Film Franchises: Kalkulierte Langeweile
Es gab schon immer Fortsetzungen, doch erst mit der Welle an Franchises seit dem Beginn des Marvel Cinematic Universe ist das Kino ein künstlerisches Armutszeugnis.
Kino ist öde! Gefühlt gibt es nur noch Franchises mit ihren unzähligen Sequels, Prequels und Reboots – also all die Fortsetzungen und Neuauflagen bekannter Titel und Filmreihen. Insbesondere das Superheldengenre mit seinem filmübergreifenden Cinematic Universe überschwemmt die Kinos weltweit mit den immer gleichen Schema-F-Streifen, die letztlich langweilig und – Ja! – schlecht sind.
Aber ist diese Kritik an der Masse von Filmfranchises und deren mangelnder Qualität wirklich mehr als nur ein Gefühl? Zumindest die Frage nach der Anzahl solcher Filme lässt sich recht schnell beantworten. Hierfür braucht man nur einen Blick in die heimischen Kino-Jahrescharts zu werfen, um festzustellen, dass Fortsetzungen tatsächlich zahlreicher geworden sind.
Immer mehr Fortsetzungen
Ganze sieben der 10 erfolgreichsten Filme des Jahres 2018 in Deutschland waren Fortsetzungen, die allesamt Teil bekannter Marken und Serien sind. Dazu kommen ein Remake (Der Grinch), eine Literaturverfilmung (Der Junge muss an die frische Luft) sowie ein Biopic (Bohemian Rhapsody)
Vor zehn Jahren fanden sich vier Fortsetzungen in den Top 10, von denen drei einem Franchise angehörten. 1998 hingegen fand sich nicht eine einzige Fortsetzung oder ein sonstiger Franchise-Titel unter den zehn erfolgreichsten Kinofilmen in Deutschland.
Bis heute bekannte Marken
Abgesehen von Star Wars, das von vornherein auf zweimal drei Filme ausgelegt war (1977-83 sowie 1999-2005), hangelten sich die frühen Filmreihen erzählerisch und in der Rechtfertigung einer Fortsetzung von Film zu Film und von kommerziellem Erfolg zu kommerziellem Erfolg.
Das galt auch für nachfolgende Trilogien wie Indiana Jones (1981-89), Rambo (1982-88) sowie, etwas später, Jurassic Park (1993-2001). Von Rocky wurden innerhalb von 14 Jahren fünf Filme veröffentlicht (1976-90). Terminator kam auf zwei Filme (1984 und 1991).
Altbewährtes aufwärmen
Aber trotz kommerzieller Erfolge schienen sich die Filmstudios aber mit einer begrenzten Anzahl an Teilen zufriedenzugeben. Zudem fällt auf, dass ein Großteil der aufgezählten Filmreihen Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre ihren Abschluss fanden.
Mittlerweile wurden sie fast alle fortgesetzt – und das teilweise Jahrzehnte nach dem letzten Teil: So folgten der vierte Teil zu Indiana Jones und Rambo 19 bzw. 20 Jahre später. Auf die ersten beiden Terminator-Filme folgten seit 2003 drei weitere Teile. Planet der Affen wird seit 2011, Jurassic Park, Rocky und Star Wars werden seit 2015 fortgesetzt. Weitere Fortsetzungen sind zu allen genannten Titeln in Planung.
Superhelden noch und nöcher
Zu den Fortsetzungen jahrzehntealter Filmreihen gesellt sich zudem noch die Dominanz des Superheldengenres mit seinen filmischen Universen, was 2008 mit Marvels Iron Man eingeläutet wurde.
Auch hier gilt, dass es natürlich schon früher Superheldenfilme gab, wie zum Beispiel Superman mit Christopher Reeve (1978-87) oder die Batman-Filme von Tim Burton und Joel Schumacher (1989-97). Aber mit Iron Man wurde – nicht nur für das Superheldengenre – eine neue Erzählweise und Marketingstrategie eingeführt: Seitdem werden die einzelnen Filme handlungsübergreifend verknüpft (z.B. Nick Fury will ein Team zusammenstellen oder die Helden suchen sogenannte Infinity-Steine) und diese losen Handlungsfäden sowie die Hauptcharaktere werden dann in einem Crossover zusammengeführt (Avengers).
Bis dahin war nicht daran zu denken, dass zum Beispiel Tobey Maguires Spiderman (2002-07) und Wesley Snipes’ Blade (1998-2004) in einem gemeinsamen Film auftreten würden, obwohl sie beide zu Marvel gehören. Jeder Held agierte in seiner eigenen kleinen Welt.
Cinematic Universe
Mit seinem filmischen Universum gelang Marvel insofern ein Coup, als man die Zuschauer im Grunde dazu nötigt, alle Filme ansehen zu müssen, um der filmübergreifenden Handlung folgen und ihre Auflösung im Crossover erleben zu können.
Seitdem haben natürlich andere Filmstudios versucht, dieses Prinzip nachzuahmen, zum Beispiel mit der Justice League von Comic-Konkurrent DC oder mit den sogenannten Universal Monsters. Letzteres Projekt sollte klassische Horrorfilmfiguren wie Dracula, Frankenstein und den Werwolf wiedervereinen, floppte aber bereits mit dem allerersten Film: The Mummy mit Hauptdarsteller Tom Cruise.
Auch DC blieb bezüglich seines Extended Universe hinter den Erwartungen zurück und setzt nun vornehmlich auf Standalone-Titel. Neben Marvel ist lediglich das Filmuniversum um die Horrorfilme The Conjuring, Annabelle und The Nun als erfolgreich zu bezeichnen.
Franchise als Geschäftsidee
„Franchises sind kein großer Teil des Filmgeschäfts. Sie sind nicht der größte Teil des Filmgeschäfts. Sie sind das Filmgeschäft“, schreibt der Filmkritiker Mark Harris. Die angeführten Statistiken scheinen ihm recht zu geben.
Dass die Filmstudios die anscheinend nie enden wollenden Fortsetzungen bekannter Marken zu ihrem Geschäftsprinzip auserkoren haben, liegt ohne Frage in ihrem unternehmerischen Bestreben nach Profitmaximierung begründet. Bekannte Marken – egal, ob alte Filme, bekannte Romane oder Comicfiguren – weiterleben zu lassen, bedeutet, auf ein bereits erfolgreiches Produkt und damit auf eine bereits vorhandene Zielgruppe zurückzugreifen.
Diesbezüglich fällt auf, dass viele der Filmreihen, von denen bisher die Rede war, größtenteils aus den 1980er Jahren stammen. Das heißt, dass die Kinder, die diese Filme damals im Kino oder später in den 90ern auf Video und im Fernsehen gesehen haben – also quasi mit ihnen aufgewachsen sind –, heute in etwa 30 bis 50 Jahre alt sein dürften und damit als aktuell mittlere Generation die finanzstärkste Zielgruppe darstellen.
Es geht ums Geschäft
Dank Franchising wird der Erfolg kalkulierbar. Da Filmstudios keine Künstlerateliers, sondern Großkonzerne sind, brauchen sie diese Sicherheit – schließlich liegen die Budgets für Großproduktionen in Bereichen zwischen einer Viertel und einer halben Milliarde US-Dollar. Außerdem muss man den Aktionären am Ende des Geschäftsjahres eine positive Bilanz präsentieren.
Dementsprechend werden Filme heutzutage nicht mehr von Künstlern, sondern von Buchhaltern gemacht, worunter jedoch die künstlerische Qualität des Endprodukts zwangsläufig leidet, was uns zum zweiten Punkt der eingangs formulierten Kritik bringt.
Kunst gegen Kommerz
Denn diese „Buchhalter“ nehmen immer stärker Einfluss auf den künstlerischen Prozess, obwohl sie dafür nicht qualifiziert sind. Autor und Regisseur Kevin Smith veranschaulichte dieses Problem mit folgender Anekdote:
Smith wurde einst zu Vorgesprächen zu einem möglichen Superman-Film eingeladen. Der Produzent, der offensichtlich keine Ahnung von Superman und zuvor als Friseur gearbeitet hatte, bat den enthusiastischen Comicfan Smith dabei um Folgendes: Superman dürfe sein berühmtes Kostüm nicht tragen, er solle nicht fliegen können und am Ende gegen eine riesige Spinne kämpfen. Warum? Einfach so! Der Produzent habe in einer Naturdoku gesehen, dass Spinnen echt fiese Tiere sind.
Ein Künstler darf sich zu Recht als ein solcher bezeichnen, weil er im Gegensatz zu vielen anderen Menschen das Talent besitzt, eine künstlerische Vision zu entwerfen und umzusetzen. Aber künstlerische Visionen sind nicht immer marktkonform und das Neue birgt immer das Risiko, zu scheitern, was aber in der Unternehmenslogik tunlichst vermieden werden soll, weswegen – wie gesehen – lieber auf Altbewährtes zurückgegriffen wird.
Wertschätzung des Künstlers
Der Konflikt zwischen künstlerischem Anspruch und profitorientiertem Denken drückte sich in letzter Zeit vor allem darin aus, dass bei vielen großen Filmprojekten – insbesondere Superheldenfilmen – regelmäßig die Regisseure und Drehbuchautoren ausgetauscht wurden; teilweise sogar mehrmals im Rahmen eines Projekts.
Hinzu kommt, dass die amerikanische Film- und Fernsehbranche von Ende 2007 bis Anfang 2008 von einem mehrmonatigen Autorenstreik erschüttert wurde. Die Drehbuchschreiber kämpften damals darum, stärker an ihren Werken beteiligt zu werden, beispielsweise in Form von Tantiemen aus den DVD-Verkäufen.
Das ist ein weiterer Grund dafür, warum die Studios lieber auf bereits erworbene Markenrechte zurückgreifen, anstatt neue Verträge über neue Kreationen auszuhandeln, deren Autoren sie dann unter Umständen eine Gewinnbeteiligung oder dergleichen einräumen müssten.
Es dürfte daher kein Zufall sein, dass die Welle der Cinematic Universes ihren Anfang 2008 nahm.
Der kleinste gemeinsame Nenner
Zu guter Letzt leidet die künstlerische Qualität heutiger Filme darunter, dass sie für den globalen Massenmarkt konzipiert werden. Insbesondere China hat sich für Hollywood zu einem wichtigen Absatzmarkt entwickelt. Aber um mit einem Produkt das größtmögliche Publikum zu erreichen, müsste man den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, der den Geschmack aller trifft.
Würde man dies mit Getränken vergleichen wollen, wäre der kleinste gemeinsame Nenner, der den Geschmack aller trifft, Wasser.
Denn Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und so sind das Problem dieser Strategie all die kleinen und großen kulturellen Unterschiede. Das fängt an bei banalen Dingen des Alltags, die außerhalb der USA nicht geläufig sind, und reicht hin bis zu erzählerischen und filmischen Aspekten, zum Beispiel in Form von Zitaten, historischen Anspielungen oder Leitmotiven, die in einem bestimmten Kulturraum allgemein bekannt und daher unmittelbar erkannt und verstanden werden.
Unpolitisch und harmlos
Daneben muss die cineastische Massenware der Gegenwart möglichst unpolitisch sein, um nirgends anzuecken und niemanden zu vergraulen. Um einen Film beispielsweise in einem autoritär geführten Land zu vermarkten, sollte vermieden werden, sowohl allgemeine Wertvorstellungen zu thematisieren, die dem jeweiligen Regime missfallen könnten, als auch, dieses selbst anzugreifen.
Als Sinnbild der USA konnte Rocky seinerzeit noch gegen Ivan Drago als Personifizierung der Sowjetdiktatur in den Ring steigen; der Film war nicht für den russischen Markt gedacht.
Heutzutage müssen Captain America und Superman gegen computeranimierte Monster kämpfen und dabei gleich die ganze Welt retten, anstatt mit ihren Superkräften politische Gefangene aus russischen und chinesischen Gefängnissen zu befreien oder gegen die Armut im eigenen Land vorzugehen. Solch ein Film würde indirekt die jeweilige Regierung kritisieren und damit einen potenziellen Absatzmarkt riskieren.
Geschmack- und farblos
Die erzählerische Lücke, die dadurch entsteht, dass die Filme inhaltlich nichts mehr ansprechen können und dürfen, wird deswegen mit minutenlangen Actionszenen gefüllt, die allgemein verständlich und gesellschaftspolitisch unkritisch sind. Doch es ist genau diese Harmlosigkeit und Allgemeingültigkeit, die das Mainstreamkino unserer Tage so geschmack- und farblos wie Wasser werden lässt.
Als cinephiler Zeitgenosse, der seinen Filmgeschmack nicht derart verwässern lassen möchte, muss man deshalb froh sein, dass es kleinere Produktionen wie die letzten beiden Oscargewinner The Shape of Water und Green Book überhaupt noch gibt. Doch sind solche filmischen Abwechslungen immer seltener geworden, weil mit ihnen weniger Geld als mit den Franchises verdient wird. Sie sind zwar noch da, aber teilweise muss man sie regelrecht suchen, weil sie zwischen all den aggressiv beworbenen Großproduktionen der Studiokonzerne immer weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen können.
Daher sind die Streamingdienste auch insofern eine Gefahr für das Kino, weil sie cineastische Alternativen zum Franchise-Kino produzieren und anbieten.
Geschäftsideen werden in der Regel so lange ausgereizt, bis sie nicht mehr profitabel genug sind. Aber in Anbetracht dessen, dass allein zum Disney-Konzern Pixar, Marvel, Star Wars und Fox gehören, dürfen wir uns wohl noch lange auf Realverfilmungen alter Zeichentrickfilme, epische Weltraumschlachten und Superhelden freuen.
Bildquellen
- city-3798142_960_720: Pixabay