Interviewreihe „Davon leben“: Interview mit Dana Shanti (Musikerin)

In unserer Interviewreihe „Davon leben“ spricht Martin Spieß mit der Musikerin Dana Shanti über Nebenjobs in der Gastronomie und darüber, wie man Musik atmet.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für „Davon leben“ trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Dana Shanti, 38. Sie ist eine in Berlin lebende Singer-Songwriterin. Seit 2002 ist sie festes Bestandteil des Berliner Solistenchors, war als Backgroundsängerin unter anderem mit Martin Jondo und Saint Lu auf Tour und arbeitet mit ihrer Band Shanti Pirate am ersten Album.

Wann und wo bist du geboren?

Am 2. Juni 1978 in Frankfurt/Oder.

Bist du dort auch aufgewachsen?

Ja. 1999 bin ich nach Berlin gekommen. Nach dem Abitur.

Um dort was zu tun?

Um zu studieren. Linguistik und Altamerikanistik an der FU. Bin schon nach einem Jahr exmatrikuliert worden. Es war mir zu formal. Ich wollte mit Linguistik eher den Zusammenhang zwischen Sprache und Gott erforschen. Du weißt schon, „am Anfang war das Wort“. Wo ist der Ursprung von Sprache, was steht dahinter? Seele, Geist, Klang, Schwingung. Im Studium wurde geschaut: was wird gesagt, und wie, vielleicht noch, was ist gemeint? Wie ist die Grammatik? Aber das Dahinter wurde nicht gesucht, nur die Form. Ich war und bin eher immer auf der Suche nach dem Dahinter, die Form interessiert mich nicht so richtig. Ich empfand kein Zugehörigkeitsgefühl zur normalen Gesellschaft. Ich war auf der Suche nach meinem Platz. Und stellte fest, dass ich den gängigen Lebensplan – Studium, Arbeit, Kinder, Haus – ablehne. Ich arbeite seit 15 Jahren in der Gastronomie, um meine Rechnungen zu zahlen.

Du sagtest eben, dass dich die Form nicht so richtig interessiert. Das stimmt doch aber nicht, immerhin bist du Musikerin bzw. Sängerin geworden. Es ist doch eine ganz bewusste Entscheidung, die Form des gesungenen Wortes und der Musik als künstlerischen Ausdruck zu verwenden.

Ja. Für mich ist das Festlegen einer Form bis heute Struggle. Ich bin lieber frei.

Aber du hast dich doch fürs Klavier und den Gesang entschieden. Und auch für die englische Sprache. Das ist doch eine selbst gewählte, aber feste Form, der du auch treu bleibst, oder?

Das war keine bewusste Entscheidung. Ist einfach so passiert. Ich liebe Musik. Klavier spielen wollte ich schon mit fünf Jahren lernen. Das war ganz klar. Das ging aber damals in der DDR nicht, weil wir weder Geld noch ein Klavier hatten. Wir hatten nur eine Geige ohne Bogen im Haus. Also hab ich neun Jahre Flöte gelernt: Sopran, Alt und Querflöte. Es gab halt einfach keine Möglichkeit, an ein Klavier zu kommen. Meine Mutter hat, als ich zehn Jahre alt war, eine Heimorgel angeschleppt, aber ich mochte den Klang nicht.

Aber Musik spielte trotzdem schon früh eine Rolle für dich.

Ich hab auch mit drei Jahren schon gesagt, dass ich Sängerin werde – und wurde ganz böse ausgelacht…

Blöde Frage, aber dennoch: Wie hat sich das angefühlt, das Ausgelacht-Werden?

Ich kann mich nicht erinnern. Aber grundsätzlich: Es macht Angst. Man fühlt sich in die Enge getrieben.

Also ist unterbewusst schon was geblieben von der Angst, nicht gut genug zu sein?

Ja. Vor jedem Auftritt zittern mir die Knie. Aber es hat auch etwas Befreiendes, sich dieser Angst zu stellen. Letztendlich zählt es nicht, ob du ausgelacht oder gefeiert wirst. Wenn eine Berührung passiert, ein Kontakt, eine Kommunikation, eine Verbindung, dann ist das wie Magie. Wundervoll. Darum geht es. Du kannst nicht allen gefallen, sondern nur du selbst sein.

Wenn du sagst, du kannst nur selbst sein: Warum singst du nicht in deiner Muttersprache, sondern Englisch? Was hat das mit dir zu tun?

Ich empfinde die deutsche Sprache als zu kantig. Wir haben viele Silben, CHs und Wörter, die sich schwer singen lassen. Außerdem kommt es im Deutschen schnell kitschig rüber, wenn man über die Liebe singt. Seltsamerweise hatte ich fast ausschließlich Liebesbeziehungen, in denen die Kommunikation über die englische Sprache laufen musste. Ich fühle also quasi in Englisch. (lacht) Daher war ich wohl eher inspiriert, mich musikalisch in dieser Sprache auszudrücken. Es gibt aber auch deutsche Lieder.

Wann hast du angefangen, Lieder zu schreiben?

2001, da war ich 23. Ich hatte damals meine ersten Ideen auf einem 8-Spur Tapedeck aufgenommen und ein Freund, der ein kleines Studio hatte, hat alles auf den Rechner gezogen und auf CD gebrannt. Es waren acht Songs. Quasi mein erstes inoffizielles Album. Es waren ruhige, fast meditative Songs. Ein paar von den Liedern spiele ich heute noch. Jedenfalls hatte ich zu der Zeit gerade erst begonnen Klavierunterricht zu nehmen, weil ich mich an der Hochschule für Musik Hanns Eisler für Jazzgesang beworben hatte. Da musste man eine Klavierprüfung ablegen, also hab ich mich drum gekümmert. Einen Lehrer besorgt und ein Klavier.

Und? Hat es geklappt mit der Hochschule für Musik?

Nein. Ich habe es insgesamt drei Mal probiert. Nach dem ersten Mal hat Judy Niemack, die damalige Leiterin für Jazzgesang, mich eingeladen, ein halbes Jahr als Gasthörerin da zu sein. Ich habe verschiedene Kurse besucht, hauptsächlich Theorie und Chor. Aus einem Studienprojekt von damals ist der Berliner Solistenchor unter der Leitung von Christian Steyer entstanden, mit dem ich auch heute noch jährlich toure. Wundervolle Gesangs- und Musik-Erfahrung.

Dich eingeladen, weil sie von deiner Stimme so überzeugt war?

Ich hab damals sehr unschuldig und natürlich vorgesungen, fast ohne Vorbildung. Ich glaube, das hat ihr gefallen.

Und deswegen hast du es ein zweites Mal probiert? Beziehungsweise weil es dir so viel Freude gemacht hat und du dort studieren wolltest?

Ja, ich liebte diese Schule. Diese alten Räume dieses Hauses in Berlin-Mitte, die haben Musik geatmet. Aber beim zweiten Mal war ich sehr verkopft und beim dritten Mal mit Ende 20, da war ich dann einfach schon zu sehr geformt. Ist aber auch alles gut so. Ich habe viel gelernt und einige großartige Musiker und Sänger getroffen. Ich musste mich nirgends anpassen oder reinzwängen, sondern hatte die Möglichkeit, all das zu lernen, was ich wollte. Ohne Erfolgsdruck, außerhalb schulischer Bewertungssysteme.

Warst du nach dem zweiten Mal auch noch Gasthörerin?

Nein. Da war ich nur noch im Chor.

Warum gibt es diese Lücke zwischen der zweiten und der dritten Aufnahmeprüfung? Hattest du Zweifel?

Eigentlich war mir nach der ersten Prüfung schon klar, dass ich nicht wirklich studieren will. Ich habe ja zu dieser Zeit schon angefangen eigene Songs zu schreiben.. Ab 2004 gab es meine Band und Studioaufnahmen. Und dann auch Backing-Jobs und Touren. Außerdem habe ich zu dieser Zeit meine Ausbildung als Yogalehrerin gemacht, war mehrmals in Indien und habe viel gelernt, was mit Musik zumindest auf den ersten Blick nicht viel zu tun hat. Ich habe mich quasi über einen ganz anderen Weg nochmals den Fragen genähert, die ich zu Beginn meines Linguistikstudiums hatte.

Und warum hast du es dann noch zweimal versucht?

Einfach um es zu machen.

Um dir zu beweisen, dass du es schaffst? „Da ist ein Hindernis, also springe ich drüber!“?

Wie gesagt: ich liebte diese Schule. Vielleicht war es einfach naheliegend. Ich habe mich dort immer auch irgendwie zu hause gefühlt. Und man hat drei Versuche. Die habe ich ausgeschöpft.

Um alles zu probieren, damit man sich nicht im Nachhinein ärgert?

So in etwa. Als ich damals in den Chor kam, war ich in einer heftigen Lebensphase mit viel Herzschmerz. Die Art und Weise wie Christian Steyer mit uns die Lieder analysiert hat, hat mich neu aufgerichtet. Er ist deswegen auch einer der zwei sehr wichtigen Lehrer in meinem Leben, wenn es um Musik, aber auch um Lebenskunst geht. Der andere ist Tino Derado, Jazzpianist. Beide haben meine Musik sehr tief beeinflusst. In der Art, wie sie Musik leben und spielen, aber auch in der Art, wie sie mit mir umgegangen sind.

Inwiefern die Musik leben? Mit absoluter Hingabe, ohne Kompromisse?

Hingabe natürlich, aber auch Freude und Leichtigkeit. Offenheit, ein ständiges Auf-der-Suche-Bleiben und gleichzeitiges Fähig-Sein, den Moment zu erfahren. Sich selbst zu lieben und zu respektieren, ohne sich zu ernst zu nehmen. Fehler machen. Wagnisse eingehen.

Ist das auch deine Philosophie? Du nimmst dich nicht zu ernst, sondern machst einfach, gehst Risiken ein – und wenn du einen Fehler machst, korrigierst du ihn?

Für mich ist es so: wenn ich meine Zeit mit Klavier und Gesang verbringe, kann ich nicht traurig sein oder verspannt. Ich werde automatisch leicht froh und frei. Musik ist in meinen Augen Ausdruck von Harmonie. Fehler sind nicht immer schlecht. Sie können dich auf ganz neue Wege führen. Neue Ideen bringen. Es geht nicht darum Fehler zu vermeiden, sondern sie bewusst wahrzunehmen und damit zu wachsen.

Dann trifft dich ein Rückschlag nicht genauso im Negativen wie es das Musizieren im positiven Sinne tut?

Nein. Denn ein Rückschlag oder besser eine Enttäuschung ist immer die Wegnahme einer Täuschung und somit die Möglichkeit zu mehr Klarheit und Wachstum. Nur ein Schritt auf dem weiteren Weg. Ich habe keine Angst davor.

Das klingt fast so, als ruhest du vollkommen in dir. Ich fand es schon sehr bewundernswert, wie nebensächlich du erzähltest, dass du seit fünfzehn Jahren von der Arbeit in der Gastronomie lebst. Als ob es nie auch nur einen Moment der Frustration darüber gab, dass du nicht von deiner Musik leben kannst.

Natürlich gibt es Momente der Frustration. Trotz allem. Aber ich liebe die Gastro auch. Es ist ein herrlicher Job mit viel Bewegung und immer neuen Menschen. Auch vielen Künstlern. Die Liebe zur Musik ist eine der innigsten und reichsten Erfahrungen meines Lebens. Ich hatte Angst, dass mir diese Freude verloren geht, wenn ich damit Geld verdienen muss. Ich möchte kein Sklave eines Marktes werden, in dem es darum geht zu gefallen und zu verkaufen. Lieber schenke ich meine Musik ganz privat dem Ohr, das sich daran erfreut, mir zu lauschen.

Und wie gehst du mit belastenden Gefühlen um, wenn sie da sind?

Ich nehme sie wahr. Und dann lass ich sie los und versuche mich auf das zu fokussieren, was ich erschaffen will. Ich bin ganz gut darin, aus jeder noch so bescheuerten Situation die beste Essenz für mich rauszuholen. Sprich: aus Stroh Gold zu spinnen. Etwas, das man im Osten ganz gut lernen konnte. (lacht)

Letztlich konzentrierst du dich auf das Wesentliche: den Schaffensprozess. Wenn man nicht bei einem Majorlabel unter Vertrag ist, das einen tierisch pusht, hat man auf alles, was nach dem Songwriting kommt, eh keinen Einfluss.

Ja, vielleicht nicht so richtig, ob andere Menschen die eigene Musik feiern oder berührend finden, das kann man nicht wirklich beeinflussen. Wohl aber doch die innere Haltung zu sich selbst. Wenn du als Musiker Sachen machen willst, die gefallen, musst du dich am Geschmack der Leute orientieren. Wenn du einfach nur einen Ausdruck schaffst, deinen eigenen, dann ist im Prinzip egal, wie es den Leuten gefällt. Der Ausdruck allein zählt. Das Gefühl. Die Freude.

Diese Fähigkeit im Jetzt zu sein: rührt die auch von deinem Glauben her? Ich frage, weil du am Anfang des Gesprächs Gott erwähnt hast.

Ich glaube Yoga und Meditation haben einen wesentlichen Teil dazu beigetragen. Ich bin per Definition nicht gläubig, also ich gehöre keiner Religion an.

Ich rate mal: Gott ist für dich nicht der weißbärtige Mann auf der Wolke, sondern das Gefühl, dass alles im Universum verbunden ist. Und Musik ist der Zugang dazu.

Musik ist ein Zugang. Ich würde eher „Hingabe“ sagen. Alles was ich mit kompletter Hingabe tue, führt mich zu „Gott“, also diesem Verbundensein mit allem. Das kann alles sein. Ein gutes Gespräch, Zärtlichkeit, Nahrungsaufnahme, Natur. Musik ist dafür besonders wundervoll: Im Kern ist der eigene Herzschlag schon die erste Musik, die man hört. Sie fängt bereits an, bevor man sie begreift. Bevor man sie fassen kann, hört man sie schon.

Dana Shanti bei Bandcamp

Bildquellen

  • Dana Apitz (Fotocredit Rainer Raschewski): Foto: Rainer Raschewski