Kay Voges vs. CDU Hannover: Freischütz, Leitkultur, Opernglanz und Bildungsauftrag

Wie der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion einer Landeshauptstadt die Debatte um Original und Werktreue zombifiziert – und was Theater- und Kulturmenschen spontan dazu einfällt.

Am Montag, dem 14. Dezember 2015 titelte die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „“Sonst können Sie die Oper ganz zuschließen“ – Der Freischütz in der Staatsoper polarisiert die hannoversche Stadtgesellschaft. Während der Premiere am vergangenen Sonnabend wurde gebuht und applaudiert zugleich. Die CDU-Ratsfraktion fordert jetzt den Kulturdezernenten Harald Härke auf, an der Staatsoper durchzugreifen.“ Ein Opernskandälchen aufgrund einer zu zeitgenössischen Inszenierung also. Ab und zu kommt das tatsächlich auch in Landeshauptstädten noch vor, was auch immer man davon halten mag.

Aber was genau meint die hannoversche CDU mit „durchgreifen“? Die HAZ führt weiter aus: „Die hannoversche CDU-Ratsfraktion fordert den städtischen Kulturdezernenten Harald Härke auf, bei der Oper „bei aller Freiheit für die Kunst dafür Sorge zu tragen, dass die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, lebendig bleiben und nicht ins Niveaulose und Beliebige gezogen werden“. Damit reagiert der kulturpolitische Sprecher der Fraktion, Oliver Kiaman, auf die Premiere des „Freischütz“ am Wochenende, die das Werk sehr modern mit Verweisen auf Pegida und Fremdenfeindlichkeit umsetzt – und die heftige Reaktionen beim Publikum hervorgerufen hatte.“ Der Versuch also, ein Opernskandälchen für eine kulturpolitische Positionierung gegenüber dem erst seit sechs Wochen amtierenden parteilosen Kulturdezernenten Harald Härke zu nutzen.

Laut HAZ beklagt der erst 37jährige Kulturpolitiker Oliver Kiaman, immerhin auch Kuratoriumsmitglied der hannoverschen kestnergesellschaft, außerdem den verloren gegangenen Glanz der Staatsoper, den „unsäglichen Kulturverlust“ und den verfehlten „staatlichen Bildungsauftrag“. „Die Oper enthalte der Öffentlichkeit „mittels Verstümmelung, Verzerrung und Verfälschung“ Originalwerke vor und reduziere sich auf Provokation“, zitiert die HAZ Kiaman.

Anstatt selbst ausführlicher kulturpolitisch aufzustöhnen, beschloss ich, die geballte Intuition und Intelligenz der zahlreichen mit mir auf facebook befreundeten Theater- und Kulturmenschen zu nutzen, um ein spontanes, aber breit angelegtes Stimmungsbild zu erhalten. Und herauszufinden, ob nur ich mich bei der Sache wirklich unwohl fühle. Ich teilte also den Zeitungsbericht und kommentierte:

„Womit Hannovers CDU sich erfolgreich in der Provinz der 1960er Jahre verortet hätte. So wird das nix mit Kulturhauptstadt 2025… Ich weiß ja gar nicht so recht, ob man da noch irgendetwas halbwegs Zurechnungsfähiges antworten kann oder sollte. Andererseits ist das eine ernst gemeinte Aufforderung einer Ratsfraktion an den Kulturdezernenten einer Landeshauptstadt. Im Jahr 2015. Es geht mir dabei nicht so sehr um die Inszenierung an sich, sondern um die Pauschalität der Forderung und das kulturpolitische Profil, das ein Teil der hannoverschen Ratsmitglieder damit von sich zeichnet. Eine kritische Rezension veröffentlichte zum Beispiel der NDR. Eine differenziert wohlwollende die Welt. Die nachtkritik berichtete nicht, der eher positive Text in der HAZ ist hier verfügbar. Wenn ein Teil meiner Theaterfreunde mir also kurze Statements oder Zitate in den Kommentaren schickt, verspreche ich, sie als Collage auf www.zebrabutter.net zu veröffentlichen. Wenn das keinen interessiert, ist das auch ok…“

Innerhalb der folgenden 24 Stunden erreichten mich folgende Statements und Kommentare, die ich unkommentiert und in originaler Reihenfolge wiedergebe:

Yvonne Franke, Zebrabutter-Autorin, [München]:
„Vielleicht könnte die CDU sich ja einmal eine Spielzeit lang an der Staatsoper inszenieren und das Ensemble übernimmt dafür ein paar Regierungsaufgaben.“

Oliver Kluck, Ratsherr und Mitglied im Kulturausschuss Hannover (Die Grünen), [Hannover]:
„Erste Reaktion ist bei mir ein Fremdschämen. Das ist eine Auslegung des Bildungsauftrags der Staatsoper, bei dem es mir graust. Die Interpretation eines Stückes, und hier eine mehr als zeitgemäße, ist das, was Kunst soll und darf (nicht muss). Da hat die Politik ihren Babbel zu halten. In Hannover haben wir nicht ohne Grund einen Theaterbeirat, der über die Förderung der Freien Theater entscheidet, und nicht Politik (wenn auch pro forma bei Beschluss der Empfehlungen des Theaterbeirats) und nicht die Verwaltung. Art. 5 Absatz III GG, die Kunstfreiheit muss garantiert bleiben.“

Jan Fischer, Autor und Journalist (u.a. Zebrabutter-Gründer, nachtkritik, HAZ), [Hannover]:
„Ich versteh‘s nicht. Ganz ehrlich, ich versteh‘s nicht. Was wollen die? Werktreue Inszenierungen? Wann haben wir das, als Kultur, als Menschheit, hinter uns gelassen? Vor der Moderne, oder? Diese Forderung ist so mindestens seit der Erfindung des Films Quatsch. Das wären dann so ungefähr 120 Jahre. (Mehr morgen.) /// Dann nochmal ausführlicher. Ich habe jetzt mal brav alle Kritiken gelesen, und, ehrlich gesagt, ich versteh‘s immer noch nicht. Wir haben da einen Regisseur, der eine Oper genommen hat und sie auf Aktualität hin interpretiert hat. Keine Ahnung, ob das eine gute oder schlechte Inszenierung war, ich war nicht dabei. Aber immerhin ist es ein Versuch, Oper an gesellschaftliche Aktualitäten anzudocken, was man ja im Prinzip geradezu fordern muss – ich bin kein Opernexperte, aber von Theater wird das andauernd gefordert und umgesetzt, und es ist allen ziemlich egal. Das machen die halt. Da ist es eher peinlich, wenn ich als Regisseur nicht versuche, meine Inszenierung aus der Vorlage heraus umzudeuten und umzugestalten. Von daher finde ich die ganze Geschichte aus Theatersicht eher etwas putzig, weil da eben andauernd der Hobel an Klassiker gesetzt wird. In der Oper – oder zumindest an der Oper in Hannover – passiert das offenbar nicht, und, es tut mir leid, das zu sagen, das passt ein bisschen zu dem Bild, das ich als Nicht-Opern-Gänger von der Oper habe: Dass da, schönes Wort in der HAZ-Kritik, der alte Stoff nur „verwaltet“ wird wie in einem Museum, dass die Oper eine ganz eigenartige Bastion eines alten Begriffes von Hochkultur ist, in die so leicht nichts reinkommt, auch, weil ein Bollwerk aus öffentlichen Geldern und politischen Verwicklungen den Laden vor Innovation schützt. Das ist sicherlich unfair und stimmt nur bedingt, aber das ist das Bild, das ich von meinen paar Opernbesuchen und dem, was auf Plakaten und aus Programmheften zu mir dringt, erhalte. Das ist ganz offenbar auch das, was unser Freund Kiaman von der CDU-Ratsfraktion auch denkt, nur positiv umgedeutet. Lächerlich finde ich, dass er da mit der „Freiheit der Kunst“ ankommt, und sie einschränken will, weil er nicht das gesehen hat, was er sehen wollte, das ist so lächerlich, das nehme ich noch nicht einmal ernst, das kann ja auch niemand ernst nehmen, das wird auch niemand ernst nehmen. Das Problem liegt, finde ich, ganz woanders, nämlich in der Frage, wo dieser Mann seinen Opernbegriff herhat, den er da mit Zähnen und Klauen verteidigt. Und natürlich hat er ihn von der Oper selbst – von den Inszenierungen, die er da gesehen hat, die, vermute ich, in den meisten Fällen hübsche, fluffige Inszenierungen ohne Reibefläche waren, er fasst das, glaube ich, unter den Begriff „Glanz“, was auch immer man darunter verstehen soll, es scheint etwas mit Kulissen und hübscher Musik und Leuten, die in Kostümen in den Kulissen herumturnen, hübsch singen und altmodisch sprechen zu tun zu haben. In Hannover scheint dieser „Glanz“ nicht mehr ganz so zu glänzen wie vorher – was ich ja positiv bewerten würde –, offenbar, weil die Oper auch versucht, sich umzuorientieren, weil sie, wie alle Theater, mittlerweile gemerkt hat, dass die alten Operngänger alle wegsterben und neue nicht nachkommen, weil es ein Imageproblem gibt. Gleichzeitig das aber genau der Spagat ist, den viele Theater (und, vermute ich, Opern) aufführen müssen, gerade auch, weil öffentliche Gelder gekürzt werden: Einerseits mit Cash-Cow-Inszenierungen fürs betuchte, konservative Bürgertum Geld einfahren, andererseits fürs jüngere Publikum Relevanz behaupten, dann oft auch mit Inszenierungen, die finanziell nicht funktionieren. Ideal wäre ja, beides in eine Inszenierung zu gießen, was künstlerisch gerade für eine Oper mit einem etwas angestaubten Image ja auch eine Herausforderung ist, die viel Experiment und Mut verlangt – aber eines garantiert nicht: Glanz und museale Verwaltung alter Stoffe. Mir scheint der Freischütz genauso ein Experiment gewesen zu sein, mit einem kleinen, kalkulierten Skandal, weil ja keine Presse schlechte Presse ist (ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich möchte diese Inszenierung gerne sehen – klingt auf jeden Fall gut) und Theater ja auch gerne mal die Relevanz ihrer Inszenierungen an der Menge der Berichterstattung darüber messen. Und dann bei der Verteilung der Gelder auch was vorzuzeigen haben.“

Sebastian Standke, Kulturwissenschaftler und Autor, [Hildesheim]:
„Ja mei. Was in Polen unter der PiS-Partei gerade so auf kunstpolitischer (und anderer) Ebene abgeht, das kann das olle Hannover mit der CDU doch auch!“

Jan Deck, Geschäftsführer Landesverband Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen e.V., Gründer Forum Diskurs Dramaturgie der Dramaturgischen Gesellschaft, [Frankfurt a. M.]:
„Wie groß ist gerade bei Konservativen das Geschrei, wenn irgendwelche konservativen Muslime aus religiösen oder moralischen Gründen Kunstwerke kritisieren. Dann werden „unsere Werte“ gefährdet. Manchmal ist also auch die CDU eine Sammlung von zivilisationsfeindlichen Hasspredigern.“

Sarah Kindermann, Theaterkollektiv Sanierte Altbauten, [Hildesheim]:
„Wer beurteilt denn, wo das „Niveaulose“ und „Beliebige“ anfängt? Sollen dann einheitliche Kriterien für Theater festgelegt werden? Wenn der Maßstab „Glanz“ ist und das Überprüfen von Werken auf ihre Aktualität untersagt, dann kann der Großteil von uns das Theatermachen natürlich auch gleich sein lassen und sich mit dem Kulturwissenschaftsabschluss auf niveauvollere Stellen bewerben. Theaterzensur zum Beispiel. Betrifft die Zensur dann eigentlich nur Werke, die in irgendeiner Form die nationale Identität stärken/gestärkt haben, oder ist das jetzt Zufall?“

Melanie Huber, Autorin und Journalistin (u.a. HAZ), [Hannover]:
„Die (kurze) Debatte um die Woyzeck-Inszenierung von Heike M. Götze am Schauspiel Hannover während der Spielzeit 12/13 war doch ähnlich. Plötzlich mussten während der Vorstellung ohnmächtig gewordene Schülerinnen für empörte Eltern, Lehrer und Politiker herhalten. Die Lehrer dürfen sich übrigens seitdem Stücke im Vornherein angucken, um selbst entscheiden zu können, ob die jeweilige Inszenierung für ihre Schüler tragbar ist oder nicht. Sollte man als Konsequenz aus dieser provinziellen Heißluft“debatte“ den hiesigen CDU-Ratspolitikern auch anbieten.“

Klaus Gürtler, Geschäftsführer CulturConsult, bis Januar 2015 PR-Manager der Freien Theater Hannover, [Hannover]:
„Hab den Schreifritz noch nicht gesehen. Wird schleunigst nachgeholt. Aber Kiaman, was hat dich geritten? Endlich mal ’nen Shitstorm auslösen? So wie Philipp Mißfelder selig? Pegida-Stimmen sammeln und Herrn Wruck eingemeinden?“

Ulrike Dallapozza, Schauspielerin, [Hannover]:
Ich finde, das klingt ziemlich spannend. So, als ob es mal andere Menschen in die Oper locken könnte, als die, die sonst hingehen, junge Leute, frisches Publikum. Aber das soll vielleicht nicht so sein? „Die Oper gehört uns! Die teilen wir nicht!“ Dann stirbt sie wohl demnächst aus, dann kann man sie tatsächlich schließen.

Maike Tödter, Geschäftsführerin Zwei Eulen – Büro für Kulturkonzepte, [Hamburg]:
„Bei derlei Debatten geht es immer (auch) um Deutungshoheit. Wenn von „Verstümmelung“ von sog. Meisterwerken oder großer Kunst die Rede ist, dann stellen diese Positionen, die (vermeintlich) zeitlose Autonomie des Kunstwerks über Diskurs, Befragung und Positionierung von einem Material in der Jetztzeit. Hier wird aus meiner Sicht klar, was für seltsame Auswüchse der Glaube an die Erhabenheit von „Kunst“ annehmen kann. Personen oder Parteien, die ernsthaft verlangen, etwas abzusetzen, weil es nicht schön ist, und nicht etwa weil es z.B. verfassungswidrig ist oder ähnliches, bewegen sich aus meiner Sicht sehr nahe am Faschistoiden. Da stehen Menschen auf Werktreue, den Glamour der Oper, Distinktionsmechanismen der Hochkultur. Bitte sehr, nicht meine Welt. Sobald aber jemand seine politische Macht als Werkzeug einsetzt, um seine eigenen Maßstäbe zum Parameter für künstlerische Arbeit durchzusetzen, finde ich das undemokratisch.“

Maria Herles, Theaterhaus Hildesheim, [Hildesheim]:
„Heidewitzka, wo soll man da ansetzen? Vielleicht dort: Wo sich jemand den „Glanz“ von früher zurückwünscht und im gleichen Atemzug den „staatlichen Bildungsauftrag“ in Gefahr sieht, da hat derjenige (zum einen Theater weder als Genre noch als Institution verstanden, aber vordergründiger:) sich wohl auf’s eindimensionale Bewahren spezialisiert, fährt also gerne mit Vorliebe und im Dauerbetrieb im Kreisverkehr. Nun darf natürlich im privaten Rahmen jede/r sich wünschen, was (bzw., so lange im Kreis fahren, wie) er/sie möchte, dies jedoch als Politiker mit einem petzend-anklagenden Habitus derart dreist in die Öffentlichkeit zu blasen ist, gelinde gesagt, anmaßend. (Oder das Ganze ist eine verflixt gut gemachte Werbekampagne, um auch ja die richtige Zielgruppe zu treffen. Bei mir hat’s funktioniert.)“

Holger Much, Redakteur Zollern-Alb-Kurier, [Albstadt]:
„Das war’s dann mit der „Freiheit der Kunst“…? Da ist man bei uns in der „Provinz“ deutlich weniger provinziell …“

Lisa Großmann, Graduiertenkolleg Das Wissen der Künste, UdK Berlin, [Berlin]:
„Ich musste sehr lachen über so viel Rückständigkeit. Sehr amüsant wie da Theater und die Vorlage von Theater – ob nun Musik oder Literatur oder ‘ne Kombi aus beidem – miteinander verwechselt werden. Ich fühlte mich in die Zeiten Max Herrmanns zurückversetzt. Man sollte diese Realsatire ebenfalls auf die Bühne bringen, am besten als Exkurs kurz vor‘m Höhepunkt der Inszenierung in Hannover.“

Holger Bergmann, Künstlerischer Leiter Festival Favoriten, ab Januar 2016 Geschäftsführer Fonds Darstellende Künste, [Mülheim]:
„An solchen porösen Stellen zeigt sich die ängstliche und zerbrechliche Haltung der Politik in postdemokratischen Zeiten, es soll wieder alles zurück zu einem „Früher“. Vor allem möchte die Politik, die Ökonomie und auch das Theater immer wieder alles nach innen holen: im Parlament, in der Shopping Mall und im Theater soll die Welt verhandelt werden. Das Universum dehnt sich aber bekanntlich aus, und wenn es dem Theater gelingt, die Verhandlung über sich selbst hinaus auszudehnen, ob durch den Charakter einer Inszenierung, das ästhetische Format oder eine entsprechende räumlichen Setzung, werden die Innenwelten porös. Es gelingt, Wirkungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen zu erzielen … Manchmal zeigt sich dann auch so etwas wie Wirklichkeit: die Angst der Politik vor ihrer Bedeutungslosigkeit und der verzweifelte Versuch, mit der Einschränkung von Freiheit diese Bedeutung zurück zu gewinnen … Erschreckende Realität, die nun durch die trügerische Kraft der Kunst erzeugt werden kann … MACHT MEHR OPER!“

Anja Dirks, Leiterin Festival Bellouard Bollwerk, bis 2014 Leiterin Festival Theaterformen, [Basel]:
„Das ist billige PR. Da die Stadt nichts zur Finanzierung des Staatstheaters beiträgt, ist die „Aufforderung“ an den Kulturdezernenten nichts als heiße Luft. Und das weiß die CDU Ratsfraktion ja auch. Aber man steht in der Zeitung und punktet bei einer bestimmten Klientel.“

Antonia Tittel, Schauspielerin (u. a. machina eX, Fata Morgana), [Hildesheim]:
„Willkommen zurück in der Welt der Standbein Spielbein Inszenierungen.“

Merlin Schumacher, Zebrabutter-Gründer, [Hildesheim]:
„Wenn die CDU an der Kultur in Hannover sparen möchte, soll sie es doch einfach sagen. Da muss man nicht solche hysterischen Argumentationen heranziehen. Darüber hinaus sollte die Ratsfraktion doch etwas vorsichtiger sein damit, was sie als Kunst und als Nicht-Kunst bezeichnet. Falls sie diese Kunst für aus der Art gefallen hält kann sie sicher festmachen, woran das liegt und vielleicht gar in einen öffentlichen Diskurs treten in dem Kunst und die Kunst, die keine ist, in Gegensatz gestellt werden.“

Markus Wenzel, Theaterkollektiv Markus&Markus, [Berlin]:
„Naja. Also erstmal kurz durchatmen alle. Es ist sehr einfach in linker Konsensbeschwingtheit auf der CDU rumzuhacken. Leider vertritt die nämlich Teile der Bevölkerung deren Meinungen uns eher fremd sind, die es aber in einer Demokratie definitiv wert sind, vertreten zu werden. Und daher ist es nun mal der Lauf der Dinge, auch wenn das ein sehr ärgerlicher Lauf ist, dass einige senile alte Herren der Parteibasis ihre politische Aufgabe ernst nehmen und Anliegen konservativer Bevölkerungsgruppen weitertragen. Wie gesagt, meine Meinung ist das nicht, aber Meinungsverschiedenheiten sind das Futter der Demokratie und am deutlichsten wird das, wenn sich konservative Opernbesucherinnen und Anhängerinnen einer performativen Darstellungsform jenseits festgeschriebener Genregrenzen die Köppe einhauen. Das ist witzig! Das sollte jederzeit möglich sein. Von daher also Danke, dass das die CDU getan hat. Sie hat damit die demokratische Diskussionskultur am Leben erhalten. Nichts ist festgeschrieben in einer Demokratie. Auch nicht, dass Kunst alles dürfe. Es muss und soll ständig ausgehandelt werden. Und das auch durch Prozesse der Realpolitik. Denn tatsächlich haben Theater- und Opernhäuser auch einen politischen Auftrag, zumal es sich hier um eine Staatsoper handelt. Es ist vielleicht etwas vermessen zu sagen: Aber wenn eine geförderte Institution gewisse Aufgaben nicht wahrnimmt und sich dann auch noch der Diskussion darüber entzieht mit dem Argument, es handle sich ja hier um Kunst, dann ist das auch nicht Okidoki. Zumindest wäre es interessant zu versuchen zu ergründen, warum dieses Zeug nur zwei Prozent der Bevölkerung interessiert. Künstler*innen darf es nicht zu einfach gemacht werden. Sie agieren nicht zum Selbstzweck und ihre Aktion findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist ein sozialer und ein politischer Prozess und der bedarf daher auch politischer Regeln, Abstimmungen und Entscheidungsfindungen. Das schützt vor Hybris, Selbstverliebtheit und Stagnation.“

Frauke Surmann, Wiss. Mitarbeiterin Graduiertenkolleg InterArt, FU Berlin, [Berlin]:
„Ich finde es wichtig, in dem Zusammenhang noch einmal den Unterschied zwischen Kunst und Kultur zu reflektieren, wie ihn Oberender jüngst in seinen 10 Thesen aufruft und daran anschließend zu fragen, wer spricht hier eigentlich mit wem worüber. Dann wird schnell klar, dass die Adressierung per se schlichtweg falsch ist.“

Freischütz-Regisseur Kay Voges, Intendant des Schauspiel Dortmund, sagte übrigens vor wenigen Wochen im Rahmen der Tagung Mobilize! Theater trifft Aktion, deren Gastgeber er war: Theater sei für ihn der Raum, in dem Gegenwart verhandelt werde, sie dürfe dort nicht abhanden kommen. Das System Theater laufe permanent Gefahr, in dunklen Räumen vor der Welt verloren zu gehen. Es brauche deshalb die Störung durch Menschen mit einem radikalen Blick auf Gegenwart.

Dass die CDU in Hannover nun mit ihrer Sehnsucht nach der Vergangenheit ein solches Stück Gegenwart auf der Metaebene zu verhandeln versucht, dürfte in Voges‘ weitestem Sinne sein. Auch wenn es sich dabei um einen sehr hässlichen untoten Brocken aus dem Theatermuseum handelt.

Nachtrag: Inzwischen hat die nachtkritik einen Kommentar von Georg Kasch veröffentlicht. Und Hannovers Grüne präsentieren eine erweiterte Versionn von Oliver Klucks Statement im Internet.

Nachtrag 2: Die hannoversche CDU wittert trotz allem Morgenluft und will die Sache jetzt vor eine höhere Instanz bringen. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung titelt: „Wird der „Freischütz“ ein Fall für den Landtag? Die umstrittene „Freischütz“-Inszenierung an der Staatsoper Hannover soll Thema im niedersächsischen Landtag werden. Die CDU moniert, dass das Gleichgewicht zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und Unterhaltung nicht mehr gewahrt werde. Die Stadt hat Eingriffe in die künstlerische Freiheit bislang abgelehnt.“

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