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In bus with Michel Friedman – Das Prolo-Intellektuelle ist preiswürdig geworden – The Sun Always Shines On TV

Mathias Mertens hat 2001 Michel Friedman bei seiner Talkshow zugeschaut sich gerfragt warum er den Deutschen Fernsehpreis bekam.

Früher im Schulbus gab es ganz bestimmte Regeln. An den Türen quetschte man sich tot, um hineinzukommen, dabei lernten wir die Vorzüge des eckigen Scout-Ranzens kennen, den man mit seinen harten Kanten perfekt als eine Art Buschmesser in diesem Gewimmel einsetzen konnte. Danach raste man auf die wenigen Sitzplätze zu, wobei man zwei Gebiete tunlichst vermied: vorne beim Fahrer und die letzte Bank. Wer vorne saß wollte die Nähe zum einzigen Erwachsenen im Bus, war also ein Weichei, das im günstigen Moment verkloppt werden mußte. Und auf der letzten Bank saß immer der Alpharüde samt vierköpfigem Beraterstab. Niemand wagte es, sich dort hinzusetzen, weil sofortige disziplinarische Maßnahmen nach sich gezogen hätte. Am besten vermied man jegliche Auffälligkeit, ein kurzer Blick zum Beispiel konnte zur gefährlichen Falle werden. „Glotzt Du mich an?,“ bellte es dann von hinten. „Nein, nein, ich gucke Dich nicht an.“ „Doch, jetzt glotzt Du doch!“ „Ja, weil ich mit Dir spreche.“ „Wer hat Dir erlaubt, mich anzustarren? Willst Du mich anmachen.“ „Nein, ich will gar nichts.“ „Warum glotzt Du dann aber die ganze Zeit? Was willst Du eigentlich.“ Drehte man sich dann weg, war es aus. Das wurde als endgültiger Affront verstanden und zog einen gezielten Vergeltungsschlag durch den Beraterstab nach sich. Wunderschöne Jugendjahre.

Wer nicht in den Genuß gekommen ist, Schulbus zu fahren, weil er gleich um die Ecke von der Schule gewohnt hat, kann eine ähnliche Interaktion auf der ARD erleben. Michel Friedman rückt dort in einer Sendung, die bescheidenerweise Friedman betitelt wurde, Politikern auf die Pelle. In völlig unmetaphorischen Sinn. Zwischen ihm und den Gästen sind nur noch fünf Zentimeter Sessellehne, er sitzt ihnen praktisch schon im Nacken. Sein Gesprächsstil ist dann original der des Alpharüden im Schulbus. „Sie sind Politiker? Wie rechtfertigen Sie sich dafür?“ So lassen sich Friedmans Attacken ungefähr zusammenfassen. Wenn die Politiker dann anfangen, sich für sich oder irgend etwas zu rechtfertigen, kommt der dialektische Tritt in die Eier. „Aha! Sehen Sie, sie rechtfertigen sich. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?“ „Aber Sie wollten doch, daß ich mich rechtfertige.“ „Warum lenken Sie jetzt ab? Haben Sie etwas zu verbergen?“ Und so weiter. Wenn Friedman seinem Gast doch wenigstens zum Schluß die Nase blutig schlagen würde, aber nein, er verharrt in dieser permanenten, ausweglosen Anmache, die Fragen nur dazu benutzt, um die richtige Reaktion für die nächste Frage zu provozieren.

Diese Sendung ist nun gerade mit dem Deutschen Fernsehpreis für die „Beste Informationssendung“ ausgezeichnet worden. Holla. Wahrscheinlich hatten alle Angst, daß Friedman ihnen sonst in die Fresse schlagen würde, verbal natürlich. Aus der sicheren Distanz dieser Kolumne heraus, sei die vorsichtige Frage erlaubt, welche Informationen man in dieser Sendung überhaupt erhält. Außer, daß Michel Friedman sehr energisch unterbrechen kann, sehr gut gegelt im Kamerafeld herumhängt, sehr böse reden kann und daß Politiker immer mehr dicht machen und kurz vorm Umkippen von öffentlicher Person zu verletztem privatem Mensch sind, ist da nämlich nichts. Das mag einen gewissen Unterhaltungswert haben, etwa den vom Celebrity Death Match auf MTV, wo Knetversionen von Prominenten sich in Tom und Jerry-Manier zerstückeln, aber außer diesen primitiven Bedürfnissen wird nichts durch diese Sendung befriedigt. Denn auch wenn Michel Friedman es nicht wahrhaben will: Wir besitzen inzwischen eine gewisse Medienkompetenz und können die glatten Politikerstatements auf ihren Informationsgehalt abklopfen. Wir wissen, was tatsächlich gesagt wurde, was aus bestimmten Gründen nicht gesagt worden ist, warum sich Politiker zu diesem Zeitpunkt gerade äußern, in welchem Zusammenhang sie gerade reden. Das sind nämlich die eigentlichen Informationen. Leider versaut Herr Friedman diese Informationsvergabe, indem er unnötig auf dem Wortsinn der Äußerungen herumreitet. Und indem er einen Riesenwust von Informationen über sich dadurch absondert.

Man sollte mal zurückfragen: Herr Friedman, wie können Sie es eigentlich mit Ihrem Selbstverständnis als Journalist vereinbaren, daß Sie gleichzeitig Politiker einer Partei sind, zeitweilig sogar in ihrem Präsidium gesessen haben? Ist jetzt die politische Karriere nur ein Vehikel gewesen, um als Fernsehfresse zu reüssieren und dann in eine eigene Sendung hereinzugleiten? Was können Sie dann eigentlich Politikern noch in Ihrer Sendung vorwerfen? Der hohe moralische Ton, mit dem Sie auftreten, klingt dann doch etwas schrill. Oder ist die Fernsehkarriere jetzt ein Vehikel, um die politische Karriere zu befördern? Erst einmal alle Konkurrenten im Fernsehen bloßstellen, sie demoralisieren und niederschlagen, um sich dann als „Last Man Standing“ als unvermeidbare Alternative anzubieten. Auch dann wären Sie als Politiker durch Talk-Moralisten Ihres Schlages äußerst angreifbar geworden und könnten sich, eigentlich, kaum noch halten.

Das Schöne an Michel Friedmans modus operandi ist, daß ihm eine solche Kritik so oder so in den Kram paßt. Denn seine Methode ist gerade die Gegenreaktion. Er muß nur eine Intitialprovokation machen, um ein perpetuum mobile von Interaktion zu schaffen, das ihm immer wieder eine Reaktion auf die Reaktion ermöglicht. „Interessant, das Sie das so sehen. Aber mich interessiert, warum Sie das so sehen?“, würde er auf die Kritik antworten. Oder: „Da verfallen Sie jetzt wieder in dieses typisch deutsche Rummäkeln. Warum machen Sie nicht mal selbst etwas?“ Was aber doch wieder nur auf das „Laberst Du mich an?“ herausläuft.

Der Preis für die „Beste Informationssendung“ an Friedman ist der Sieg des Formats über den Inhalt. Es gibt keine Information in Friedmann außer der, daß sie ist. Beziehungsweise daß Michel Friedman ist. Sie ist neu, weil in ihr tatsächlich nicht die ganzen Klischees der anderen Talkshows vorkommen. Die selben, langweiligen Fragen, die man sonst schon tausend Mal gehört hat, werden in Friedman wirklich nicht gestellt. Wenn nichts geschieht, kann man eben auch nichts schlecht machen. Es wird einfach nur ein Gefühl erzeugt, eine aggressive Stimmung, die der Zuschauer mitnimmt und im Rückblick für ein unkonventionelles, mit Neuigkeiten aufwartendes Interview hält. Was genau an Neuem darin vermittelt wurde, weiß man nicht mehr, weil aber das Gefühl so stark ist, muß es so etwas gegeben haben. Die Autorität des Alpharüden beruht auf Suggestion, nicht auf tatsächlicher Leistung.

Eigentlich muß man das Michel Friedman alles gar nicht vorwerfen. Er macht nur sein Ding und der Erfolg ist ihm zu gönnen. Als Medium der Gegenreaktion funktioniert er ja auch nur, weil sich Gäste und Zuschauer zu einer Aktion bereit erklärt haben. Hier wäre die Kritik anzusetzen. Warum gehen Politiker überhaupt zu Friedman? Wenn sie doch sowieso nicht zu Wort kommen und bis zur Weißglut gereizt werden? Mögliche Antwort: Genau deshalb. Weil sie nicht zu Wort kommen, brauchen sie auch nichts zu sagen. Wie entspannend muß das sein, nach all den Presseerklärungen, Fraktionssitzungen, Kabinettsrunden und Fachgesprächen. Und die Weißglut läßt sie als Mensch im Fernsehen rüberkommen. Solche echten Gefühle regen das Publikum zur Identifikation an. Friedman gibt ihnen die Möglichkeit, als schützenswerte Personen rüberzukommen und nicht mehr als die provozierenden Schuldigen für alles. Vielleicht entwickelt sich daraus eine echte Fernsehfratzenberühmtheit. Die man später vielleicht für eine kleine, eigene Talkshow im Fernsehen ausnutzen könnte. Der Michel Friedman hat’s ja vorgemacht.

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  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens