GNTM – Alle Jahre wieder Klum-Bashing
Seit 2006 ist Germany’s Next Topmodel ein regelrechter Bashing-Magnet. Nie hat das Feuilleton seine Meinung so oft reproduziert: jedes Jahr wieder mit immer demselben Inhalt. Kaum ein Text ist der Sendung wohl gesonnen, kein anderes Fernsehformat ist derartig ungebrochenen Hasstiraden ausgesetzt. Aber warum eigentlich?
Germany’s Next Topmodel ist weder selbsterklärter Trash mit einer gehörigen Portion Ironie – wie etwa das Dschungelcamp – noch entspricht die Sendung der Exklusivität der Modebranche, denn eine Casting-Show ist grundsätzlich dem Vorwurf ausgesetzt, nicht gerade seriös zu sein. Bringt sie nicht ohnehin nur kommerzialisierte und konfektionierte Produkte hervor? Ist der Erfolg nicht ein bisschen zu schnell erworben, um verdienstvoll zu sein? Beginnt das Modeln nicht in Wahrheit mit Türklinkenputzen? Muss man sich nicht aus eigener Kraft hochgearbeitet haben?
Das wird vielen Sieger/Innen von Casting-Shows zum Verhängnis, die es anschließend sogar schwerer haben als übliche Models, sich im Geschäft zu behaupten. Denn einerseits sind die Erwartungen an den Erfolg höher, andererseits gibt man ihnen das Gefühl, sie seien weniger wert, weil ihre plötzliche Bekanntheit sozusagen „illegal“ erworben wurde.
In einer Zwischenlage von Trashkultur und Exklusivität hat sich GNTM für abschätzige Kritik angreifbar gemacht. Und diese geht meistens unter die Gürtellinie. „Sechs Sorten Scheiße“ wollte Roger Willemsen aus der Sendung „herausprügeln“. Margarete Stokowski wünscht GNTM „einen Laster voller Mädchenkotze“ mit „Erbrochenem von Bulimiekranken“ und ist sich dabei ganz und gar nicht bewusst, dass sie sich an der von ihr kritisierten Logik beteiligt: nämlich der Verkürzung auf die Formel Model=bulimiekrank, die junge Mädchen durchaus auf dumme Ideen bringen kann. Joseph Seitz hofft für die Kandidatinnen, dass sie „einmal hemmungslos und gaaaanz ohne schlechtes Gewissen am Salatblatt lutschen“ werden. Bis heute ist der Hass ungebrochen.
Gebündelte Angriffsflächen
Insofern bündelt GNTM Angriffsflächen, die auch von benachbarten Sendungen wie Deutschland sucht den Superstar oder dem Dschungelcamp bekannt sind und wird somit zum geeigneten Anlass für die Feuilletons über die Verblödung des Fernsehens herzuziehen. Denn gerne wird auf die Formel Model=dumm reduziert. Und als wüsste man nicht, dass die Dinge komplexer sind, tut man so, als wären die gängigen Schönheitsideale von GNTM erfunden worden.
Zwei Motive der Rezeption schüren diesen Hass aber besonders und beide richten sich offensiv gegen Heidi Klum: die Kritik am Künstlichen und der Vorwurf der Geldgier. Das erste Motiv entfaltet sich wiederum an zwei Beobachtungen, die in den Medien immer wieder auftauchen: Klums Lachen, das auch gerne als „Betonlachen“ wahrgenommen wird, und ihrem sogenannten „Gouvernanten-Profil“.
In einem umfangreichen Bericht über Heidi Klum stilisiert Christoph Amend die Entwicklung ihres spezifischen Lachens zu einem Schlüsselmoment ihrer Karriere. Wegen einer harschen Kritik bei ihrem ersten großen Shooting, habe Heidi Klum so lange Lachen trainiert, dass sie es selbst Jahrzehnte später und in Momenten großer emotionaler Erschütterung – wie der Trennung von Seal – auflegen konnte. Die Kommentatoren des Textes sind entsetzt, dass ein Intellektueller so respektvoll über Heidi Klum schreibt. „Warum wird diesen künstlichen Menschen (alles unecht, nur getue) so eine große Plattform geboten?“ empört sich ein Leser.
Nun lässt sich nicht bestreiten, dass das Lächeln künstlich ist und der Zuschauer von GNTM nicht den geringsten Einblick in die Psyche des Models bekommt. Sind die Protagonisten der benachbarten Shows, ob nun Dieter Bohlen oder Sonja Zietlow, wenigstens zynisch oder ironisch – woran sich gewisse Charakterzüge und emotionale Eigenschaften zumindest im Ansatz ablesen lassen – bleibt Heidi Klum verschlossen. Und nichts möchte man lieber sehen als „authentische“ Momente und Emotionen. Einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen, hinter die stahlharte Model-Maske. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Heidi Klum mit ihrem antrainierten Lachen nichts Missgünstiges bezweckt, sondern es lediglich als Teil ihres Jobs versteht und als solches auch verkauft.
Für Klum sei das Adjektiv „professionell“ erfunden worden, schimpft man hämisch. Ja, und das macht Heidi Klum am Ende zu einer ehrlichen Haut. Sie reproduziert ganz unverstellt und offenkundig den Erfolgstypus „Arschloch“ mit harter Schale, das Ellenbogen ausfährt, wenn es nötig ist. Ein Konzept das leider aber nur funktioniert – das heißt für attraktiv befunden oder als Leistung geschätzt wird – wenn Männer es darstellen. Die zahlreichen Vergleiche zum Militärischen, z.B. „allmächtige Imperatorin“, dienen den Rezensenten so – ob bewusst oder nur latent – auch zu einer Diskreditierung der nach Reichtum und Macht strebenden Frau.
Natürlich ist Heidi Klum kein Arschloch, aber ihre Abgeklärtheit reicht schon aus, um derartig wahrgenommen zu werden. Wo man sonst Selbsvermarktungs-Genies und Geschäftsmänner als solche anzuerkennen pflegt, wird Heidi Klum zur gierigen Machtsüchtigen degradiert, zur Gouvernante, und ihre Sendung wird ein „diktatorisches Regiment“.
Keine Differenzierung
Nun zum zweiten Rezeptions-Motiv: dem Vorwurf der Geldgier und Ausbeute. Alle Jahre wieder taucht hier und da ein sogenannter „Knebelvertrag“ in den Redaktionen großer Zeitungen und Zeitschriften auf, den die Models mit dem Vater von Heidi Klum, Günther Klum, geschlossen haben sollen. Er besagt, dass der Klum-Klan bis zu 40 Prozent Provision von den Model-Anwärterinnen kassiert. Die Geschäftsfrau Heidi Klum, so die feministische Protestorganisation Pinkstinks, sei eine Geldmaschine, die auf Kosten anderer nichts weiter als Kapital schlagen möchte. Manch einer spricht von Heidi Klum sogar als einem „gemeinen, hochfrequentierten Parasiten“. Ob denen, die so urteilen, klar ist, dass genau das schon lange vor dem Nationalsozialismus zentrales Motiv des Antisemitismus war? Der Jude sei betrügerisch und parasitär. Die Härte und Entschiedenheit eines solchen Klum-Bashing ist jedenfalls erschreckend und unberechtigt zugleich.
Ob Zufall oder Fortleben antisemitischer Motivation: die Rezeption von GNTM hat pervertierte Züge angenommen. Die Zuspitzung auf Heidi Klum ist dabei im Mindesten so menschenverachtend, wie es die Rezensenten dem Model selbst unterstellen. Vor allem, da sich jeder von ihnen bewusst sein dürfte, wie einflussreich ein von den Medien gezeichnetes Bild sein kann. Anstatt für ein differenziertes Bild von GNTM einzustehen, machen sich die Feuilletons daran, ein möglichst einseitiges Image zu produzieren, und verstärken somit die kritisierten Stereotype.
Man mag einwenden, es sei nichts zu differenzieren, wo nur Eindimensionales vorherrscht. Dem muss widersprochen werden. Oben, auf ihrem hohen Ross, übersehen viele Kulturpessimisten nämlich, dass Heidi Klums Kommentare sehr wohl – natürlich ihrer Rolle entsprechend – aufklärerisch sein können. Manchmal ist es eigentlich fast schon peinlich, wie nachdrücklich sie zwischen einem Model und anderen Mädchen, deren Schönheit nicht definiert und konfektioniert ist, unterscheidet. Und wie wenig – wenn man ehrlich ist, keine – Magermodels in der Sendung gecastet werden.
Wie wäre es denn, würde man sich für die aufklärerische Motivation, wie zart sie auch zum Vorschein kommen mag, stark machen? Zum Beispiel, dass Schön-Sein reichlich wenig mit Model-Sein zu tun hat. Und Dürr-Sein reichlich wenig mit Schön-Sein. Dass nicht jeder ein Modeltyp ist, wie auch nicht jeder ein Sporttyp ist. Auch all das ist in der Sendung zu finden.
Ja, Fernsehsendungen haben es manchmal an sich, falsche Wertvorstellungen zu vermitteln. Und nein, GNTM sticht da nicht heraus. Wer dennoch dagegen ankämpft, darf nicht vergessen, dass die kritisierte Logik nicht zerstört, sondern verstärkt wird, wenn man ihr eine Bühne bereitet.
Bildquellen
- 12698759_917877671629936_322386047_o: Plakat / Adbusting, Foto: Annekathrin Kohout
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