Großstadtlichter: Mariott Hotel München
In unserer Reihe Großstadtlichter beobachten wir die kleinen und großen Gemälde, die so eine Stadt von sich selbst malt. Heute: Mariott Hotel München.
Das Hotel Marriott in München bleibt mit allem unter dem Radar. Nicht zu viel Prunk und nicht zu wenig, weder zu schlicht, noch zu auffällig, die Musikberieselung ist weder zu laut noch zu leise. Morgens wird Sting gespielt, das passt gleichermaßen zu heimkehrenden Trunkenbolden wie zu verschlafenen Frühstücksgästen, nachmittags akzeptable Popmusik á la Feist, am frühen Abend leichte Avantgarde- Talking Heads und so.
Ein zentimeterdick überschminktes weibliches Wesen, wohl zwischen 20 und 45 Jahre alt, die Handykamera in der Hand des langgestreckten linken Arms auf sich selbst gerichtet, im umständlichen silly walk der Laufstegmodels unterwegs durch die Lobby Richtung Ausgang. Wenn man beim Gehen die Knie so anzieht, sollte man die Preisschilder unter den Schuhsohlen entfernen. Quasi blind, nur Auge in Auge mit sich selbst, findet sie unfallfrei den Weg durch die Drehtür. Beeindruckend.
Eine 8-köpfige Gruppe uralter amerikanischer Stewardessen, Senior Airlines vielleicht, in Kostümen so klischeehaft wie aus einem Lloyd Webber Musical schiebt nach dem Check Out schrill kichernd die Rollköfferchen in Reih und Glied. Währenddessen schwingt ein junger Zauberer aus einem tschechischen Märchenfilm fleißig den Staubsauger über den dunkel gemusterten Teppich.
In einer Sitzgruppe pausiert eine Hostess. Seit einiger Zeit schleicht immer wieder einer der Türsteher um sie herum. Jedes mal wenn er vorüber geht sagt er „ Guten Tag“, in einer Betonung als sähe man sich zum ersten Mal und mit ungewöhnlichem Akzent. Beim vierten oder fünften Versuch traut er sich. Er spricht sie an:
„Was machen sie hier?“
„ Ich betreue die Mitarbeiter eines Pharmakonzerns für ein paar Tage.“
„Pharma? Was ist das nochmal?“
„ Die haben mit Medikamenten zu tun.“
„Ach ja. Schon mal gehört. Verantwortungsvolle Aufgabe. Ich hatte auch mal eine. Da habe ich in Finnland ein nukleares Kraftwerk mit aufgebaut. Das waren schöne Zeiten und es war gut bezahlt. Da kann man nichts sagen. Wir waren 4500 Mitarbeiter und manchmal haben wir 14 Stunden am Stück gearbeitet damals. Da können sie mal sehen, wie sehr die uns gebraucht haben. Drei Jahre hat es gedauert bis alles geregelt war. Hach, das war eine schöne Zeit.“
„ Aber das hätte doch sicher auch gefährlich werden können.“
„ Das sagen die Leute dann immer. Versteh ich nicht. Tut mir leid, dass ich sie gestört habe.“
Auf seinem Weg nach draußen dreht er sich noch einmal um und sagt:
„ Was glauben sie wessen Job härter ist? Ihrer oder meiner?“
„ Ich glaub ihrer.“
„ Das kann sein.“
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