten vor allem der fünfziger und sechziger jahre aufweisen. diese beiden aspekte machen seine liedtexte besonders interessant und einzigartig“ (Christiane M. Pabst: Ein Mann von Welt in der Sprache. In: Christian Ide Hintze (Hrsg).: Falco‘s many languages. St. Pölten/Salzburg: 2010). Und sie behauptet: „falco ist wohl der einzige austropopper, von dessen lyrics man behaupten kann, sie seien poetische texte. h. c. artmann, einer der grandseigneurs der österreichischen literatur, meinte: „falco ist ein dichter.“
Vermutlich ist es gerade dieses assoziationsreiche und rhythmusbetonte Sprach-Misch-Masch, das ihm seinen internationalen Erfolg ermöglichte. „Es war in Wien, war in Vienna wo er alles tat“, heißt es in einer Zeile aus Amadeus. Oder „Es war um 1780 und es war in Wien / no Plastic Money anymore, die Banken gegen ihn“. Sowohl mit den deutschen Teilen des Textes, wie auch mit den englischen, kreiert er eine Art semantisch-assoziativen Stichwortappeal. Man weiß, worum es geht, obwohl das die nackten, schlichten Worte und Sätze nicht hergeben.

In The Sound of Musik exerziert Falco die popkulturellen Verweise fast schon lexikalisch durch. Von den tanzenden Lipizzanern über Lennon/McCartney und James Brown bis Otis Redding. Schon der Titel ist ein Verweis auf The Sound of Music, der berühmte Film über die aus Österreich in die USA ausgewanderte und musizierende Trapp-Familie. Programmatisch verwendet Falco das deutsche Wort „Musik“, statt des englischen „Music“. Im Lied wird das Wort auch konsequent deutsch ausgesprochen.

„Hey, das waren Zeiten when Hard Rock was Hard Rock
Musik was as tough as a nail
Und unsere Jungs, die waren nicht lazy they got out and made
It crazy but no one left to tell the jail
Der Bube fragt den König
Hey babe do you wanna dance?
Sie machen History dann sie sind scharf wie nie
The first pre-elected Rock n Roll band
The Sound of Musik
Do the bang-bang-boogie, say up jump the boogie
Do the rhythm on the boogie the beat…”

Falco verweist sogar auf die berühmten ersten Zeilen aus dem Hiphop-Klassiker „Rappers Delight“ („Do the bang-bang…“).
Ein englischsprachiger Hörer bekommt hier ebenso seine Brocken hingestreut, wie ein deutschsprachiger. Keiner von beiden wird so genau wissen, was das alles soll, aber beide haben bestimmte popkulturelle Assoziationen aufgenommen. Und damit sind sie in das popdiskursive Gewebe von Falco eingesponnen.
Was Falco da in den 80er Jahren gemacht hat, zeugt von einem intuitiven Verständnis für das Wesen des Pop. Vervollkommnet hat Falco diese Kunst mit seinen Videos. Mal gelungener (Amadeus, Jeanny) mal weniger gelungen (The Sound of Musik, Titanic).
Ein anderes Beispiel: Der Kommissar. Kann sein, dass die Österreicher den Text von Falcos erstem Hit inhaltlich komplett verstanden haben. Verstanden in dem Sinne, dass sie die Wörter und Sätze verstehen konnten. Aber wer verstand schon die Anspielung auf seinen indizierten Minihit Ganz Wien in der Zeile: „Nichts desto trotz / ich bin es schon gewohnt / Im TV-Funk da läuft es nicht…“. Die Österreicher verstanden „Dra di net um, oh, oh oh…“ („Dreh dich nicht um“). Die bundesdeutsche Jugend verstand „Dadideldum, oh oh oh…“ Dadideldum. Mehr war nicht nötig.

Singularität I

„Das Beste an bundesdeutscher Popmusik war ihre Sekundarität: ihr Bezugnehmen, Imitieren, Fixiertsein auf anglo-amerikanische Vorbilder“, schreibt Diedrich Diederichsen. Der deutsche Rock’n Roll, der deutsche Beat, der deutsche Rock, der deutsche Punk – sie seien immer einen Schritt hinter den Originalen. Beim Bemühen um Eigenständigkeit, sei die deutsche Popkultur gescheitert (Zitiert nach Till Huber: Blumfeld und die Hamburger Schule. Sekundarität – Intertextualität – Diskurspop. Göttingen: 2016. (S.89)).
Falcos künstlerisches Konzept erhob die Sekundarität zum Primat seiner Herangehensweise an seine Collagen. Das Bewusstsein dieser Sekundarität, der direkte und offensichtliche Gebrauch der primären Quellen und ihre Neukontextualisierung ist die singuläre Qualität von Falcos Kunst.
Und genau das ist auch das Problem. Falco durchdrang die Collagetechnik nicht. Während er auf der Textebene ihr Potential auf großartige Weise ausschöpfte, gelang ihm das musikalisch nicht. Dazu war er zu sehr gefangen in seiner Zeit. Was er tat, war analoges Sampling. Kein digitales, wie die HipHopper ab Mitte der Achtziger. Falco war kein Rapper. Er machte keinen Hiphop. Eigentlich war er Rockmusiker mit einer Affinität für New Wave (Helden von Heut). Mitte der Achtziger funktionierte seine Mischung aus Sprechgesang und Popmusik noch als massenwirksame Kuriosität. Aber durch den Ende der Achtziger aufkommenden Eurodance und Hiphop aus den USA klang Falco plötzlich antiquiert. Er wirkte wie ein von seinen Wurzeln eingeholter Plagiateur. Falco produzierte Achtzigerjahre-Mainstreampop, dessen Alleinstellungsmerkmal, sein Sprechgesang, sich abgenutzt hatte. Im Umfeld der Neunziger Jahre, zwischen Britpop und Techno, war dafür kein Markt mehr vorhanden.

Post of All

„Ich weiß nicht, was ich machen soll – die Leute erwarten von mir immer den Falco, und ich würde doch so gerne ganz andere Sachen machen.“ Das hat Falco laut seinem Tour-Band-Chef Thomas Rabitsch im Herbst 1988 gesagt. Armer Hansi Hölzel.
Der Titel Neo Nothing (Post of all) auf Data de Groove beschreibt das poetische und künstlerische Programm Falcos.

„Don’t you know
It’s the „NOTHING“ I won’t let go
The „NEO“ is a sample of your soul
Wir überholen uns längst wieder
Sind „POST OF ALL““

Falco packt Heraklit in postmoderne Terminologie. (Welcher Popstar außer Falco hat das schon mal versucht?) Falcos Heraklit-Interpretation könnte wie folgt lauten: NICHTS steht still, alles wandelt sich ständig und ist im Moment seiner Gegenwart auch schon wieder vorbei.
Im Song wird Heraklit im Original zitiert. Das Zitat befasst sich mit der ständigen Verwandlung und Allgegenwart des Göttlichen:
„Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Überfluss und Hunger. Er wandelt sich aber wie ›eine Substanz‹, die, wenn sie mit Duftstoffen vermengt wird, nach dem jeweiligen Duft benannt wird.“
Gott vereint Gegensätze. Er kann Tag sein, aber auch Nacht. Er kann Krieg sein, aber auch Frieden. Das gelingt, laut Heraklit auch der Kunst. Die Kunst bringt also in einer sich ständig wandelnden Welt das göttliche zum Vorschein.
Ob Falco Heraklit richtig verstanden hat, das steht auf einem anderen Blatt. Aber Texte falsch zu verstehen und zu gebrauchen ist ein kreativer Prozess (Harold Bloom: Eine Topographie des Fehllesens. Frankfurt am Main: 1997), der ins Herzen des Pop zielt. Neo Nothing ist Falcos künstlerisches Manifest, sein „modisches Weltbild“, sein „herrliches Weltbild“ (Zitat aus „Helden von heut“).
„Populärkultur“, schreibt Jan-Niklas Jäger, „arbeitet mit Signalen, die zur Rezeption freigegeben werden. … Was konstruiert wird, kann auch wieder dekonstruiert werden, Bedeutungen umgelenkt, Zuschreibungen verschoben.“ (Jan-Niklas Jäger: Factually. Pet Shop Boys in Theorie und Praxis. Mainz: 2019. (S.15)).
So wäre er gern gewesen. Immer derselbe und immer ganz anders. Der junge Hansi Hölzel war ein großer Fan von David Bowie. „Heroes von David Bowie lief“, erinnert sich Thomas Rabitsch, „und er sagte immer: „Das ist es!““

Hölzel stellte sich seine Karriere als Falco ähnlich vor, wie die seines Vorbilds. Bowie hat sich ja im Laufe seiner Laufbahn immer wieder verwandelt. Von Ziggy Stardust zu Aladin Sane, von Aladin Sane in die Diamond Dogs und von den Diamond Dogs in den Thin White Duke. Als Thin White Duke trug Bowie zurückgegelte Haare und schicke Anzüge. Vor allem kokettierte er mit seinem Drogenkonsum.
Als Falco seine Karriere begann, gab er eine Variante des Thin White Duke: Den Kommissar. Eine Figur, die auf den Film-Noir anspielte, insbesondere natürlich auf Der dritte Mann. Entsprechend hieß Falcos erstes Album Einzelhaft. Auf dem Cover sitzt er in einer vergitterten Gefängniszelle.
Für sein zweites Album verwandelte er sich, wieder auf den Spuren Bowies, in einen durchgestylten, Frack tragenden Gigolo. Eng angelehnt an die von David Bowie in dem Film Schöner Gigolo, armer Gigolo verkörperte Figur des Leutnant Paul Ambrosius von Przygodski. Allerdings inszenierte Falco sich in einem subkulturellen Kontext, als eine Art Edelpunk. Das Album hieß Junge Römer. Da hallte entfernt das Echo von Bowies Album Young Americans nach.
Dann kam Amadeus. Falco, der Wiener Popstar, sprang auf die Erfolgswelle des Milos-Forman-Films „Amadeus“ auf. Besser hätte es nicht passen können. Im Video zu dem Song wird einerseits der Gigolo-Falco mit einem Dreißigerjahre-Mikrophon vor barockem Publikum gezeigt, andererseits ein Punk-Amadeus unter Rockern. Auch die dritte Verwandlung war gelungen.
Für sein Album Emotional wurde die Verwandlung etwas diffus. Im Video zur ersten Single verwandelte er sich in den Bayernkönig Ludwig II, der von Rockern und Punkern begleitet The Sound of Musik rappt. Das Ganze wirkt wie ein ziemlich unkreativer Versuch, das Amadeus-Video zu toppen. Die zweite Single war Coming Home, Teil zwei der unvollendeten Jeanny-Trilogie. Im Video für das schöne, aber ziemlich nichtssagende Lied, sah Falco aus wie Hans-Albers in Wasser für Canitoga. Keine durchschlagende Idee. Der Gipfel war allerdings das Video zur erfolglosen Single Emotional, in dem Falco die Leuchtbuchstabenoptik von Elvis 1968er Comeback-Fernsehshow kopierte. 1986 war ein gutes Jahr für Falco. Aber es zeigten sich bereits erste Risse.

Die Jahre 87 und 88 laufen für Falco nicht gut. Im Herbst 1987 hatte er zusammen mit dem Star-Produzenten Giorgio Moroder die Single Body next to Body produziert. Für beide Stars ein kreativer Bankrott. Falco wollte sich als Rockstar inszenieren. Moroder wollte einen Stöhnhit für das musikalisch gänzlich unbegabte Starlett Brigitte Nielsen. Sie sollte eine weiße Donna Summer werden. Falcos Song-Text ist lieblos zusammen geschustert aus seinem Song Hoch wie nie, dem von ihm schon mehrfach verbratenen Rappers Delight-Text, sowie ein, zwei neuen Versen. Das Mad-Max-Video ist sagenhaft peinlich. Die Single war mäßig erfolgreich.
Aber Falco will eine Veränderung. Er will nicht mehr der Kommissar oder Amadeus sein. Aber er will Erfolg. Er braucht wieder einen durchschlagenden Imagewechsel. Ihm selber fehlen die Ideen. Und seinen Zulieferern leider auch.
Der Kommissar war im Grunde ein Zufallsprodukt gewesen. Der Produzent Robert Ponger ließ Falco zu einem übrig gebliebenen Track des Bluessängers Reinhold Bilgeri einen Text schreiben und hatte die Idee, dass er diesen Rappen sollte. Eigentlich sollte der Song auf die Rückseite von Falcos erster Single Ganz Wien.
Amadeus war eine Idee der niederländischen Produzenten Bolland&Bolland, die den Song fertig produziert vorliegen hatten. Falco musste nur noch den Text schreiben und im Studio rappen. Zuerst fand er den Song bescheuert. Und auch die Ideen der Videoproduzenten Rosacher und Dolezal für das Video gefielen ihm nicht. Laut seinem damaligen Manager Horst Bork hatte Falco noch bei der Aufnahme gesagt: „Ich mache das nur unter Protest!“
Falco brauchte seine ganze Karriere über kreative Zuträger. Zuerst war das der Produzent Robert Ponger, der ihm die Songs schrieb und arrangierte, dann waren es die Bolland-Brüder.
Moroder war ein interessanter Schritt gewesen, auch wenn die Zusammenarbeit nicht gelungen war. Für das nächste Album hätte es wieder einer mutigen Entscheidung bedurft. Brian Eno? Run DMC? Eine Zusammenarbeit mi den Toten Hosen oder den Ärzten? Eine Zusammenarbeit mit Kraftwerk? Oder Africa Bambaataa? Was hätte man sich nicht alles vorstellen können? Er war ein internationaler Superstar! Alle Wege standen ihm offen! Aber Falco entschied sich für das Produzententeam Mende/deRouge. Günter Mende und Candy de Rouge hatten in den 80ern enormen Erfolg als Hitlieferanten für Jennifer Rush und Bonnie Bianco. Eine mutlose Entscheidung.
Falcos fünftes Album Aya, das letztlich als Wiener Blut veröffentlicht wurde, ist der Punkt, an dem sein künstlerisches Konzept endgültig zusammenbricht. Im März 1988 war das Album mit etwa neun Songs fertig. Der Name leitete sich aus der geplanten Single Sand am Himalaya ab. Mende/deRouge hatten Falco mit dem für sie typischem Material beliefert. Falco wollte weniger rappen und mehr singen.
Sand am Himalaya ist ein untypischer Falco-Song. Fast komplett deutsch, ohne Rap und mit merkwürdig schlageresker Melodie und Instrumentierung. Fast ein bisschen wie das kabarettartige Hinter uns die Sintflut aus Falcos erster Platte. Und mit einer deutlich hervorgehobenen melodischen Anleihe aus David Bowies Song Sound and Vision. Der Text zeigt Falco auf der Höhe seiner Dichter-Kunst. Mit Verweisen auf Freud, Wilhelm Busch und auch: Falco.

Einerseits hatte Falco einen ernsthaften künstlerischen Anspruch, andererseits schielte er auf leicht verdaulichen und leicht verkäuflichen Pop. Das ist nicht verwerflich. Das ist ein Konzept, das beispielsweise auch die Pet Shop Boys verfolgen.
Das künstlerische Versagen des Directors Falcos besteht darin, dass er mit schlagerstarhaftem Opportunismus auf die Verkaufszahlen seiner Tonträger geschielt hat. Er wollte der Größte sein. Und zwar in Verkaufszahlen gemessen. „Wollt ihr einen Liedermacher oder einen Star?“, fragt er in seinem Song Tricks.
Aya wurde verworfen. Das, glaubten Falco und seine Plattenfirma, sei nicht der Falco, den das Publikum hören wolle. Falco kehrte zu Bolland&Bolland zurück und produzierte in Windeseile das Album Wiener Blut. Die mit den Bolland-Brüdern produzierten Songs gehören zu den Besten, die Falco gemacht hat. Die Mende/deRouge-Songs kontrastieren sie auf interessante Weise. Ähnlich wie Falco 3 ist die Platte ein wilder und konzeptloser Flickenteppich. Anders als bei Falco 3 fehlt der Amadeus-Überbau. Es wird nicht ganz klar, wer Falco denn diesmal sein will.
Der Song Wiener Blut ist großartig und versucht an Der Kommissar anzuknüpfen, bleibt dafür aber zu sehr im Ungefähren.
Die Platte wird ein mäßiger Erfolg.

1990 kommt Data de Groove. Dafür kehrt Falco zu Robert Ponger zurück. Die Musik auf der Platte ist ambitioniert. Expocityvisions oder Charisma Kommando sind filigrane Dancefloor-Gebilde am Puls der damaligen Zeit. Falcos enigmatische Texte ergänzen die Musik perfekt. Trotzdem: Falco wirkt 1990 wie ein Dinosaurier der Neuen Deutschen Welle. Auch dieser Platte fehlt eine neue Persona. Sie wird zum kommerziellen Tiefpunkt.
1992 kehrt Falco mit Nachtflug zurück. Inklusive einer an der Grenze zur Lachhaftigkeit gestalteten neuen Persona. Auf dem Cover gibt er einen ziemlich flügellahmen Mephisto. Aber dieser Persona fehlt es an den vielseitigen Popbezügen des Kommissars oder dem Trittbrett-Effekt von Amadeus. Sie strahlt nicht.
Für die Produktion hat Falco wieder die Bolland-Brüder engagiert. Sie produzieren ihm ein perfektes Achtziger-Jahre-Album, das mit Neunziger Beates unterlegt ist. Motto: Keine Experimente. Die Platte ist in Österreich ein großer Erfolg. In Deutschland nicht so sehr. International wird sie kaum wahrgenommen.
Danach gibt Falco sein Bowie-Heraklit-Projekt auf. Wenn man seinen künstlerischen Niedergang in einem traurigen Ereignis zusammenfassen will: Er hat einen Gastauftritt in Ein Schloss am Wörthersee, dem RTL-Friedhof für abgewrackte Schlagerstars. Gut, dass es damals das Dschungelcamp noch nicht gab.
Mit Mutter, der Mann mit dem Koks ist da und Naked versucht er sich 1996 halbherzig und mäßig erfolgreich an Technobeats. Als Komponist firmiert er bei diesen Tracks als „White Duke“.

Die Platte Out of the Dark hätte wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal ereilt wie Nachtflug, wäre Johann Hölzel nicht tödlich verunglückt. Tragische Stars sind für die Musikindustrie immer ein Fest. So auch Falco. Und so ist die letzte Persona Falcos die, eines späten James Dean.
Wie heißt es so schön und treffend in Paint a vulgar Picture von den Smiths: „At the record company meeting / On their hands – a dead star / And oh, the plans they weave / And oh, the sickening greed // At the record company meeting / On their hands – a dead star / The sycophantic slags they say : / „I knew him first, and I knew him well“ // Re-issue ! Re-package ! Re-package ! / Re-evaluate the songs / And its too late to tell him / How great he really was.”

Pop II und Pop III

In den Achtziger Jahren beginnt mit Pop II eine neue Phase der Popmusik. Der Mainstream vereinnahmt den Underground. Falco ist dafür ein Musterbeispiel. Mehrfach präsentiert er sich als Edelpunk-Gigolo unter Rockern und Punkern und kassiert dadurch deren subkulturelles Kapital ein. Der zweite subkulturelle Kontext, der mit Falco ins Rampenlicht rückt, ist Rap-Musik. Eine Musik aus den Ghettos der USA, in Europa fast unbekannt. Pop ist ein transkultureller und integrativer Prozess. „I wanna be me“ (Sex Pistols) wird zur unsichtbaren Religion der kapitalistischen Gesellschaften. Ulrich Beck nennt diesen Prozess „Individualisierung“.
Die Individualisierung führt direkt zu Pop III. Stars sind jetzt Marken. Sie werden zu ikonisch-mythischen Helden. Sie sind das Gesicht für ein Produkt, an dem unendlich viele andere beteiligt waren. Alte Aufnahmen werden restauriert und heutigen Hörgewohnheiten angepasst. Hitlisten hatten schon immer einen Wettkampfcharakter, aber Castingshows betonen jetzt nicht mehr nur den Wettkampfcharakter, sondern auch das artifizielle an Popmusik. Die Castingshow-Teilnehmer können Frank Sinatra singen, aber auch rappen wie Falco oder schreien wie Axel Rose. Pop wird zum Repertoire. In den Sechzigern und Siebzigern (Pop I) galt noch das Paradigama der „Authentizität“. Jetzt löst sich der hinter dem Star stehende Mensch in einen Stil auf. Beatles-Tribute Bands, Queen Bands, Pink Floyd Shows und AC/DC-Epigonen füllen die Hallen und spielen die Songs noch authentischer, als die „Originale“ das je selbst getan haben. Man „geht“ nicht mehr zum Konzert, man „erlebt“ es. Alte Aufnahmen werden digital restauriert und heutigen Hörgewohnheiten angepasst. Alte Alben in Jubiläumseditionen herausgebracht.
Auch Falco ist in Pop III angekommen. Inzwischen sind alle Studiomülleimer geleert und jeder Tonbandschnipsel veröffentlicht, den Falco hinterlassen hat. Einzelhaft und Falco 3 gibt es in aufwendig restaurierten Fassungen. Sein Leben wurde unter dem Titel Verdammt, wir leben noch im Jahr 2008 als Drama verfilmt.

Peter Lanz und Ex-Manager Horst Bork haben erfolgreiche Biographien über Falco veröffentlicht. Die Videoregisseure Dolezal und Rossacher eine Dokumentation. Inhaltlich immer das gleiche Muster: Der geniale, aber leidende Künstler, vom Publikum verkannt, von den Freunden verlassen und von den Frauen verraten, zerbricht an seiner Genialität. Falco – das Musical bringt im Grunde die Filmgeschichte auf die Bühne. Oder wie es in der Werbung heißt: „Das erfolgreichste Musical über das innerlich zerrissene Musikgenie!“ Das Musical Falco meets Amadeus erzählt eine fiktive Geschichte über Mozart und Falco. Bizarr aber erfolgreich war zuletzt im Jahr 2016 die Bühnenshow Falco meets Queen – a Concert in Heaven. Falco funktioniert also auch prächtig ohne Johann Hölzel.
Johann Hölzel ist tot. Aber Falco lebt. In seinem Mythos „innerlich zerrissenes Musikgenie“. „Im Pop-Mythos ist ununterscheidbar, ob es sich um historische Personen oder erfundene Figuren handelt. Die historischen Abstände zwischen ihnen werden in der flachen Vergangenheit des popkulturellen Gedächtnisses, in der alles Vergangene ähnlich weit zurückliegt und frei miteinander kombinierbar ist, unscharf.“ (Nils Penke / Matthias Schaffrick: Populäre Kulturen. Hamburg: 2018. (S.149)).

Singularität II

Popmusik bezieht ihre Aura nicht aus einem einzigartigen Original. Sie bezieht ihre Aura gerade daraus, ein Massenprodukt zu sein. Musik hatte in archaischen Gesellschaften die Funktion ritueller Gemeinschaftsstiftung. Jeder kannte die Musik und die Rhythmen. Das gemeinsame dionysische Erlebnis transzendierte die Gemeinschaft. Schon die Notenschrift und später die Tonaufnahmen haben aus Musik ein Massenprodukt gemacht. Man könnte das als typisch kapitalistischen Entfremdungsprozess beschreiben. Wir machen die Musik nicht mehr gemeinsam, wir kaufen für uns gemachte Musik.
Aber das ist zu einseitig. Serielle Produkte bekommen ihre Aura dadurch, dass sie ein Erfolg sind. Oder später besonders rar. Der Konsument hat das Gefühl, etwas zu tun, was alle tun. Oder zumindest etwas kaufen zu können, was auch die kaufen, zu denen er gehören will. Der Musikkonsument entscheidet sich für die Mitgliedschaft in einer imaginierten Gemeinschaft.
Mark Fisher hat Tonaufnahmen als technische Gespenster bezeichnet. Geister sind die Anwesenheit des Abwesenden. Menschen, die ganz wo anders sind, oder schon tot, können ihre Stimmen an uns richten. Stefan Greenblatt bezeichnet das als Zirkulation sozialer Energie.
Bei der Popkultur sind es Listen, die den Werken ihre Aura, ihre soziale Energie verleihen. „Bei Listen handelt es sich schließlich um populäre Paradigmen, weil das Wissen der Populärkultur in Listen organisiert und geordnet ist“, heißt es bei Penke und Schaffrick. „Charts, Bestsellerlisten, Rankings (Ranglisten) und Ratings geben Auskunft darüber und bestimmen, was populär ist und was zunächst nicht populär wird, also ohne größere Beachtung bleibt.“ (Nils Penke / Matthias Schaffrick: Populäre Kulturen. Hamburg: 2018. (S. 158)).
Das Projekt Falco ist eine absolute Singularität in den relevanten Listen der Popkultur. Er ist der einzige Künstler, der mit einem deutschsprachigen Lied sowohl in den USA, wie auch in Großbritannien einen Nummer 1 Hit geschafft hat. Oft wird er als einziger deutschsprachiger Star von Weltformat bezeichnet.
Johann Hölzel ist seine Kunstfigur Falco nicht mehr losgeworden. Stattdessen hat seine Kunstfigur ihn in einen ihren Mythos eingebettet. Vielleicht ist er ist das Nichts im Post of All? Der Tote hat es geschafft, seine Stimme für die Lebenden hörbar zu machen. Ob sie uns noch etwas von Relevanz zu sagen hat?
Der Versuch des Wiener Lyrikers Christian Ida Hintze von der Schule für Dichtung in Wien, Falco einer ernsthafteren Betrachtung zu unterziehen ist versandet. (Christian Ide Hintze (Hrsg).: Falco‘s many languages. St. Pölten/Salzburg: 2010.). Die Nostalgieindustrie hat Falco fast komplett vereinnahmt.
Zwar wird Falco oft als Vorläufer des deutschen Hiphop bezeichnet. Aber mit dieser Szene hatte er nichts zu schaffen. Er ist eher der geistige Großvater von Bands wie Bilderbuch oder Wanda, die Arroganz mit Dekadenz paaren (Bilderbuch: „Komm vorbei in meinem Bungalow / By the rivers of cashflow“).
Von Falco wird bleiben, dass es vorher keinen wie ihn gab, und nachher auch nicht.