Irgendwas mit Schreiben: Protokoll
Was macht man eigentlich, wenn man eine Schreibschule erfolgreich absolviert hat? Ein Auszug aus der frisch erschienenen, erweiterten Auflage des Sammelbandes Irgendwas mit Schreiben.
Hallo, ich heiße Martina Hefter und ich arbeite in einem Poledance-Studio. Dort unterrichte ich Spagate (seit und quer), Rückwärtsbeugungen aus dem Stand bzw. Kniestand, Beinhebungen und Hamstringdehnung über 90 Grad, statisch und dynamisch, und vieles mehr. Die Poletänzerinnen sagen mir oft, wie sehr sich ihr Tanz mit meinem Unterricht verbessert habe. Dann freue ich mich. Poledance selbst unterrichte ich nicht, das kann ich nicht.
Ich heiße Martina Hefter und ich arbeite für eine Frau in meinem Alter, die zur Zeit an ihrem ersten Roman schreibt. Ich bin eine Mischung aus Lektorin und Schreibcoach. Ja, ich nehme Geld dafür, die Frau zahlt es mir gern. Sie sagt mir oft, dass ich ihr Schreiben wirklich voranbringe. Dann freue ich mich. Ich habe früher schon mal mit ihr gearbeitet, an einem Band mit Erzählungen. Den hat sie im Selbstverlag rausgebracht. Dafür bekam sie später einen kleinen Literaturpreis, ich habe im Internet nachgesehen, ein seriöser Preis. Da war ich ein bisschen stolz. Für den Roman möchte sie einen Verlag suchen und ich halte das nicht für unrealistisch. Ich würde die Arbeit nicht machen, wenn ich die Texte der Frau für völlig aussichtslos hielte.
Ich heiße Martina Hefter und habe im letzten Sommer sechs Wochen lang für Tino Sehgal als Performerin gearbeitet und ganz gut verdient.
Ich, Martina Hefter, arbeite in einer Performancegruppe und die Chancen stehen nicht ganz schlecht, dass auch unser zweites abendfüllendes Stück Förderung von den entsprechenden Stellen bekommt.
Am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst unterrichte ich, Univ. Lekt. Martina Hefter, derzeit eine Mischung aus Performance und Schreiben für andere Kunstsparten. Ab und zu gehen wir auch in ein Studio im Tanzquartier Wien oder machen Bewegungsspiele im Stadtpark.
Außerdem erscheint im nächsten Frühjahr mein siebtes Buch.
Nach drei Romanen und drei Gedichtbänden wird es ein Buch überwiegend mit szenischen- bzw. Sprechtexten. Von dieser Textsorte will ich vielleicht auch drei Bände machen. Welches Genre nach diesen drei kommen wird, weiß ich noch nicht. Dass ich dann drei Erzählungsbände schreibe, glaub ich eher nicht.
Ich kann Texte sprechen, tanzen, Gymnastik und Fitness unterrichten und – na ja, schreiben kann ich auch. Ich habe am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Zuvor habe ich drei Jahre lang in einem Fitnessstudio gearbeitet. Das war schon ein krasser Wechsel. Im ersten Semester in Leipzig habe ich mir einen Job gesucht, und tatsächlich landete ich auch da wieder in einem Fitnessstudio.
Im Sommer 2000 saß ich in einem DLL-Seminar zur Gegenwartsliteratur, es ging um Judith Hermanns erstes Buch Sommerhaus, später. Mit einer Mitstudentin schloss ich eine Wette ab. Was die Hermann kann, können wir auch, nein, können wir nicht. Weil es nicht unsere eigentliche Haltung ist, in der wir schreiben, werden es keine Texte werden, die irgendjemand gut finden wird, dachte ich. Unsere Erzählungen im Hermann-Stil schickten wir wenig später zum Open Mike-Wettbewerb.
Diese Erzählung las ich im folgenden November beim Open Mike vor, und sie wurde das Eingangskapitel meines ersten, na ja, Romans. Anders als Judith Hermann blieb ich relativ unberühmt, obwohl es Besprechungen in allen großen Tageszeitungen gab. Allerdings ist das Buch doch anders als Judith Hermanns Buch geworden. Den Hermann-Stil habe ich schon ein bisschen verfehlt.
Unter bestimmten Umständen hätte ich auch total reich werden können, kommt mir manchmal in den Sinn, wenn ich daran zurückdenke. Aber um den Preis, dann mit einem Buch leben zu müssen, dass man nur wegen einer Wette anfing zu schreiben?
Mein Freund (jetzt Ehemann) und ich entwarfen den Arbeitsplan: Drei Wochen hatte ich mir vom Verleger (der mich als Mitglied der Vorjury zum Open Mike eingeladen hatte) erbeten. In der Zeit, sagte ich ihm, wolle ich das Manuskript meines gerade entstehenden Romans nochmal durchsehen und ihm dann schicken. Das war schon schlimm gelogen, das Manuskript gab es noch gar nicht und ein Roman entstand gerade auch noch nicht. Aber hey, drei Wochen, absolut machbar. Mein Verlobter würde den Großteil der Elternpflichten übernehmen und ich konnte den Anfang des Romans schreiben, natürlich wieder im Hermann-Stil. Wir waren schwanger mit dem zweiten Kind. (Übrigens ist das erste Schreibschulkind Deutschlands nicht das Kind von Thomas Klupp, wie er in seinem Textbeitrag schreibt, sondern die erste Tochter von Jan Kuhlbrodt und mir, geboren im Juni 1999. Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit wurden vom gesamten Literaturinstitut mit großer Anteilnahme verfolgt, es gab sogar eine offizielle Einladung zur Baby-Vorstellung von Seiten der Professorenschaft, und so einige meiner Mitstudierenden haben in den ersten Monaten den Kinderwagen durch den Clara-Zetkin-Park geschoben. Die Professoren schenkten meiner Tochter unter anderem einen Plüschteddy. Den hat sie heute noch.)
Es war die Zeit der hohen Vorschüsse nicht nur für junge Frauen. Das neue Erzählen stand in seiner Blütezeit. Die Literaturszene glich einer Mischung aus Hollywood, Börse und Mafia. Verhandlungen in Hinterzimmern. Hohe Geldbeträge flossen. Man konnte über Nacht ein Star werden. Ich küsste das Baby auf den Scheitel.
Kurz bevor ich die Erzählung im Hermann-Stil schrieb, hatte ich als Ghostwriterin ein Buch geschrieben. Ein Bekannter, Lektor eines inzwischen untergegangenen Leipziger Verlags, hatte gefragt, ob ich Lust dazu hätte. Das Honorar war nicht schlecht. Auf dem Buchumschlag würde der Name eines Mannes stehen. Er hatte die Idee zum Buch gehabt und entsprechende Fakten gesammelt, war aber dem Schreiben der Texte nicht ganz gewachsen. Das Buch hieß Das Lexikon der Filmpannen, es war die große Zeit der populären Lexika. Eine unterhaltsame Versammlung spektakulärer Filmfehler sollte es werden, also zum Beispiel, wenn in einem Römerfilm ein Gladiator eine Swatch am Handgelenk trägt. Ich schrieb die Texte anhand der von dem Mann zusammengetragenen Pannen und mit Hilfe eines dreibändigen Filmlexikons, das der Verlag extra für mich anschaffte. Mein Name würde auf dem Buch nicht erscheinen, das war ein gutes Gefühl. Ich hatte Spaß am Schreiben. Oft lachte ich über meine eigenen Texte, ich fand sie witzig, es war, als ob sie gar nicht von mir wären.
Das Buch verkaufte sich sehr gut, es war eigentlich mein bestverkauftes, es erreichte fünf Auflagen. Der Mann, der für den Autor gehalten wurde, wurde in mehrere Fernsehsendungen und zu Lesungen eingeladen, und in der FAZ erschien eine kleine Rezension. Darin wurde das filmische Fachwissen des Autors gelobt, in Verbindung mit der originellen, unterhaltsamen Darstellungsweise. Weil mein Name nicht vorn auf dem Buchumschlag stand, konnte ich nicht am Verkauf beteiligt werden. Diese Regel gibt es tatsächlich. Die Nachforderungsregel, nach der bei unerwartet hohen Verkaufszahlen Ghostwriterinnen, Übersetzerinnen usw. nachbeteiligt werden können, wurde ein paar Jahre später eingeführt, aber ich hätte Anwälte gegen die Verlagsleiterin bemühen müssen. Das wollte ich nicht, ich mochte sie gern und war auch zu faul für solch große Sachen. Um Millionen ging es ja
nicht.
Hallo, ich bin Martina Hefter.
Ja, ich glaube schon, dass ich schreiben kann.
In der Haltung des Ghostwriting habe ich auch meinen ersten Roman geschrieben. Eigentlich auch meinen zweiten und den dritten Roman. Ich schrieb als Ghostwriterin für Martina Hefter Auftragstexte, die so klingen könnten, als wären sie von Martina Hefter. Mit Martina Hefter hatten sie überhaupt nichts zu tun, auch wenn ich zum Teil autobiografische Details als Strukturgeber verwendete.
Während der gesamten Zeit um meinen ersten Roman herum studierte ich noch am DLL. Ich sah das Ganze mehr wie eine Art Praktikum, denke ich heute.
Mein erster Roman erschien übrigens am 11. September 2001. Vormittags bin ich noch mit dem neuen Baby in die Stadt, zum Hugendubel, weil ich sehen wollte, ob mein Buch da in einem Stapel liegt. Lag es, der Stapel war so mittelgroß. Mein Verleger meinte ein Jahr später, wäre 9/11 nicht geschehen, wäre das Buch viel erfolgreicher geworden. Mein Roman handelte im weitesten Sinn vom geteilten Deutschland, vom Ankommen einer jungen Frau aus dem Westen im Osten. Mit 9/11, meinte mein Verleger, wäre das ost-westdeutsche Thema komplett unwichtig geworden, weil die Welt mit einem Schlag riesengroß war und Ost-Westdeutschland nur ein total unerheblicher Flecken. Das fand ich nachvollziehbar. Aber auch idiotisch. Nur weil sich eine neue Welt auftut, ist die alte ja nicht verschwunden.
Ich glaube sowieso eher, mein Buch wäre erfolgreicher geworden, wenn ich mich mehr mit dem Schriftstellerberuf identifiziert hätte. Zu der Zeit
überlegte ich gerade, ob ich nicht wieder mit dem Tanzen anfangen sollte. Das alles klingt so, als wären die Roman- und die Auftragsschriftstellerei das schlechte Schreiben, und dann gäbe es als Gegenpart dazu auch ein gutes Schreiben. Ein ehrliches sozusagen, ein echt künstlerisches. Meine Gedichtbände schrieb ich schon in anderer Haltung als die Romane. Aber eben doch auch in einer Haltung.
Ich, Martina Hefter, trainiere jeden Tag an die drei Stunden – Ballett, Pilates, Fußmuskulatur, Dehnung. Das brauche ich, um als Performancekünstlerin vor einem Publikum jederzeit Präsenz herstellen zu können. Auch bei Lesungen hat es mir schon genützt, weil ich mir an so einem Lesetisch normalerweise furchtbar peinlich vorkomme.
Wenn wir an unseren Stücken arbeiten, kommen durchschnittlich zwei Stunden Proben mit meinem Performancekollektiv dazu. Im Moment probe ich (noch moderat) für eine Solo-Arbeit: Derzeit schreibe ich einen Sprechtext für mich selbst als Darstellerin und ich setze ihn zugleich schon in Szene.
Das Literaturinstitut war mir immer eine Nummer zu – eng irgendwie. Trotzdem habe ich wirklich viel gelernt dort und möchte die Zeit nicht missen.
Ich mag eigentlich gar nicht gern schreiben. Den körperlichen Vorgang des Schreibens zumindest finde ich furchtbar. Ich bekomme eine schlechte Haltung und Rückenschmerzen. Auch schlechte Laune. Deswegen wurde ich lieber nicht Schriftstellerin. Ich bin eine Künstlerin, die auch Texte schreibt. Ich schreibe nur solche Texte, die mich am Tag nicht mehr Zeit kosten als eine Stunde.
Ich bin unbedingt für eine Zusammenlegung der Schreibschulen mit Kunst-, Theater-, Musik- und Tanzhochschulen. Die Mittel und Materialien sind
andere, aber das Tun selbst, die Arbeit, ist in allen Bereichen gleich. Das sehen die meisten meiner Studierenden am Institut für Sprachkunst in Wien auch so.
Zum ersten Mal, seit ich in der KSK bin (seit dem Jahr 2001) werde ich für 2017 meine überwiegenden Einkünfte im Bereich „Performance“ haben. Ich bin trotzdem Autorin, das Schreiben gehört zu meinem Beruf unbedingt dazu. Was der Beruf ist, weiß ich nicht.
Das Diplom vom DLL habe ich in meinem Sekretär liegen.