Interviewreihe “Davon leben”: Interview mit Andreas Richert (Maler und Bildhauer)

In unserer Interviewreihe „Davon leben“ spricht Martin Spieß mit dem Maler, Bildhauer und Zauberer Andreas Richert über Poesie und Liebe und darüber, wie es so ist, wenn man auf Peggy Guggenheim wartet.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für „Davon leben“ trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Andreas Richert, 51, Maler und Bildhauer. Er verdient einen Teil seines Lebensunterhalts als Zauberkünstler und Zirkusartist. Seit 1990 Ausstellungen in Galerien, Museen, Kunstvereinen und Festivals rund um den Erdball. Er lebt und arbeitet in Berlin und Bad Mergentheim.

Wann bist du wo geboren?

1965 in Gießen.

Bist du da auch zur Schule gegangen?

Ich habe da noch Abitur gemacht und dann meinen Militärdienst geleistet.

Wie lange ging der Militärdienst?

Drei Jahre. Dann kam ich zurück nach Gießen und habe Germanistik und Philosophie studiert. Kurz vor der Zwischenprüfung fiel mir ein Buch in die Hände, in dem ein Bildhauer aus Ton eine Skulptur fertigte. Ich fuhr nach Hause, warf meine ganzen Zeugnisse und Scheine weg und fing an, zu zeichnen und Skulpturen zu machen.

Das war wirklich so eine Art Erweckungsmoment? Da hast du einfach auf deinen Bauch gehört?

Ja, ich habe sofort den Rückweg abgeschnitten.

Du musstest dir das dann ja alles selbst beibringen, wenn du keine Vorbildung hattest.

Ja, ich hab Ton gekauft und dann einfach losgelegt. Und ich bin zu einem Steinmetz-Meister gegangen – das war ein alter Mann, der allein in seinem Betrieb war – und bei dem habe ich mitgeholfen und so das Handwerk gelernt. Und ich bin zu Schlossern und Bronzegießern gegangen und guckte mir an, wie die arbeiten.

Und dann hast du einfach gemacht?

Ja. Im ersten Jahr habe ich gleich tausend Zeichnungen und etliche Plastiken gefertigt. Ein Jahr später habe ich einen Galerieraum gemietet und meine erste Ausstellung gemacht. Und drei Jahre später hatte ich meine erste Museumsausstellung in Gießen.

Und wie lief es finanziell?

Ich hab von Anfang an eigentlich relativ gut verkauft. Kunstvereine, Museen, kleine Galerien. Aber ich habe mich nicht selbst drum gekümmert. Ich hatte regelmäßig Ausstellungen, aber im Grunde habe ich immer drauf gewartet, dass Peggy Guggenheim kommt und sagt: „Das ist so toll, was du machst. Wir machen dich groß. Die Mama kommt.“

Die Bestätigung des Publikums als Ersatz der Liebe der Mutter.

Genau. Die Krux ist nur: Du hast nicht das Recht auf die Aufmerksamkeit und die Liebe der Leute. Du hast das Recht auf die Aufmerksamkeit und die Liebe deiner Mama. Aber die Leute sind nicht deine Mama. Dass Peggy Guggenheim nicht kam, hatte aber auch seinen Vorteil: Ich hab keine Einmischung in meine Kunst ertragen. Ich wusste ganz genau, was ich treiben will, und konnte es nicht haben, wenn da jemand dran rumfusselt.

Wenn du es ganz genau wusstest, hätte es dir doch egal sein können, was die Leute sagen und ob sie fusseln, oder? Künstler zu sein bedeutet doch automatisch, kritisiert zu werden, weil man ab einem gewissen Zeitpunkt in der Öffentlichkeit steht.

Klar. Ich übersetze in meiner Kunst meine Gedanken zur Welt. Damit darf natürlich jeder machen, was er will, aber deswegen muss ich mir den Schwachsinn trotzdem nicht anhören. (lacht)

Ein vor etwas über einem Jahr verstorbener Freund von mir war auch Maler und Bildhauer, der ganz bewusst ohne Galerien gearbeitet hat. Und der erzählte immer wieder, wie hart das ist.

Absolut. Du gehst entweder den Weg über die Galerien oder du gehst einen sehr steinigen Weg. Ich war kürzlich auf der Art Karlsruhe. Dieser hysterische aufgeladene Kunstbetrieb nervt mich einfach – und er dient meiner Arbeit überhaupt nicht. Deswegen habe ich hab ein weiteres Mal beschlossen: Ich will mit diesem Markt nichts zu tun haben. Es gibt nichts Besseres, als in Ruhe malen zu können. Es gibt ein schönes schwedisches Sprichwort: „Mal, wie du willst, und stirb glücklich.“

Drastisch, aber konsequent.

Und alternativlos! Der Moment dieser Erkenntnis, das war die Erlösung! Dass ich etwas hatte, was in sich Sinn hat. Jetzt musste ich nicht mehr darauf warten, dass jemand kam und sagte, dass es gut ist. Ich wusste das selbst.

Und es gab nie einen Moment, an dem du versucht warst, den leichteren Weg zu wählen?

Nein. Denn so drastisch es auch klingt: Künstler, die erfolgreich sind, sind Einhörner, die sich ficken lassen. An deren Arsch ein Preisschild hängt. Da kommt der Universitätsprofessor mit seinen vier, fünf Freunden aus Aufsichtsräten, und für die bist du der alternative Typ, der Clown, der mit Drogen experimentiert. Das Einhorn eben, das Fabelwesen. Und dadurch, dass du ihnen was verkaufst, bekommen sie Zugang zu dieser Welt, die ihnen eigentlich fremd ist.

Das ist ja zum Beispiel in der Musik ähnlich.

Genau. Wer hat denn als Künstler bei einem Majorlabel full artistic control? Vielleicht Björk. Aber sonst reden dir die Geldgeber immer rein. Und du musst riesige Abstriche machen. Kunst aber braucht ein emotionales Setting: Das kann nicht funktionieren, wenn du dich verkaufst.

Zumindest muss der Produktionsprozess frei sein von Verwertbarkeit. Wenn ich ein Buch schreibe, denke ich nicht darüber nach, ob meine Agentur für das fertige Manuskript einen Verlag findet. Wenn ich ein Album komponiere, frage ich mich nicht, ob ich ein Label finde. Ich mache Kunst. Und was danach mit ihr passiert, steht – so schwer das manchmal ist – auf einem anderen Blatt.

Im Grunde genommen geht es genau darum, ja. Es muss nicht gleich Kants „interesseloses Wohlgefallen“ sein, aber Kunst ist eben nicht zweckgebunden. Sie ist, wenn man so will, eine Intervention an der Schöpfung und an der Evolution, an der Kausalität aller Ereignisse. Kunst hat keinen greifbaren Zweck. Es geht ihr um Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen. Kunst ist Freiheit. Ein kleiner Moment von Freiheit. Und zusammen mit dem Suizid vielleicht deren einziger Beleg.

Das klingt fast etwas morbid.

Im Gegenteil: Kunst erschafft Leben. Und natürlich ist sie auch libidinös. Wenn du Kunst machst, muss auf jeden Fall ein Genießen stattfinden, es muss etwas Lustvolles haben. Es muss Energie fließen. Und wo Energie fließt, ist Libido. Kunst ist Schwanz, Kunst ist ficken.

Das lässt mich an ein Zitat von Hunter S. Thompson denken: „Ich habe das Schreiben immer als den hassenswertesten aller Jobs angesehen. Vielleicht gleich es darin dem Ficken: es macht nur den Amateuren Spaß. Alte Huren haben nicht viel zu kichern.“ Da sind wir wieder beim „emotionalen Setting“, wie du eben sagtest.

Ja! Ich will, dass meine Existenz mit Poesie verbunden ist. Und ich bin davon überzeugt, dass Poesie ganz stark mit Liebe verbunden ist. Liebe zur Welt und zu dir selbst. Ganz anders als Geld: Geld katapultiert dich aus der Welt raus. Du denkst darüber nach, wie du es hältst, wo das nächste Geld herkommt. Es ist das Gegenteil davon, im Jetzt zu sein. Poesie hält dich in der Gegenwart. Was machst du, wenn du ein Konzert spielst? Du hältst die Leute eine Zeitlang in der Gegenwart.

Dasselbe gilt ja auch für deine Arbeit als Zauberer.

Absolut: Das gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene. Wenn du die kriegst, sind die für diese dreißig oder fünfundvierzig Minuten richtig im Flow.

Das Zaubern machst du ja als Brotjob. Wie kamst du dazu?

Ich habe geheiratet und Kinder bekommen, und musste mir irgendwie die Zeit vertreiben. Kunst zu machen ging nicht. Wenn du kleine Kinder hast, kannst du nicht in ein Atelier gehen. Du musst auf deine Kinder aufpassen, im Wortsinn: Ab einem bestimmten Alter ist die Verletzungsgefahr so hoch, da kannst du dich nicht auf eine Leinwand konzentrieren. Also habe ich was gesucht, was nur Halbaufmerksamkeit braucht. Als meine zweite Tochter geboren wurde, fing ich an, zu jonglieren und zu zaubern. Und dann war es ein Schneeballsystem: Der erste Geburtstag, die erste Feier, die erste Messe. Und jetzt kann ich eben davon leben.

Hat das Zaubern Einfluss auf deine Kunst?

Nein. Oder wenn, dann nur bedingt. Als Zauberer präsentierst du Effekte und eine relative Anarchie der Sinne. Du reduzierst aber alles immer auf eine Pointe. Effekthascherei und Pointen aber sind der Tod der Kunst. Kunst ist ein Bruch, der nicht aufgeht. So wie unser Leben eben auch.

So versuche ich in meinen literarischen Texten auch zu verfahren: Geschichten unpointiert enden zu lassen. Auskleckern lassen, anstatt sie aufzulösen. Nicht immer Plot Points zu setzen, sondern auch einfach mal eine skurrile Szenerie zu beschreiben, bei der am Ende weder die Figuren, noch die Leser wissen, was eigentlich genau abgeht.

Ja, insofern ist die Zauberei auch ein guter Gegenpol zur Kunst. Und ganz allgemein ist die Arbeit als Zauberer reizvoll: Ich arbeite unglaublich gern für Kinder. Kindern eine gute Zeit zu machen ist gut fürs Herz. Die freuen sich einfach so echt. Für Kinder gibt es dieses Wunderland noch. Für Erwachsene ist das eine entfernte Erinnerung.

Dann belastet es dich also nicht, noch aufs Zaubern angewiesen zu sein? Oder würdest du lieber nur Plastiken und Skulpturen machen und Bilder malen?

Es belastet mich nicht, nein. Vielleicht brauche ich das Zaubern und Gaukeln sogar, um immer wieder aus der linearen Welt auszubrechen. Ich stehe im Edeka auf den Händen oder jongliere ein paar Äpfel. Im Bäcker balanciere ich ein Baguette auf der Nase. Und manchmal fragen mich die Leute: „Wieso suchst du eigentlich ständig die Bühne?“ Ich glaube aber nicht, dass ich eine Bühne suche. Ich glaube eher, dass ich Angst habe vor der Langeweile.

Das haben Kunst und Zaubern dann aber gemeinsam: Dass es nie langweilig wird. Weil immer etwas passiert.

Ja! Und das, was passiert, ist intensiver, emotionaler! Für Leute wie dich und mich gilt doch: Das Gras ist grüner. Die Sterne und der Mond leuchten heller. Aber der Preis ist: Die Nacht ist dunkler. Das hat George Carl, ein amerikanischer Clown, mal gesagt.

Das ist echt gut gesagt.

Ist es! Aber diesen Preis muss man eben zahlen. Niemand wandelt ungestraft unter Palmen. Diese Euphorie, die du im Schöpfungsakt empfindest, die zahlst du irgendwann wieder heim. Es wäre natürlich toll, wenn es eine einzige frenetische und nicht enden wollende Party wäre, aber das ist es nicht. Als Künstler träumst du davon, dass das Leben eine bonbonfarbene Polonaise ist, die durch den Staub eines alten Ballhauses ins Nichts tanzt. Und manchmal ist es auch so. Aber manchmal heulen wir auch in der Garderobe und die Tränen pflügen durch unsere Schminke.

Und dieses Auf und Ab setzt dir nicht zu?

Nein, es hat sogar etwas Tröstliches. Denn wenn du am Ende bist und eine Depression hast, wo soll es dann hingehen? Nach oben natürlich. Es kann ja nur besser werden. Und wenn du dich dann gut fühlst und oben herumdümpelst – wo soll es dann hingehen? In den Olymp? Nein, natürlich nach unten. Um dann irgendwann wieder nach oben zu gehen. Dieses ganze Auf und Ab ist eine Mechanik zur Gewinnung von Energie. Die ist natürlich schmerzhaft, für eine Zeitlang jedoch setzt sie große Energie frei. Alt wird man damit aber nicht.

Und dass du nicht alt wirst, belastet dich nicht?

Natürlich habe auch ich meine schwachen Momente, wo ich denke: „Wenn du mal weniger rauchen und trinken würdest.“ Aber eigentlich nein.

Das Problem aber ist doch: Wenn man ganz unten ist, ist man sich selten der Tatsache bewusst, dass es wieder aufwärts geht. Wenn man da drin ist, fühlt es sich an, als sei es für immer.

Klar, wenn der Film erstmal läuft, ist man da drin.

Was tust du dann?

Ich trinke, nehme Opium oder rufe meine Mama an. Wenn es ganz gut läuft, schaffe ich es zu meditieren. Aber das klappt vielleicht drei Mal im Jahr. Andererseits: Wer malt schon gut, wenn er glücklich ist?

Das klingt jetzt aber wirklich düster.

War auch nicht ganz ernst gemeint. Denn letztlich funktioniert es nicht ohne Menschen: Leute, die das gut finden. Und du brauchst einen Menschen, der an dich glaubt. Man selbst reicht am Ende dann doch nicht. Ich habe geheiratet und Kinder bekommen. Ich habe jahrelang nur mit angezogener Handbremse Kunst machen können, trotzdem aber sind meine Kinder das Beste, was mir im Leben passiert ist.

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