Internationaler Frauentag: Lust und Männer fressen. Ein Interview mit der Theatermacherin Maike Tödter

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Wir haben zu dem Anlass mit der Theatermacherin Maike Tödter über Lust und Sexualität gesprochen. Und warum Geschlechtergerechtigkeit als Thema längst nicht durch ist.

Am 8. März feiern große Teile der Welt den Internationalen Frauentag: Das hannoversche Theater im Pavillon zum Beispiel mit einem eher ungewöhnlichen Double Feature. Männer fressen und Lust heißen die beiden freien Theaterproduktionen, die hier Sexualität und Geschlechterrollen thematisieren. Warum es eine gute Idee ist, mit Lust nach Frauenrechten zu fragen, erzählt uns Maike Tödter im Interview.

Maike Tödter studierte Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Seit 2010 ist sie als freie Projektleiterin, Dramaturgin und Performerin tätig. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Kaja Jakstat betreibt sie in Hamburg das Produktionsbüro Zwei Eulen. An den beiden Performances zum Internationalen Frauentag ist sie in unterschiedlichen Rollen beteiligt. Lust von der Hamburger Gruppe Frauen und Fiktion hat sie dramaturgisch und als Produktionsleiterin beraten. In Männer fressen vom Hildesheimer Duo proxy body steht sie als Autorin und Künstlerin selbst auf der Bühne.

Du bist an beiden Produktionen beteiligt, die das Theater im Pavillon am Internationalen Frauentag zeigt: bei Lust hinter und bei Männer fressen auf der Bühne. Es geht um weibliche Perspektiven auf Gefühle, Instinkte und Rollenbilder. Warum lohnt es sich, beide an einem Abend zu sehen?

Zum einen ergänzen sich die Formate. Männer fressen ist eine Lecture Performance mit unterhaltsamer Wissensvermittlung. Wir haben Fakten und Thesen zum Thema des Vamps als Stereotyp recherchiert und entwickeln unsere eigenen Theorien. Dem steht Lust als sehr atmosphärisches Bühnenstück gegenüber. Der Fokus liegt auf der generellen Frage nach weiblicher Lust. Was ist daran nur Begriff, was gesellschaftliche Konstruktion? Für Lust wurden Interviews mit Frauen* von heute geführt, Männer fressen hingegen zeichnet ideengeschichtliche Entwicklungen nach. Beide treffen sich in der Mitte.

Männer fressen arbeitet sich provokativ an Klischees ab. Welcher Blick ergibt sich auf weibliche Lust?

Es geht uns um die gesellschaftliche Konstruktion der Femme Fatale: Wie kam es zur Aufspaltung von Weiblichkeit in eine mörderische, gefährliche und eine unschuldige, reine? Die Metapher vom Männerfressen verbindet sich historisch mit anderen Formen des so genannten Othering, mit Vorwürfen von Schädlichkeit und Bösartigkeit gegenüber allem möglichen, das nicht der Vorstellung von mitteleuropäischer Männlichkeit entspricht: Hexen, die Kinder fressen, Wilde, die Missionare fressen, und so weiter. Im Fin de Siècle wurde die weibliche Lust dann mehr denn je zum unfassbar Anderen, auch durch Sigmund Freud. Die Darstellungen schöpften dabei aus einer Vielzahl allegorischer Frauengestalten, die sich seit der Antike angesammelt hatten.

Eine selbstbewusst ausgelebte und dargestellte weibliche Lust wurde also zwangsläufig als monströs empfunden?

Häufig, ja. Dabei fand die männlich dominierte Gesellschaft dieses Monster auch attraktiv und spannend. Aber früher oder später wurde es immer bedrohlich. Auch jede Form von Hybriden, zum Beispiel zwischen den Geschlechtern, wurde immer als monströs betrachtet. Um solche Konstruktionen geht es auch bei Lust, auch wenn das auf der Bühne gar nicht so sichtbar wird. Zum Glück verändern sich manche Perspektiven zumindest in bestimmten Szenen. Wenn man sich zum Beispiel in Berlin auf dem PornFilmFestival umschaut, wirken manche der dort gezeigten Visionen von Sexualität eventuell befremdlich oder nicht nachvollziehbar – aber immer auch als Annäherung ohne die Notwendigkeit, etwas als monströs zu deklarieren.

Lust ist sanfter, subtiler, auf eine freundliche Art sinnlicher als Männer fressen. Funktioniert es als Einstieg in das Thema?

Lust nimmt alle behutsam mit auf die nächste Ebene, verändert dann aber Parameter, dreht an Stellschrauben. Das Publikum ist dabei ein wenig wie der Frosch, der gar nicht merkt, wie das lauwarme Wasser um ihn herum langsam zu kochen beginnt.

Lust arbeitet mit vielen verschiedenen Perspektiven, auch aus Gesprächen, die niedrigschwellig mit Menschen von der Straße geführt wurden. Männer fressen hingegen thematisiert vor allem wissenschaftliche oder zumindest intellektuelle Perspektiven.

In Lust sind verklausulierte biografische Elemente versetzt mit den Erzählungen anderer, eine im zeitgenössischen Theater sehr häufige Vorgehensweise. Die Gruppe heißt ja nicht umsonst Frauen und Fiktion.

Beide Produktionen holen das Publikum mit Versatzstücken vertrauter Formate ab. Das ist einmal der Vortrag und einmal Elemente wie Tanz oder Assoziationsspiele. Dinge, die man kennt. Eine Art Verführung zur Auseinandersetzung?

Beide Stücke können zweifellos auch konfrontieren und vor den Kopf stoßen.

Muss das Publikum Angst haben?

Nicht zu viel. Vielleicht so, wie man sich auf einen guten Horrorfilm freut.

Es gäbe andere Themen, die sich am Internationalen Frauentag zur Auseinandersetzung anbieten: Unterdrückung, Gewalt oder Gleichberechtigung.

Es geht ja an diesem Tag auch weltweit um Zugänge zu politischen, beruflichen, finanziellen oder Bildungsmöglichkeiten.

Warum also ausgerechnet Lust als Fokus?

Weil bei diesem Thema auch in unserer „aufgeklärten“ Gesellschaft noch in Rastern gedacht wird. Menschen, die von der Norm abweichen, erleben meist strukturelle Gewalt. Das beginnt schon im Kleinen: Sei es als selbstbewusste Frau*, sei es als schüchterner Mann*. Plötzlich ist man zu hart, zu uncool, zu unsexy, zu wenig subtil, was auch immer. Zu viele Menschen glauben zu wissen, wie Frauen* oder Männer* zu sein haben. Die Zusammenhänge zwischen Identität und Sexualität sind groß.

Also geht es um das ganze Feld von: Wer agiert, wer reagiert? Und dann eben auch: Wie darf ich meine Lust ausleben?

Und sobald es dann um Machtpolitik geht, wird auf eine ganz bestimmte Weise auf Frauen* geschaut. Bei Angela Merkel zum Beispiel geht das bis zu einer völligen Entsexualisierung, die zum Skandal führt, wenn beim Opernbesuch plötzlich ein Dekolleté zu sehen ist. Wir haben Karikaturen gefunden, in denen Merkel immer wieder als männer- und menschenfressende Figur zu sehen ist. In Filmen wiederum werden Frauen* in Machtpositionen häufig hypersexualisiert und sehr dominant dargestellt, man sieht sie jedoch nur selten ihren Job tun. Diese Trennung lässt sich offenbar schwer überwinden, ohne den Anschein von Seriosität aufzugeben. Die ist nämlich vor allem aus männlicher Sicht codiert: Frauen* tragen dann Anzug oder hochgeschlossen, schminken sich wenig oder gar nicht – oder eben so gut, dass es keiner bemerkt. Sie bringen kein Begehr außer der Professionalität zum Ausdruck.

Das Thema Lust bündelt andere Themen?

Wie ich meine Sexualität gestalte, hat Einfluss darauf, wie ich mich in der Welt verhalte. Das kann man natürlich auch in Zweifel ziehen. Aber wenn man von diesem Paradigma ausgeht, müssen zwangsläufig Aushandlungsprozesse stattfinden.

Ist Euer doppelter Theaterabend ein solcher Aushandlungsprozess?

Man merkt wohl deutlich, dass die Macherinnen der Stücke aus unterschiedlichen Theaterschulen kommen. Aber viel wichtiger ist, dass wir alle mit einem ähnlichen Anspruch arbeiten. Und dass dabei eben keine Konkurrenz entsteht, sondern Solidarität.

Was wünschst du dir als Theatermacherin zum Internationalen Frauentag?

Ich wünsche mir, dass sich der Blick auf ein bipolares Geschlechtermodell zunehmend wandelt, dass das biologische Geschlecht als Kategorie an Bedeutung verliert. Und dass die Theaterszene sich nicht vorgaukelt, dass Themen wie Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit schon erledigt wären. Der Punkt, an dem gerade auch eine linke Kulturszene davon ausgehen kann, dass sie das alles schon beherrscht und sich von allen Sexismen befreit hat, ist noch lange nicht gekommen. Denn dazu gibt es noch viel zu viele männlich dominierte Hierarchien. Nicht nur in Institutionen, sondern auch in der freien Szene gibt es noch massive patriarchale Strukturen.

Und wie ist es um den gesellschaftlichen Blick auf die weibliche Lust bestellt? Was wünschst du dir als Frau?

Weniger Selbstverständlichkeiten – das wünsche ich mir aber nicht nur als Frau, sondern als Mensch. Wir brauchen mehr Diskurs und mehr Offenheit für das Unerwartete im Miteinander, mehr Bewusstsein für die Notwendigkeit, Dinge auszuhandeln. Die Selbstverständlichkeiten werden sich dann schon wieder finden. Ein Großteil der Sexualität findet im Kopf statt. Also brauchen wir mehr Kommunikation in der Sinnlichkeit und mehr Sinnlichkeit in der Kommunikation.

Für alle, die zwischen dem 7. und dem 10. März in Hannover sein sollten: Männer fressen von Proxy Body findet im Theater im Pavillon am 7. und 10. März um 19.30 Uhr statt, am 8. und 9. März um 19 Uhr. Lust von Frauen und Fiktion am 8. und 9. März um 21 Uhr.

Das Interview wurde ursprünglich für die Hannoversche Allgemeine Zeitung geführt und dort in gekürzter Form am 28. Februar abgedruckt. Die Langform erscheint exklusiv auf zebrabutter.

*Auf Wunsch der Interviewten wird in diesem Artikel der Gender-Stern verwendet. Frau* oder Mann* soll, im Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache, nicht nur die biologischen Geschlechter bezeichnen, sondern auch Personen, die sich als Frau* oder Mann* identifizieren.

Bildquellen

  • 17036605_10208596293324652_1280485063_o: Anja Beutler
  • 17092954_10208596283644410_673904219_o: Foto: Paula Reissig