Kurzfilm Uncanny Valley: Immer diese verdammte zweite Realität

Der Kurzfilm Uncanny Valley zeigt eine aus der Mode gekommene Dystopie – sieht aber trotzdem großartig aus.

Als erstes, als wichtigstes:  Uncanny Valley sieht großartig aus. Es ist eine dystopische Dokufiktion über die Sucht nach Onlinespielen,  über die Sucht am virtuellen Krieg und den Höhepunkten in der virtuellen Realität, die gegenüber denen im echten Leben sehr viel besser sind.

Der Film besteht aus Interviewszenen mit diesen Süchtigen die, inszeniert wie Heroinabhängige in einem Abbruchhaus, nichts mehr kennen als ihre Sucht und ihren Rausch. Dazwischen sind immer wieder Szenen aus den Spielen geschnitten, und am Ende offenbart sich, vielleicht, ein dunkles Geheimnis hinter diesen Spielen.

Das Animationsstudio hat 3dar hat mit Uncanny Valley tatsächlich einen tollen Kurzfilm vorgelegt – in den acht Minuten steckt ausreichend Material für einen Spielfilm.

Das Problem ist nur wieder dieser verdammte zweite Realität. Der Grundgedanke – Menschen verlieren sich im Spiel und ihrer Sucht danach – ist ein ein klassisches Cyberpunk-Motiv, Neuromancer basiert darauf, Snow Crashauf eine andere Art, auch, der Film Strange Days zieht – auf eine heute charmant altmodische Art – ziemlich genau dieselbe Geschichte wie Uncanny Valley durch.

Uncanny Valley, so Wikipedia, ist ein Phänomen der Akzeptanz des Publikums von Avataren oder animierten Figuren als „menschlich.“

„Während man auf den ersten Blick annehmen möchte, dass Zuschauer oder Computerspieler ihnen dargebotene Avatare umso mehr akzeptieren, je realistischer die Figur gestaltet ist, zeigt die Realität, dass dies nicht stimmt. Menschen finden hochabstrakte, völlig künstliche Figuren anziehender und akzeptabler als Figuren, die zunehmend realistischer werden. Die Akzeptanz fällt ab einem bestimmten Niveau des Anthropomorphismus schlagartig ab und steigt erst ab einem bestimmten, sehr hohen Grad wieder an. Die Akzeptanz ist am höchsten in jenem Moment, in dem sich Avatare überhaupt nicht mehr von Filmaufnahmen echter Menschen unterscheiden.“

Die Dystopien beginnen genau an dem Punkt, an dem die künstlichen Figuren echter wirken als die echten. An dem sich die reale Erfahrung nicht mehr von der künstlichen unterscheiden lässt, an dem auch gar kein Bedürfnis mehr besteht, diese Unterscheidung zu machen. Das ist auch der Punkt, dem Geschichten einer Grundangst der virtuellen Welt entstehen, nämlich die, die eigene Identität irgendwo in der Künstlichkeit zu verlieren, wie diese Geschichte eines südkoreanischen Pärchens, die ihr Kind verhungern ließen, während sie ein virtuelles Kind groß zogen. Oder diese Geschichte von World of Warcraft-Spielern, die starben, weil sie vergaßen, während des Spiels zu essen. Solche Geschichten – urbane Legenden, vermutlich – ploppen immer mal wieder in den Streams auf, weil sie genau von dieser Grundangst des Identitätsverlustes erzählen.

Löcher in den Angstgeschichten

Man kann in solche Angstgeschichten vergleichsweise leicht Löcher bohren. Wenn man bei der Drogenanalogie bleibt, die Uncanny Valley oder Strange Days  sie verwenden, kann man sagen: Niemand wird so süchtig, dass er oder sie sich komplett aus dem sozialen Leben ausklinkt, nur, weil da eine geile, andere Erfahrung ist. Dafür braucht es immer mehr, soziale Hintergründe, Veranlagung…egal wie groß die Verlockung ist, in beiden Filmen sind die Menschen in der Lage, zwischen diesen zwei Realität zu unterscheiden. Sie entscheiden sich nur für die künstliche, und genau wie bei Drogen sind die Gründe dafür komplizierter als: Das eine ist jetzt einfach mal besser als das andere. Wer nach irgendwo hin wegläuft, hat einen Grund wegzulaufen.

Das zweite ist, dass wir schon längst in einer virtuellen Realität leben. Wir haben sie in der Hosentasche. Und obwohl es das – nach wie umstrittene – Krankheitsbild „Internetsucht“ gibt, hat es wenig mit Identitätsverlust zu tun. Eher mit Identitätserweiterung, oder, wenn es hart auf hart kommt, Identitätsersatz.

Aber praktisch gibt es keine Trennung zwischen den Realitäten, wie sie solche Cyberpunk-Dystopien gerne postulieren. Im Gegenteil: Die Realitäten verflechten sich, bis sie zu einer werden, Online- und Offlineleben sind eins, gefährlich wird es nur, wie immer und überall, in den Extremen.

Die Dystopie, die aus der Mode kommt

Weil Science-Fiction, vor allem Dystopien, immer ein Symptom für die Ängst der Gegenwart ist, sind solche virtuelle-Realität-Dystopien etwas aus der Mode gekommen, das letzte große Aufblinken dieses Szenarios war der erste Film der Matrix-Trilogie. Was an der virtuellen Realität noch zu kritisieren ist, ist nicht der Identitätsverlust, sondern das Gegenteil: durch die lückenlose Überwachung wird eine Art Hyperidentität von uns erstellt und archiviert. Aktuelle Dystopien befassen sich dann auch eher mit Überwachungsszenarien – oder, deutlich mehr, mit den Auswirkungen des Klimawandels. Gerade, weil wir die virtuelle Realität haben, und sie sich als gar nicht so schlimm herausgestellt hat. Vermutlich können wir uns in den nächsten Jahren auf die eine oder andere Art von Flüchtlingsdystopien einstellen.

Davon abgesehen, übrigens, ist Uncanny Valley ein toller Kurzfilm.

Bildquellen