Klolektüre: Preliminary Materials For a Theory of the Young-Girl

Ändern sich Bücher, wenn sie Klolektüre sind? Was eignet sich für die Toilettensitzung und was nicht? Was für Bücher liegen da überhaupt? Wir finden es heraus. Buch für Buch. Heute: Kapitalismuskritik auf dem Pott. One Sitzung at a Time.

„Listen: The Young-Girl is obviously not a gendered concept. (S. 14)“

„The Young-Girl appears as the culminating point of this anthropomorphosis of Capital. … Society’s final moment of socialization, Empire, is thus also the moment when each person is called upon to relate themselves as value, … The Young-Girl would thus be the being that no longer has any intimacy with herself except as value, and whose every activity, in every detail, is directed to self-valorization. … all of this is immediately indexed to her absolute transparency to “society.” (S. 18)“

„Contrary to her predecessor, the organic [emphasis added] Young-Girl no longer displays the urge for some kind of emancipation, but rather a high-security obsession with conservation. For Empire has been undermined at its foundations and must defend itself against entropy. She [the Young-Girl] would no longer mimic excess, but rather, moderation in all things. (S 19-20)“

Quelle: Tiqqun (2007) Preliminary Materials For a Theory of the Young-Girl, semiotext(e). Die Übersetzung ins Englische wurde 2012 von semiotext(e) verlegt.

[Bevor wir zum Wesentlichen meiner derzeitigen Klolektüre kommen: Mir ist nicht ganz klar, warum auch in der englischen Version geschlechtsspezifische Pronomina benutzt werden, wenn das Young Girl als Konzept eigentlich geschlechtsneutral sein soll – eine Forderung, der sich sprachlich zumindest im Englischen sehr leicht hätte umsetzen lassen können. So kommt man nicht umhin, Young Girl doch als gegendertes, weibliches Konzept zu lesen und – in meinem Fall – immerzu an Instagram zu denken.]

Die drei Zitate oben sind die Essenz der Einleitung zum Konzept „Young Girl“, bricht man es auf die basalsten Elemente herunter. Für mich beschreibt die Einleitung damit ziemlich genau, wie ein Teil unserer westlichen Gesellschaft seit ein paar wenigen Jahren – seit Social Media auch in Europa angekommen ist – funktioniert. Und das erschreckenderweise ziemlich akkurat – man darf nicht vergessen, dass das Buch bereits sieben Jahre alt ist. Young Girl erfasst viele Trends, Microtrends, größere Entwicklungen und Dinge, die im Alltag inzwischen relativ normal sind. Dabei funktioniert „Young Girl“ für mich weniger als politisches, sondern eher als kulturelles Konzept. Vielleicht, weil Kultur und Kapital inzwischen so verwoben sind. Oder, weil ich Kulturwissenschaftlerin bin.
Der Schlüsselsatz für mich ist der „Anthropomorphismus des Kapitals“. Ich persönliche empfinde die Welt, die mich umgibt, zunehmend als eine, in der Wirtschaft und Kultur, beziehungsweise Personen, verschmelzen. Das ist nicht notwendigerweise problematisch. Es ist jedoch etwas, was mir besonders online aufgefallen ist, als eine Strategie, in der sich das persönliche ohne Probleme in ein kaufmännisches verwandeln lässt. Beziehungsweise Marktstrategien hauptsählich über Persönliches und Personen funktionieren. Das Konzept des „Young Girl“ lässt sich komplett unter diesem Aspekt lesen.
Passend dazu gibt einen TEDx-Talk von Jessica Joffe, in dem sie über den zunehmenden Warenwert der eigenen Person spricht. Oder, wenn ich ein hipper amerikanischer Podcaster wäre: Über die „commodification of the self“ (#forever1900). Genau diesen Vorgang finde ich in den zusammengewürfelten, teils polemischen, teils zitierten Textfragmenten im Young Girl wieder.

Als Klolektüre eignet sich das Buch übrigens deshalb so gut, weil es eben ausschließlich aus kurzen Bausteinen besteht, meistens nur ein paar Zeilen, nie länger als eine Seite. Da die Bausteine auch nur lose thematisch in ein Kapitel hineingeschüttelt wurden, lässt sich das Buch eigentlich NUR auf dem Klo lesen. Ein stringentes Lesen von vorne bis hinten ist fast unmöglich – einen kleinen Textabschnitt inklusive kurzer Reflexion dagegen schafft man wunderbar in einer Klositzung, ohne sich dabei taube Beine zu holen.

Bildquellen

  • IMG_20151110_113921: Gila Hofmann