Haarmann-Musical: Puppenjungs tanzen in Metafeedbackschleife

In Hannover inszeniert Lars-Ole Walburg Nis-Momme Stockmanns Meta-Meta-Meta Seriermöder-Musical Amerikanisches Detektivinstitut Lasso.

Disclaimer: Ich hatte für nachtkritik.de den Auftrag, das Musical Amerikanisches Detektivinstitut Lasso, in dem es um den Serienmörder Fritz Haarmann gehen sollte, zu besprechen. Ich schickte folgenden Text dorthin, der auf jede Art und Weise den Rahmen von nachkritik sprengt. Und obwohl Spieltexte auch immer gerne gerne genommen werden, war dieser doch…nicht geeignet. Daher erschien dort eine gekürzte Fassung.

Es sind vom Theater nur ein paar Minuten mit der Straßenbahn. Liegt sowieso auf dem Heimweg: die Rote Reihe 2, oder 4, je nachdem, wem man glaubt, auf jeden Fall nebeneinander, das Haus in dem Fritz Haarmann wohnte. Das Haus gibt es nicht mehr, zerbombt, die Adresse gibt es noch. Oder, andere Straßenbahn, raus nach Stöcken, zur Grabstätte der Opfer. Oder, das geht sogar zu Fuß, an den Fluss, wo jetzt der Flohmarkt immer ist, da, wo sie die Knochen gefunden haben. Irgendwas zum Festhalten finden, irgendwas zum Drüberschreiben, nur, um zu vermeiden, dass es jetzt mal losgehen muss mit der Rezension.

Was kluges schreiben, kein Problem

Eine Kneipe wäre schön, irgendwo in der Nähe, Rote Reihe, das ist Calenberger Neustadt, da fände sich was. Dort etwas beobachten. Mit Bedeutung aufladen, die gar nicht da ist, in lockere Beziehung setzen. Genau wie Amerikanisches Detektivinstitut Lasso alles herauszögern, aus Angst vor, was? Festlegungen?, jedenfalls so lange auf alles auf die Metaebene zerren, bis sich nichts mehr bewegt, und dann das Scheitern zum Sieg erklären. Erkläre ich später, dann.
Es ist kalt draußen. Ich habe keine Lust, an irgendwelche historischen Stätten zu pilgern, die mir jetzt eher nichts bringen, vielleicht gibt es einen Kiosk auf dem Weg. Bier kaufen, nur eins, gemütlich an den Schreibtisch, Heizung an, was kluges schreiben, fertig. Kein Problem. Sollte zu machen sein.

Fakten

Gut. Fakten: Es ist Mittwoch, die Kioske haben schon geschlossen. Es gibt nichts mehr zu trinken im Haus, außer Pflaumenschnaps, den es aber nur noch gibt, weil er zu eklig ist, um ihn zu trinken. Heiße Zitrone also. Erinnern. „Erinnern ist erfinden“, heißt es im letzten Lied der Inszenierung, das ist nicht hilfreich.
Fakten: Nis-Momme Stockmann hat das Stück geschrieben, Intendant Lars-Ole Walburg hat es inszeniert. Es ist ein Musical über Fritz Haarmann, einen der wenigen Serienmörder, die Deutschland hervorgebracht hat. Haarmann wohnte in Hannover, und ist deshalb in der Stadt ein sensibles Thema. Schon im Vorfeld waren Hinterbliebene der ermordeten Kinder dagegen, beziehungsweise verwirrt. Eine Umfrage der Hannoverschen Allgemein Zeitung zur Frage, ob Haarmann Theaterstoff sei ergab aber immerhin ein siebenundfünzigprozentiges, achselzuckendes „Ja, warum denn nicht?“. Der Theaterskandal, auf den alle irgendwie gewartet hatten blieb jedenfalls aus.

Warte, warte nur ein Weilchen

Spotify hat tatsächlich das Haarmann-Lied. Ich höre es mir zwei-, dreimal an. Nippe an der heißen Zitrone. Weitere Fakten: Zu Beginn des Stückes wispert ein Chor das Wort „Durchreise“ und trägt zum leicht trashigen, atmosphärischen Elektro des Musikerduos Les Trucs, die entsprechenden Buchstaben über die Bühne. Die Musiker stehen oben auf einer Empore des hauptsächlich aus Metallgestänge bestehenden Bühnenbildes. Jemand, dessen Rollenname „Schüchterner junger Mann“ ist betritt schüchtern die Bühne, bedankt sich beim Publikum, dass es Karten gekauft hat, und entpuppt sich als vom Autor geschriebene Autorenfigur, die versucht, dem Publikum zu erklären, worum es im Theater, in der Kunst geht. Er trägt ein rot-blau kariertes Holzfällerhemd und schwarze, enge Jeans. Mehr Figuren, noch mehr schüchterne junge Männer treten auf, beginnen zu singen, ein Bühnentechniker betritt mit einer Bombe über die Schulter die Bühne, stellt sie ab, ein Elefant wird im Hintergrund vorbeigezogen. Der schüchterne junge Mann beginnt zu thematisieren, dass es schwer ist zu schreiben, vor allem von Haarmann, vor allem in Hannover. Szenenwechsel ins Hotel, er wird er von einem Leibniz-Keks mit einem Schild, auf dem das Wort „Falsch“ steht verprügelt. Es gibt ein Lied dazu.

Das unendliche Kreisen der Meta-Feedback-Schleife

Nochmal das Haarmann-Lied. Noch ein Schluck heiße Zitrone, jetzt lauwarm. Die Frage ist ja immer, was so eine Meta-Auseinandersetzung bringt. Wohin es damit geht, warum, wie schnell. Frage ich mich auch. Warum dieser Text? Warum ist es ein Meta-Text? Weil zu Auseinandersetzung mit einem Thema auch immer die Auseinandersetzung damit gehört, wie man sich mit einem Thema auseinandersetzt? So kommt man vom Stöckchen aufs Hölzchen, und ganz schnell zum einzelnen Kohlenstoffatom, oder woraus auch immer Holz besteht. Momme-Stockmann geht es jedenfalls so. Einmal kurz tritt Haarmann mit seinem Beil in ein einem eleganten Anzug auf, wird dann aber, als er gerade beginnen soll eine Solonummer zu singen, schnell wieder von der Bühne geschubst. Lieber werden immer wieder die widerstreitenden Autorenfiguren auf die Bühne geholt, dazu kommen noch ein Intendant und ein Dramaturg. In einem aus der Bühne herausfahrenden Konferenzraum werden beide zu koksziehenden Karikaturen überspitzt, dann treten ein „Echter Intendant“, ein „Echter Dramaturg“ und ein „Echter schüchterner junger Mann“ auf und erklären, es sei alles gar nicht so gewesen, während der Autor im Hintergrund, blassblau beleuchtet, im Morgenmantel an seiner Schreibmaschine sitzt, tippt und kifft. Dann kommen noch ein „Echter, echter Intendant“ und ein…immer so weiter. Bis dreimal „echt“ davorsteht. Und sie alle beginnen sich zu streiten, über Produktionsbedingungen zu reflektieren, darüber, was Theater, was Kunst kann und soll und muss, über Sachzwänge, Kreativität, über die Frage, wie in dieser Gesellschaft ohne Denkzwänge, ohne andauernde Reproduktion etwas erzählt werden kann, und darüber, dass man jetzt auch endlich mal was zu Haarmann machen müsse, und nicht nur Nis-Momme-Stockmann-Nabelschau betreiben. Das bringt tatsächlich Zwischenapplaus vom Publikum, denn mittlerweile sind alle im unendlichen Kreisen der Meta-Feedback-Schleife verloren, der kleinen, der großen, der gigantischen Zerlegung von Ideen ins allerkleinste, die Stockmann betreibt.

„Haarmann soll singen, weil Haarmann nicht singen sollte“

Das alles klingt negativ, es soll nicht negativ klingen. Nicht allzu sehr. Die Gedanken sind klug: Dass es produktiver wäre, sich an Gemeinsamkeiten zu Haarmann abzuarbeiten anstatt die immergleiche Erzählung vom menschenfernen Monster zu noch einmal zu erzählen. Die Frage, wie innerhalb der instiutionalisierten Grenzen sowas überhaupt getan werden kann. Oder, um es mit dem schüchternen, jungen Mann zu sagen: „Haarmann soll singen, weil Haarmann nicht singen sollte! Weil von uns erwartet und verlangt wird, dass er nicht singen sollte, weil es das Richtige und das Anständige wäre ihn nicht singen zu lassen.“ Deshalb ist Amerikanisches Detektivinstitut Lasso ein Musical: Weil es eine komplett bekloppte Entscheidung ist, eine falsche, und das ist schonmal ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb schreibt auch der Autor sich selbst als Figur in das Stück, wie er vor einem Glitzervorhang vom Intendanten gekreuzigt wird. Formal ist das klug: Eine Form nehmen, die große Freiheiten erlaubt, weil sie sich nicht um Formalia schert. Inszenatorisch ist das klug: Das alles in Karikaturen, Überspitzungen so sehr zu übertreiben, bis die Meta-Meta-Meta-Brechungen sich ironisieren. Geschrieben ist das klug, weil der Autor sich selbst als charmanten, schüchternen, etwas zu reflektierten Typen in sein Stück schreibt, und sich damit auch wieder selbst ironisiert: Bloß nicht festlegen. Lieber zerlegen. Lieber lustig sein. Lieber Karikaturen mit sich, dem Chor und überhaupt streiten lassen, jeden Blickwinkel bedenken, und damit auch die Kritik entkräften – man hat sich ja schon selbst kritisiert. So gesehen ist die Inszenierung wasserdicht, absolut nicht zu kritisieren. Dazu passt auch, dass am Ende dann das Scheitern des Stückes daran, überhaupt etwas zu Haarmann zu machen, zum Sieg erklärt wird: Man hat ja den Prozess refklektiert, die Möglichkeit des Autors als Tableau für systemimmanente Prozesse, alle diese Sachen. Der Weg ist das Ziel, nicht das Ergebnis. Am Ende tritt dann auch nochmal ein Bühnentechniker auf, und fragt den schüchternen jungen Mann: „Du hast Show gesagt. War das jetzt das Stichwort?“ War es, natürlich, nicht. Aber das ist der Punkt, an dem das Musical durchreflektiert ist, es gibt einen Pyroeffekt, hohe Flammensäulen, und der Chor der schüchternen jungen Männer setzt an, endlich zu beginnen, und dann: Vorhang. Roter Samt.

Es schneit

Und jetzt? Dieser Text ist 8.300 Zeichen lang, mittlerweile. Viel zu lang. 4.500 sollten es werden. Die heiße Zitrone ist kalt geworden, und ich habe kein Ergebnis. Gute Inszenierung? Schlechte Inszenierung? Keine Ahnung. Reflektiert, auf den Punkt verloren im Unendlichen, das ja. Lustig, auch. Gute Musik. Kaum angreifbar, nicht von außen, das macht sie von innen schon selbst. Es ließe sich höchstens sagen: Darüber zu schreiben, wie man über etwas schreibt, und daran scheitert, darüber zu schreiben, das ist ja auch immer eine sehr einfache Lösung, wenn man etwas ausweichen will. Egal, wie charmant man ironisiert.
Es ist spät geworden, und draußen schneit es jetzt.
Jetzt fast 10.000 Zeichen. Das lassen die mir nie durchgehen.

Titelangaben:
Amerikanisches Detektivinstitut Lasso
von Nis-Momme Stockmann
Regie: Lars-Ole Walburg
mit: Beatrice Frey, Dominik Maringer, Katja Gaudard, Jakob Benkhofer, Jonas Steglich, Vanessa Loibl, Silvester von Hösslin, Live-Musik: Zink Tonsur, Charlotte Simon (Les Trucs)
http://www.schauspielhannover.de/schauspiel/

Bildquellen

  • Amerikanisches Detektivinstitut Lasso: (c) Katrin Ribbe / Pressebild Schauspiel Hannover