Goetz und Moritz, diese beiden – Das ZDF Nachtstudio sieht fern
Vor 15 Jahren hat Mathias Mertens dem ZDF Nachtstudio beim Fernsehen zugeschaut.
Wenn eine Fernsehsendung sich mit anderen Fernsehsendungen beschäftigt, was ist das? Wenn der Moderator in dieser Fernsehsendung, die sich mit anderen Fernsehsendungen beschäftigt, dann die Frage stellt, ob das Fernsehen immer selbstreferentieller geworden ist, wie man auch an dieser Fernsehsendung wieder einmal sehen könnte, was ist das dann? Und wenn eine Kolumne, die sich mit Fernsehsendungen beschäftigt, sich mit dieser Frage des Moderators, ob sich das Fernsehen nur noch mit selbst beschäftigt, in dieser Fernsehsendung, die sich mit Fernsehsendungen beschäftigt, beschäftigt, was, verdammt noch mal, ist das? Kluger Diskurs? Absolutes Gewäsch? Oder eine Maschine zur Textproduktion, um eine Phrase des Moderators über Stefan Raab abzuwandeln? Vielleicht ist genau dieses Grübeln über den Inhalt völlig sinnlos. Zumindest beim Fernsehen. Denn wie Moritz von Uslar im ersten Fernsehquartett des ZDF Nachtstudio richtig bemerkte, sind Stilfragen beim Fernsehen wichtiger als der Inhalt. Es geht darum, was die Sendung und ihr Geschehen für einen Eindruck hinterläßt, nicht unbedingt darum, ob wir Thesen mit nach Hause tragen können. Dieser Eindruck hängt ausschließlich von den Leuten ab, die sich präsentieren, denn eigentlich ist Fernsehen ein umgestaltetes Pausenhofgeschehen, wo Hausaufgaben abgeschrieben werden, schnell Konsumierbares am Kakaostand mitgenommen, Fußball mit Tennisbällen gespielt, in der Raucherecke Erwachsensein simuliert wird, wo Mädchen sich tuschelnd in Gruppen zusammendrängen und lederbejackte, mit etwas mehr Testosteron als ihre Altersgenossen ausgestattete Typen ankichern, während bebrillte Potschnittträger über das letzte P.M.-Magazin debattieren. Während der Pause kann man flanieren, mal hier zuhören, mal die beobachten, mal mit denen reden. Völlig unverbindlich aber dadurch auf Dauer prägend.
Als die Sendung begann, hatte man den Eindruck, daß die Pause vorbei war und alle jetzt die Gemeinschaftskundestunde bei dem aufgeschlossenen Referendar besuchen mußten. Alle redeten etwas verkrampft los, um einen guten Eindruck zu machen. Der Gestus war wichtig, mit dem angehoben wurde, zu sprechen, kollidierte dann aber nach zwei Sätzen mit der Erkenntnis, daß man gar nichts Wichtiges zu sagen hat, wodurch die Rede dann etwas stammelnd versickerte. Der andere, der dann den Akt des Widersprechens üben wollte, war über sich selbst erstaunt, daß er widerspricht, also einen so unsicheren sozialen Akt angeht, deshalb war dieses Widersprechen ein sehr vorsichtiges Herumtasten. Was dem Widersprochenen wieder Zeit gab, die ganze Zeit sehr affirmativ zu nicken, um zu signalisieren, daß das total richtig sei, daß man widerspreche, um dann heftig nickend „Nein“ sagen zu können. Dazwischen der Lehrer, in diesem Fall Volker Panzer, der sich so viel vorgenommen hatte in dieser Stunde, und der seine Schüler dann immer mit einfachen Warum-Fragen auf den Weg der Inhaltlichkeit schicken mußte. Er hatte als einziger den professionellen inhaltsleeren Ton des Fernsehmoderators drauf, er trug als einziger einen gefälligen Anzug und hielt sich vernünftig in seinem Sessel. Er war geübt im reinen Formsein, trainiert in den Stilfragen des Fernsehens, die einschließen, daß man die ganze Zeit den bloßen Schein verdammen und die Inhaltlichkeit anmahnen muß, einfach so, ohne Konsequenzen.
Rainald Goetz, der geistige Vater dieser Sendung, deren Konzept er sehr ausführlich in sechs Zeilen seines letzten Buches Dekonspiratione ausgearbeitet hatte, hatte den Stil des Fernsehens überhaupt nicht drauf. Er grinste sehr angestrengt in sich hinein, so als könne er kaum an sich halten vor Zufriedenheit und wolle gleich aufspringen, um alle zu umarmen. Er saß auf der Kante des Sessels, die Hände an den Lehnen, um sich sofort herausschieben zu können. Aber er durfte nicht. Er mußte sitzen und reden, dabei wollte er die ganze Zeit herumlaufen in diesem Fernsehen, das ihn geschluckt hatte, um seine Unmengen von Zeitungen, Büchern, Kladden aufzuheben und überall zu verteilen. In allen Fernsehsendungen, die sich doch überall in diesem Fernsehzentrum aufhalten mußten. Aber das ging nicht. Also mußte er in diesem Sessel bleiben und konnte nur sein Gesicht ständig zum Haaransatz hochzucken lassen. Schlechter Stil, denn beim Fernsehen kommt es doch nur auf Stil an. Worüber er dann aber immer besser redete. Genau über solche Eindrücke. Schraubte sich dann in argumentative Höhen, wo er darüber philosophierte, daß das Fernsehen dazu da sei, Erinnerung zu vernichten, eine lustvolle Anstrengung anzubieten, die verhindert, daß etwas hängenbleibt. Leider wollte ihm niemand folgen.
Ihm gegenüber war sein genaues Gegenteil plaziert. Moritz von Uslar war schräg in seine Skinheadjacke aufgehängt und in den Sessel eingepaßt worden. Er ließ seine Feinmechanikerhände dekorativ in der Luft stehen und sich gegenseitig an den Fingerkuppen herumnesteln. Unter einem schlampigen Haarschnitt war eine hochgezogene Spock-Augenbraue dauerfixiert. Gelegentlich bedachte er seine Umgebung mit einem gnädigen Hochziehen der Mundwinkel, ansonsten wurden die Lippen ständig zusammengezogen, um der Welt zu signalisieren: Wenn ihr nicht so einen Schwachsinn produzieren würdet, dann könnte ich euch einiges erzählen, aber das lasse ich mal lieber. Sein ganzer Körper war von der Gruppe weggedreht in Richtung Ausgang. „Am liebsten würde ich jetzt gehen, mich in einer Bar vollaufen lassen, Burroughs lesen und mir selbst leid tun,“ erzählte sein Körper. Gut aber, daß er blieb. Denn er ergänzte den hyperkinetischen Goetz in kongenialer Weise, lieferte kleine Bravourstücke an Beschreibungen oder Schlußfolgerungen, fand schöne Kategorien wie „Prolloper“ und hatte einen sehr gepflegten dialektischen Geschmack.
Was man von Alexa Hennig-von-Lange nicht sagen kann. Sie war als erste der drei „Fernsehkennerinnen“ geladen, mit denen wir in den Sendungen beglückt werden. Dabei schreibt sie bloß Romane, wie Volker Panzer anmerkte. Und sie hat sehr viele rote Haare. Ganz, ganz viele. Die sie auch immer durch ihre rechte Hand gleiten ließ und strähnenweise ins Licht hielt. Wenn sich ihr Zeigefinger nicht gerade durch ihre Wange zu bohren versuchte. Ihre fernsehkennerischen Kategorien und Qualitätsstandard beschränkten sich darauf, ob sie während der Sendung Kulturzeit ihr Kind füttern oder ob sie bei TV total wachbleiben konnte. Oder auch, ob sie den Biowurst-Verkäufer in Gestrandet kennenlernen will. Wen interessiert’s? Das ist geschmäcklerisch und nichts weiter. Das kann ich mich selbst fragen, das muß mir aber nicht noch im Fernsehen präsentiert werden. Da kann ich auch den Erstbesten in der U-Bahn fragen. Das hat dasselbe Reflexions- bzw. Unterhaltungsniveau. Deshalb sei hier als ernsthafte Kritik an Alexa Hennig-von-Langes fernsehkritischen Fähigkeiten gesagt, daß man bei längeren Ausführungen von ihr einschlafen oder getrost das eigene Kind füttern könnte. Weil es sowenig geistreich ist, wie sie es bei Stefan Raab bemängelt, weil es sowenig mit unserem Leben, in diesem Fall unseren Fernseherlebnissen, zu tun hat. Aber nächstes Mal ist sie ja sowieso nicht mehr dabei.
Trotz dieses ganzen verkorksten Stils, dieser Verkrampfungen und dem albernen Gekichere bei den Inhaltsangaben der Sendungen, wollte man nicht wegschalten, sondern schaute weiter. Weil man den Eindruck hatte, daß sich in diesem ganzen künstlichen Kamin- und Luhmann-, Lennon-, Beuys-Photo-Gezeige, diesem Paralipomena- und Systemtheoriebonmot-Vorgelese, diesem ausgewogen moderierten Zwangsgestreite eine wirklich gute Sendung verborgen hielt. Eine Sendung, in der Rainald Goetz und Moritz von Uslar alleine an einer Bushaltestelle, in einem McDonalds oder sonst einem urban-slumming-Ort sitzen und sich in gelehrten Elegien über den größten Schwachsinn im Fernsehen auslassen. Ohne jeden kritischen Anspruch, ohne Druck, das Verhältnis von Gesellschaft und Fernsehen zu analysieren, mit der Freiheit ausgestattet, Spaß am Rabulieren zu haben, und genau dadurch alle diese Ansprüche zu erfüllen. Ohne Vorgaben, ohne Rücksicht auf andere Gäste oder die Platzhoheit des Moderators. Worte, die sich selbst gerne hören. Das wäre Kultur im Fernsehen, weil Fernsehkultur.
Das Hauptproblem einer solchen Fernsehsendung, wie man sie im Nachtstudio beobachten konnte, ist genau die Selbstreferentialität. Man ist nämlich nicht frei. Das Literarische Quartett konnte einigermaßen funktionieren, weil man im Fernsehen über Verlage und ihre Produkte redet, also einen Bereich, der in keinerlei Abhängigkeit zu dem eigenen steht. Hätte Suhrkamp das Geld, eine solche Sendung zu sponsern, dann wäre das natürlich sofort anders, aber Verlage in Deutschland können sich ja noch nicht einmal Fernsehwerbung leisten (der Gesamtumsatz aller Verlage entspricht ungefähr dem der LKW-Sparte von Daimler-Chrysler). Eine Fernsehsendung über das Fernsehen zielt aber auf sich selbst. Volker Panzer war eben nicht frei. Wenn Kulturzeit und Abenteuer Wissen verrissen wurden, dann mußte er moderat dazwischengehen und seinen Arbeitgeber verteidigen, auch wenn er betonte, daß er das nicht tue, weil er ZDF-Mann sei – aber genau diese Einschränkung bewies den Vorbehalt. Nach einer ausführlichen Polemik zur Moderation von Kulturzeit den Satz zu sagen: „Ich kann festhalten, die Moderation ist nicht unbedingt das, was man erwartet, aber die Sendung Kulturzeit ist eine gute Sendung, der wir eigentlich mehr Zuschauer wünschen sollten, ne, in 3Sat, auf diesen Kulturdeponien,“ das ist schon peinlich. Das hatte mit den gerade gesehen 10 Minuten Diskussion nichts zu tun, sondern war reine Pflege des Arbeitsplatzes. Da war er dann wieder, der Gemeinschaftskundelehrer, der ausruft: „Bitte, bitte, es ist total wichtig, daß ihr überhaupt redet, daß man überhaupt mal sich miteinander austauscht.“ Nicht, um die sozialen Fähigkeiten seiner Schüler zu fördern, sondern nur, um sich selbst die Illusion zu geben, daß in sein Unterricht so anregend ist, daß lebhafte Diskussionen stattfinden. Das wahre Leben findet aber draußen statt, in den Raucherecken und vor dem Kakaostand.
Bildquellen
- The sun always shines on tv: Mathias Mertens