Fehlerhafte Freaks und liebenswerte Loser
Eine Zeit lang war es still um den Münchener Schriftsteller Stefan Wimmer, jetzt ist er zurück: Sein neuer Roman heißt Die 12 Leidensstationen nach Pasing. Der ist eine unterhaltsame und würdige Hommage an die Pubertät, findet Martin Spieß.
Es ist der Sommer 1985 und unglaublich heiß. Die Freunde Roderick, Meindorrf, Deibel und der Ich-Erzähler Stefan/Stevie sind 14 Jahre alt und eigentlich nur an Mädchen interessiert. Aber der eine hat unreine Haut, der andere ist ein bisschen überwichtig und in der Schule stehen sie alle nicht sonderlich gut da. Aber sie haben ja sich, einen (nicht ganz) eingeschworenen Bund heranwachsender Männer.
Kaum, dass die letzte Stunde aus ist, schwingen sie sich auf die Räder und fahren in den Pasinger Stadtpark zu Hanni, die dort mit ihrem Mann Roman einen Kiosk betreibt, in dem sie sich mit (Weiß-) Bier versorgen. Dann trinken und rauchen sie und versuchen zu eruieren, wie und wo sie Mädchen kennenlernen könnten. Unnötig zu erwähnen: Es klappt nicht. Und das schlägt aufs Gemüt.
Lochlippe und die Prolls vom Bahnhof
Ein bisschen wie in Nick Hornbys High Fidelity ist dabei nicht ganz klar, was zuerst da war: haben die Jungs ein geringes Selbstbewusstsein, weil mit Mädchen noch nichts lief – oder lief noch nichts mit Mädchen, weil sie ein geringes Selbstbewusstsein haben?
Aber alles hat ein Ende, und so lernt der Ich-Erzähler Bonny kennen, die er anfangs, ehe er den Mut fasst, sie anzusprechen, „Baby Love“ nennt, weil sie Ähnlichkeit mit der Sängerin der Rock Steady Crew hat. Wenn da nur nicht Lochlippe, der Päderast, und die Prolls vom Pasinger Bahnhof wären, die wahllos Leute zusammenschlagen – und die, wie Stevie erfahren muss, eine Verbindung zu Bonny haben …
Selbstironische Antihelden
Dass Stefan Wimmer schreiben kann, ist spätestens seit seinem fantastischen Roman Der König von Mexiko (2008) klar. Und er hat es seitdem nicht verlernt, im Gegenteil: Mit selbstironischen Sätzen lässt er seine pubertierenden Antihelden durch die Handlung stolpern und Niederlagen einstecken, aber dennoch weitermachen. Kaum eine Anekdote lässt sie gut wegkommen, aber so sind Wimmers Protagonisten eigentlich schon immer: keine leuchtenden Lichtgestalten, sondern fehlerhafte Freaks und liebenswerte Loser, die sich irgendwie durchzuschlagen versuchen – und das manchmal sogar schaffen. Auch wenn sie das sackschwere Kreuz der Pubertät zu schleppen haben. Doch selbst wenn sie straucheln, bleiben sie sich treu. Wiederum unnötig zu erwähnen: Die 12 Leidensstationen nach Pasing ist ein starkes Buch von einem nicht minder starken Autor.
Stefan Wimmer: Die 12 Leidensstationen nach Pasing
Heyne, 2020
256 Seiten, 18,00 €
ISBN: 978-3-453-27284-2
Bildquellen
- Wimmer_Leidensstationen: Buchcover, Pressebild